Personal & Karriere

Agilität bringt Mitarbeiter ins Handeln

Klare Kommunikation und ein gemeinsames Ziel machen den Erfolg agiler Zusammenarbeit aus

20.01.2020 -

Viele Unternehmen wollen agil werden. Doch worin liegt der konkrete Nutzen agiler Arbeitsweisen? Welches Umfeld benötigen sie? Und in welchen Bereichen entfalten sie ihre größte Wirkung? Andrea Gruß sprach darüber mit dem Software-Unternehmer Florian Wolf, CEO bei Mergeflow, und Referent der GDCh-Tagung „Tanker or Speedboat? Agile Management in the Chemical Industry“ der Vereinigung für Chemie und Wirtschaft (VCW).

CHEManager: Herr Wolf, was ist Ihr Verständnis von Agilität? Was bedeutet Agilität nicht?
Florian Wolf: Agil arbeiten bedeutet für mich nicht, einfach die gleichen Dinge schneller zu machen oder ‚runde Ecken‘ zu putzen. Ich kann auch nichts anfangen mit dem Motto ‚Let’s move fast and break things‘. Wir sollten Dinge nicht zerbrechen, denn dabei geht in der Regel etwas kaputt und im schlimmsten Fall kommen Menschen zu schaden. Agilität heißt für mich Fokus, Bestimmtheit und Klarheit kombiniert mit einem Ziel. Sie ist ein Weg, Personen in ihrem Umfeld zu befähigen.

Welche Vorteile bieten agile Arbeitsweisen für Unternehmen?
F. Wolf: Mitarbeiter sind das, was ein Unternehmen ausmacht. Wenn sie nichts tun können, weil sie nicht beteiligt werden, dann läuft etwas falsch. Agilität ist ein Weg, Mitarbeiter handlungsfähiger zu machen, damit sie bedeutsame Beiträge leisten können. Das macht ein Unternehmen erfolgreicher.

Welches Umfeld braucht es, um Mitarbeiter zu befähigen?
F. Wolf: Grundlegend dafür ist das richtige Menschenbild: Ist die vorherrschende Meinung in einem Unternehmen, dass Mitarbeiter konstruktiv sind und grundsätzlich etwas Positives leisten wollen oder überwiegt die Ansicht, dass sie nur Unsinn machen, wenn man sie nicht im Griff hat? Dominiert das letztere Menschenbild, wird es schwierig, agil zu arbeiten.

Welche Tipps haben Sie für Teams, die agil arbeiten wollen?
F. Wolf: In Unternehmen gehen viele Projekte schief, weil Dinge nicht klar kommuniziert oder Einzelne nicht gehört wurden. Die richtige Kommunikation hilft, Missverständnisse zu vermeiden. Der wichtigste Punkt dabei: vorab aufschreiben. Dinge aufzuschreiben zwingt zu Präzision und hilft Komplexität zu beherrschen, da etwas auf einzelne Punkte heruntergebrochen und genau definiert werden muss. Es ist erstaunlich, welchen Unterschied es macht, wenn man etwas niederschreibt oder nur in einem Meeting bespricht.

Welche Rolle spielen Methoden und Tools für agile Zusammenarbeit?
F. Wolf: Nicht alle Methoden und Tools passen für jedes Team oder jedes Vorhaben; sie müssen entsprechend kombiniert werden. Man sollte sich mit der Auswahl von Tools jedoch nicht obsessiv aufhalten, sondern einfach etwas von der Stange kaufen und anfangen.

Sie haben in Ihrem eigenen Unternehmen agile Arbeitsweisen eingeführt. Welchen Tipp haben Sie hierzu für Unternehmer?
F. Wolf: Viel zum Thema lesen und basierend darauf etwas Passendes für das eigene Unternehmen entwickeln. Nicht kopieren, sondern kapieren. Drei Bücher, die ich zu diesem Thema auf eine einsame Insel mitnehmen würde, sind: ‚Principles‘ vom Hedgefonds-Manager Ray Dalio, ‘Team of Teams: New Rules of Engagement for a Complex World‘ von General Stanley Allen McChrystal und ‚Deep Work: Rules for Focused Success in a Distracted World‘ von Cal Newport.

Wo sehen Sie Grenzen für agiles Arbeiten in Unternehmen?
F. Wolf: In risikobehafteten Bereichen, zum Beispiel der Produktion, oder der Qualitätskontrolle sollten Prozesse und Standards zuverlässig eingehalten werden, unabhängig davon, wer gerade beteiligt ist. Hier kann es riskant sein, jeden Einzelnen dazu zu befähigen, etwas beizutragen oder steuern zu lassen.

Wo entfalten agile Arbeitsweisen ihre größte Wirkung?
F. Wolf: In der unternehmerischen Wertschöpfung möglichst weit vorne, zum Beispiel bei der Innovation. Hier hat sich viel verändert. Während man früher oft noch das Bild vom Gelehrten hatte, der alleine in seinem Labor forscht, ist Innovation heute eine Teamaufgabe geworden. Zudem ermöglichen es Software-gestützte Methoden, zum Beispiel Materialien mit neuen Eigenschaften schneller zu entdecken und gezielter zu testen. Innovation lässt sich heute nicht mehr in starren Prozessen organisieren, sondern es gilt, die richtigen Leute zusammenbringen. Aufgrund dieser Veränderungen bietet das agile Vorgehen einen großen Vorteil.

