Anlagenbau & Prozesstechnik

Mehr Flexibilität für die Produktion

Modularisierung mit Module Type Package bietet Vorteile bei Schnelligkeit, Flexibilität und Kosteneffizienz

13.11.2023 - Immer volatilere Marktbedingungen erfordern eine Flexibilisierung der Produktionsprozesse. Die Modularisierung mit MTP ist dabei ein wichtiger Baustein.

Die Modularisierung in der Prozessindustrie ist ein innovativer Ansatz, um die Produktivität der Anlagen zu erhöhen. Um die Module zu beschreiben und zu vernetzen wird, ein standardisiertes Informationsmodell MTP (Module Type Package) verwendet.

Zu den Zielen der Modularisierung gehören Kosteneinsparungen und eine höhere Flexibilität in der Produktion durch die Rekonfigurierbarkeit und Erweiterungsfähigkeit von modularen Anlagen. Durch die Trennung der Modulentwicklung von dem Engineering der Anlagen wird der projektabhängige Engineeringaufwand gesenkt. Die Module können nach dem Plug&Produce-Prinzip schnell, beliebig oft und in verschiedensten Varianten immer wieder neu zusammengestellt werden. Verbunden mit diesen Vorteilen sind kürzere Markteinführungszeiten (Time to Market) und eine flexiblere Anpassung an fluktuierende Marktsituationen durch Numbering-up anstelle von Scale-up.

 

ZVEI   Felix Seibl, Geschäftsführer, ZVEI-Fachbereich Messtechnik und Prozessautomatisierung

„MTP bietet große Vorteile bei Schnelligkeit, Flexibilität und Kosten­effizienz in der Produktion.”
 

Kooperation stärkt globale Entwicklung der MTP-Strategie

Um die Modularisierungsmöglichkeiten für Produktionsanlagen voranzutreiben, sind NAMUR, ZVEI und PI (Profibus & Profinet International) eine Kooperation eingegangen. Zusammen wird an der Weiterentwicklung und Standardisierung der MTP-Spezifikationen gearbeitet, um sie als Standard zur globalen Anwendung zu bringen. PI wird als Host MTP in ihr Technologieportfolio übernehmen und gemeinsam mit der NAMUR und dem ZVEI an der Weiterentwicklung der Spezifikationen und der internationalen Standardisierung arbeiten.

Felix Seibl, Geschäftsführer des ZVEI-Fachbereichs Messtechnik und Prozessautomatisierung, erläutert dazu: „MTP bietet große Vorteile bei Schnelligkeit, Flexibilität und Kosteneffizienz in der Produktion. Viele Hersteller bieten bereits Produkte an, die auf dem Module Type Package basieren. ZVEI und NAMUR haben bereits seit 2015 in gemeinsamen Arbeitsgruppen die Anforderungen für das MTP definiert. Mit der Profibus Nutzerorganisation (PNO) als künftigen MTP-Host wollen wir den bisherigen Weg erfolgreich weitergestalten.“ Und Xaver Schmidt, Vorstandsvorsitzender der PNO, konstatiert: „Das Thema MTP passt ideal zum durchgängigen Technologieportfolio der PNO, die als Standardisierungsorganisation für Feldbussysteme gestartet ist und sich im Zuge der Digitalisierungswelle zum Anbieter von offenen Informationstechnologien für die industrielle Produktion entwickelt. Als Host von MTP geht die PNO einen konsequenten Schritt weiter und entwickelt und pflegt in Kooperation mit der NAMUR und dem ZVEI Schnittstellenspezifikationen, die den Aufbau von herstellerunabhängigen modularen Produktionssystemen unterstützen, mit denen ein hohes Maß an Flexibilität in der Produktion ermöglicht wird.“

Dynamisch durchgestartet

Die Arbeiten an der MTP-Technolo­gie im Rahmen der Kooperation wurden in verschiedenen Joint Work­ing Groups gestartet. Vordergründiges Ziel hierbei ist die Überarbeitung und kurzfristige Bereitstellung der bereits verfügbaren Versionen von Spezifikationsdokumenten zu den Themen Modellierung, HMI-Integration und Prozesssteuerung. Zur Sicherstellung der Qualität von Implementierungen wurde die Joint Working Group MTP Quality aktiviert, deren Aufgabe es ist, im ersten Schritt die Anforderungen und Randbedingungen für Zertifizierungstests zu definieren, die die Grundlage für die Umsetzung in Testtools und für die Durchführung von Zertifizierungstests bilden sollen.

In der JWG Runtime Interoperability werden weitere MTP-Spezifikationen entstehen, die die Interoperabilität von MTP-Modulen während der Laufzeit sicherstellen sollen. Zeitgleich sind Aktivitäten zur internationalen Standardisierung von MTP aufgenommen worden, die als Norm IEC 63280 bereitgestellt werden. Die Koordination der Spezifikationsarbeiten, der Qualitätssicherung und der internationalen Standardisierung erfolgt durch die Kooperationspartner in dem hierfür gegründeten Steering Committee.

Zur frühzeitigen Etablierung der MTP-Technologie im Markt sind auch Marketing-Aktivitäten angelaufen. So hat PI bereits auf der letzten Hannover-Messe sowie auf der SPS eine neue Multivendor-Live-Demo vorgestellt, mit der die Integration von Process Equipment Assemblies (PEA) innerhalb von Minuten in ein übergeordnetes Leit- oder SCADA-System des Process Orches­tration Layers (POL) veranschaulicht wurde, was sich positiv auf die Effizienz im Engineering auswirkt. MTP wurde im Oktober 2023 das erste Mal auf einer Messe außerhalb Deutschlands mit großem Erfolg präsentiert: Zusammen mit NAMUR und ZVEI war PI mit einem gemeinsamen Stand zum Thema MTP auf der Industrial Transformation Asia-Pacific (ITAP) in Singapur vertreten.

 

PNO   Xaver Schmidt, Vorstandsvorsitzender, PNO

„Als Host von MTP geht die PNO einen konsequenten Schritt weiter und entwickelt und pflegt die Schnittstellenspezifikationen.”
 

Einbettung in Automatisierungskonzepte

Die modulare Produktion mit MTP ist ein wichtiger Bestandteil der Digitalisierung der produzierenden Industrie. Mit MTP werden sich wesentliche Schlüsselkennzahlen von Anlagen zukünftig deutlich verbessern. Erste Ergebnisse zeigen, dass sich die durchschnittliche Zeit bis zum Markteintritt halbiert, der Engineering-Aufwand um 70 % reduziert und die Flexibilität um 80 % erhöht werden kann. Aber man sollte MTP nicht als singuläre Technologie einstufen, sondern sie im gesamten Automatisierungs- und Digitalisierungskonzept betrachten. Igor Stolz, Mitglied des Vorstands der NAMUR, sagt dazu: „Die Konzepte des MTP lassen sich für ein effizienteres Leitsystem-Engineering nutzen. Unabhängig davon, ob es sich um modulare Neuanlagen oder die Integration von Package Units mit eigener Steuerung handelt, ist ein Engineering deutlich schneller und weniger fehlerbehaftet möglich. Aber auch die teilautomatisierte Erstellung von HMI-Bildern aus R&I-Fließbildern ist analog zum MTP auch bei konventionell automatisierten Anlagen möglich. Denkbar ist auch, mittels des Open Process Automation Standards – O-PAS – zukünftig neutralen Steuerungscode der Module in zentrale Automatisierungssysteme zu integrieren.“ Und auch Dietmar Bohn, Geschäftsführer der PNO, weiß das entsprechend einzuschätzen: „Mit einigen neuen Erweiterungen in unseren Kommunikationstechnologien und den Informationsmodellen und jetzt auch mit der Modularisierungstechnologie MTP als weitere PI-Kerntechnologie bieten wir ein interessantes und wertvolles Portfolio für die Prozessindustrien. Die neuen Standards ermöglichen die Durchgängigkeit der PI-Technologien bis in die Feldebene und sind ein Treiber für Innovationen und die Digitalisierung in den Prozessindustrien “ In der Tat tun sich mit Ethernet APL, dem Advanced Physical Layer für die Prozessautomatisierung, mit Profinet und dem PA-Profil Möglichkeiten für durchgängige Kommunikations- und Digitalisierungskonzepte auf – und die sind notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit der Prozessindustrie in Deutschland zu unterstützen und firmenübergreifende Kreislaufwirtschaften für resilientere Lieferketten und eine geringere Abhängigkeit von importierten Rohstoffen zu schaffen.

Diagnose für modulare Prozesseinheiten

Die Kernaufgabe des modularen Anlagenbaus ist es, Produktionsprozesse schnell und einfach aus einem Pool unterschiedlicher modulare Prozesseinheiten (PEA, Process Equipment Assembly) zusammenzustellen und diese umfassend zu automatisieren. Die PEAs stellen voll funktionsfähige Einheiten verfahrenstechnischer Teilprozesse dar, in denen sie bereits automatisiert sind und möglichst universell mit anderen PEAs verschaltet werden können. Neben den Eigenschaften Sicherheit, Bedienbarkeit, Überwachung und Steuerung einer Anlage sind Diagnose und Wartung weitere wesentliche Aspekte des Konzepts der modularen Anlagen.

Das Ziel einer standardisierten Diagnose ist es, eine schnelle und effektive Aussage über den Gesamtzustand des PEAs zu erhalten, damit verschiedene Gruppen wie das Produktionsteam oder das Wartungsteam schnell veränderte Zustände der PEA erkennen und entsprechend reagieren können. Der Gesamtzustand einer PEA setzt sich aus den Zuständen der einzelnen automatisierten Anwendungen, wie den Diensten und Prozeduren, sowie den Zuständen der installierten Sensoren, Aktoren und Systemkomponenten zusammen.