Vorausgesetzt die Kommunikation im Team passt…
F. Wolf: Ja, dazu sollten die Teams nicht allzu groß sein, etwa 20 Personen vielleicht. Informationen müssen in der Gruppe geteilt und für jeden transparent verfügbar sein. Die Zusammenarbeit im Team ist weniger geprägt von komplizierten Prozessen, sondern eher durch das Vertrauen darauf, dass jeder Einzelne seinen Beitrag leistet.

Welcher Fehlerkultur bedarf es für eine erfolgreiche Zusammenarbeit?
F. Wolf: In agilen Teams dürfen Dinge nicht unter den Tisch gekehrt werden. Es sollte niemand an den Pranger gestellt werden, man muss aber über seine Fehler reden, sonst kann man nicht aus ihnen lernen. Diese Fehlerkultur erreicht ein Unternehmen am besten, wenn die Chefs vorangehen und als erste über ihre Fehler reden.

Das fällt vielen Führungskräften in deutschen Unternehmen nach wie vor schwer. Welche Erfahrungen haben Sie hierzu als Forscher in den USA gemacht?
F. Wolf: In Deutschland lernt man schon sehr früh in der Schule, dass es schlecht ist, zuzugeben, etwas falsch gemacht zu haben oder etwas nicht zu wissen. Ich habe mich daher anfangs gewundert, als ich am MIT sehr oft den Satz ‚I don’t know‘ gehört habe – bis ich merkte, dass er auch zeigt, dass jemand bereit ist, etwas zu lernen.

Ein anderes Phänomen, das agiles Arbeiten unter Naturwissenschaftlern hemmen kann, ist das Beharren auf der einen, richtigen Lösung. Teilen Sie diese Meinung?
F. Wolf: Ich glaube, das ist eher eine Frage des Egos als des naturwissenschaftlichen Denkens. Vielen fällt es schwer zuzugeben, dass andere auch gute, vielleicht sogar bessere Ideen haben. Hier hilft es umzudenken und sich zu sagen: Die Idee ist zwar besser als meine, aber ich habe dann auch die Chance, mit dieser Idee weiterzuarbeiten und sie weiterzuentwickeln.

In Unternehmen gibt es immer wieder Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit zwischen Teams aus der sogenannten ‚neuen‘ (agilen) Welt und der ‚alten‘ Welt. Was kann hier Abhilfe schaffen?
F. Wolf: Das ist eine schwierige Frage, für die es keine einfache, pauschale Antwort gibt. Mein Eindruck ist, dass auch hier die Kommunikation das größte Problem ist, wenn diese beiden Welten aufeinanderprallen. Oft haben beide nicht das gleiche Verständnis dessen, was ‚agil‘ bedeutet. Besonders schwierig wird es, wenn Sie zwei Gruppen aus den beiden Welten zusammenbringen wollen. Hier ist es oft besser, wenn sich einzelne Vertreter austauschen. In der Regel werden die Gruppen hierfür ihre besten Mitglieder auswählen und auch diejenigen, die bereit sind, sich ohne Vorurteile ein Bild von der Arbeit der anderen Gruppe zu machen. Das ist im Übrigen ein Ansatz, der auch in der Diplomatie zwischen extremen Gruppen oft genutzt wird: Dass sich zwei vernünftige Leute zusammensetzen und darüber reden, wie man gemeinsam ans Ziel kommt.

Sie sprachen eben von Vorurteilen zu agilen Arbeitsweisen. Viele verbinden mit Agilität eine höhere Schnelligkeit, andere eine gewisse Oberflächlichkeit? Wie stehen Sie dazu?
F. Wolf: In der Raumfahrt gibt es das Arbeitsprinzip ‚slow is fast‘, das heißt, es braucht bedachte Abläufe, um schneller voranzukommen. Das lässt sich auf Agilität übertragen: Agil heißt nicht schnell, aber wenn ich es richtig mache, ist höhere Schnelligkeit ein angenehmer Nebeneffekt.
Eine oberflächliche ‚Es-passt-schon-Mentalität‘ passt nicht zu agilen Arbeitsweisen. Im Gegenteil: Oft muss ich mehrfach nachhaken und mich in ein Thema tief einarbeiten, um etwas zu verstehen. Denn die Leichtigkeit, die agiles Arbeiten bringen kann, wenn man es richtig macht, kommt – wie es der italienische Schriftsteller Italo Calvino sagt – aus der Präzision und Bestimmtheit heraus und nicht aus der Vagheit oder dem Vertrauen auf den Zufall.

ZUR PERSON
Florian Wolf ist Gründer und Vorstand des Münchner Software-Unternehmens Mergeflow, das eine Technologie- und Innovations-Analyse-Plattform entwickelt und anbietet. Wolf promovierte in Brain and Cognitive Sciences am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA, und war Postdoc in Computer Science und Genetics an der University of Cambridge. Er ist Mitglied des weltweiten Beirats der Zeitschrift MIT Technology Review.

Kontakt

Mergeflow AG

Effnerstr. 39a
81679 München

GDCh - Fachgruppe VCW (Vereinigung für Chemie und Wirtschaft)

Varrentrappstr. 40-42
60444 Frankfurt am Main
Deutschland