Damit das Produktionsteam die PEA für die jeweiligen Anwendungen nutzen kann, muss es bei Einschränkungen der Verfügbarkeit erkennen können, ob diese auf einen Ausfall einzelner Komponenten oder auf Verriegelungen zurückzuführen sind.

Im Rahmen der Zusammenarbeit von NAMUR und ZVEI wurde hierfür die NAMUR Empfehlung NE 184 „Diagnose und Instandhaltungsfunktionen für modulare Prozesseinheiten“ erstellt, deren Fokus auf der Spezifikation von Diag­nosekonzepten für PEAs liegt. Sie beschreibt das grundsätzliche Einbindungskonzept und die jeweilige Zuordnung zu den entsprechenden Rollen, die im Umfeld der PEA-Dia­gnose tätig sind sowie die verschiedene Diagnosekonzepte und integriert diese in Diagnoseprofile, die jeweils aufeinander aufbauen.

Das Dokument teilt sich in vier Teile auf. Zunächst werden Motivation und Zielsetzung beschrieben, dann folgt eine Übersicht der Dia­gnosekonzepte für modulare Anlagen vor. Hier werden alle beteiligten Systeme, die Diagnosekonzepte sowie die Benutzerrollen eingeführt und zugeordnet.

Die detaillierte Beschreibung der Diagnosekonzepte sowie ihre Anwendung ist Bestandteil des dritten Teils. In Analogie zur MTP-Philosophie, d.h. der stringenten Fokussierung auf eine funktional gekapselte Anwendung, verfolgt auch die Diagnosephilosophie eine Trennung in eine funktional orientierte und eine systemorientierte Diagnose.

Im letzten Teil der NE 184 wird schließlich für den Anwender an Praxisbeispielen der Nutzen einzelner Diagnosekonzepte und ihr Zusammenspiel aufgezeigt.

 

Igor Stolz, NAMUR   Igor Stolz, Vorstand, NAMUR

„Die Konzepte des Module Type Package lassen sich für ein effizienteres Leitsystem-Engineering nutzen.”
 

Modulare produktionsnahe Logistiksysteme

Der Trend zu immer volatileren Marktbedingungen erfordert eine Flexibilisierung von Produktionsprozessen und eine ebenso flexible, modulare produktionsnahe Logistik. Ein neues Positionspapier der NAMUR beschreibt das Zielbild und den aktuellen Stand der Arbeiten in Bezug auf die Automatisierung modularer produktionsnaher Logistiksysteme und deren Umsetzung auf Basis des Module Type Package Konzepts. Einsatzmöglichkeiten und Vorteile werden anhand dreier ausgewählter Anwendungsbeispiele aufgezeigt. Zudem wird ein möglicher Einsatz des Konzepts der Asset Administration Shell (AAS, Verwaltungsschale, VWS) skizziert. Das Positionspapier soll Diskussionsgrundlage beim Dialog zwischen Anwendern und Herstellern dienen.

Bereits 2019 wurde das ENPRO-2.0-Projekt „Modulare Produktionslogistik (MoProLog)“ mit dem Ziel der Modularisierung produktionslogistischer Systeme gestartet. Ein wesentlicher Fokus lag dabei auf der Definition automatisierungstechnischer Schnittstellen für modulare logistische Einheiten (Logistics Equipment Assemblies) sowie deren Integration in ein modulares logistisches System. Daneben wird von der Plattform „Industrie 4.0“ und Verbänden wie ZVEI und VDMA das Konzept der AAS vorangetrieben. Für dieses universelle Konzept bestehen bereits Ansätze zur Verwendung in der Prozessindustrie; eine Verwendung auch im Kontext produktionslogistischer Aufgaben der Prozessindustrie ist denkbar.

Das vorliegende Positionspapier bereitet im ersten Schritt die im MoProLog-Projekt entwickelten Integrationsansätze auf Basis des MTP-Konzepts auf, stellt sie herstellerübergreifend zur Diskussion und zeigt offene Forschungs- und Standardisierungsbedarfe auf. Ein möglicher Einsatz der AAS wird skizziert, detaillierte Konzepte dazu sind Gegenstand künftiger Arbeiten.

 

Dietmar Bohn, PNO   Dietmar Bohn, Geschäftsführer, PNO

„Mit MTP als weitere PI-Kerntechnologie bieten wir ein interessantes und wertvolles Portfolio für die Prozessindustrie.”
 

Fazit

Immer volatilere Marktbedingungen erfordern eine Flexibilisierung der Produktionsprozesse. Nur so können Hersteller auf variable Produktionsmengen sowie steigende Produktdiversifizierung reagieren. Die Modularisierung von Produktionssystemen ist ein Ansatz, um diese Flexibilität zu erreichen. Neue Technologien mit firmenübergreifenden Standards, modularen und flexiblen Konzepten und einem Datenaustausch über Firmen- und Branchengrenzen hinweg sind die Bausteine für eine Optimierung der Wettbewerbsfähigkeit. Die Modularisierung mit MTP ist dabei ein wichtiger Baustein.

Autor: Volker Oestreich, CHEManager

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