Antwerpens Rolle in der trilateralen Chemieregion
Trilaterale Chemieregion spürt trotz positiver Clustereffekte zunehmenden Wettbewerbsdruck
Die trilaterale Chemieregion Nordrhein-Westfalen, Flandern und Niederlande hat sich zu einer einzigartigen Verbundstruktur entwickelt. Doch spürt die trilaterale Chemieregion trotz positiver Clustereffekte den zunehmenden Wettbewerbsdruck der Branche. Hinzu kommt, dass die steigenden Verkehre mit immer komplexer werdenden Lieferketten und Kapazitätsengpässen auf allen Verkehrsträgern konfrontiert werden. Neue Lösungen sind gefragt, um speziell die Versorgung mit Rohstoffen langfristig zu sichern.
Mit einem Umsatz von 180 Mrd. EUR und über 350.000 Beschäftigten ist die trilaterale Chemieregion einer der leistungsfähigsten Chemiecluster weltweit. Sie belegt Rang vier der bedeutsamsten Chemieregionen nach China, den USA und Japan. Fast 20 % des Gesamtumsatzes der chemischen Industrie auf europäischer Ebene wird von Chemieunternehmen innerhalb der trilateralen Region erwirtschaftet. Und in keinem anderen Chemiecluster ist der Umsatz pro Kopf höher als hier mit rund 3.600 EUR. Zum Vergleich: in China liegt dieser bei etwa 1.300 EUR, in Japan bei 1.500 EUR und in den USA bei 2.400 EUR.
Grund für diese gute Positionierung ist die besondere Verbundstruktur. Die Integration und Vernetzung der Anlagen und Prozesse in der Region schafft effiziente Produktionsstrukturen – insgesamt und für die einzelnen Unternehmen und Produktionsstätten. In diesem Verbund spielt auch der belgische Hafen Antwerpen eine gewichtige Rolle – als großer Produktionsstandort, logistische Drehscheibe und wichtiges Glied in der Rohstoffversorgung.
Rohstoff-Hub Antwerpen
Dabei fungiert der Hafen Antwerpen als logistischer Hub für Im- und Exporte ebenso wie für die essenzielle Rohstoffversorgung von Anlagen in der gesamten Region. Über die hochfrequenten maritimen Verkehre können Rohstoffe aus aller Welt bezogen werden. Zudem befindet sich am Standort das zweitgrößte Chemiecluster Europas mit zahlreichen Produktionsstätten namhafter Unternehmen der chemischen und petrochemischen Industrie. Darunter auch Chemieproduzenten mit Hauptsitz oder weiteren Standorten innerhalb der trilateralen Chemieregion.
Mit diesem Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Häfen ist Antwerpen gleich zweifach in den Verbund integriert. Und das spiegelt sich auch in der Infrastruktur sowohl im Hafen selbst als auch im Hinterland wider. Nicht nur die gute Anbindung auf Straße, Schiene und Binnenwasserstraße ist hier zu nennen. Spezielle Vorteile bietet auch das Pipeline-Netzwerk, das die Antwerp Port Authority 2017 aufgekauft hat. 720 km Rohrleitungen, die für über 100 verschiedene chemische Produkte geeignet sind, verbinden Anlagen auf dem Hafengelände und im Hinterland. Dies sorgt für die sichere Verteilung chemischer Produkte etwa in den Chemiepark Marl.
Diese Standortvorteile Antwerpens werden von Großinvestoren besonders geschätzt. So will Ineos in den kommenden Jahren 3 Mrd. EUR in eine Propan-Dehydrierungsanlage (PDH) und einen Ethan-Cracker in Antwerpen investieren. Dabei setzt der britische Chemiekonzern als Rohstoffe für die Ehtylen- und Propylengewinnung auf Ethan und Propan aus US-amerikanischen Schiefergasvorkommen, die per Schiff nach Antwerpen kommen und damit die US-Kostenvorteile nach Europa holen. Dafür wurden extra acht Spezialschiffe der Dragon Class in Auftrag gegeben.
Verbundeffekte gefährdet
Der Rohstoff-Hub Antwerpen und die Synergieeffekte aus der Verbundstruktur fördern so die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in der trilateralen Chemieregion. Weiteres Wachstum könnte jedoch schnell ausgebremst werden, wenn nicht neue Wege beschritten werden, denn die Infrastruktur für Rohstoffe und Energie innerhalb eines Verbundsystems bestimmt die Produktivität von Chemieunternehmen wesentlich mit. Unternehmen sind hier auf funktionsfähige Logistikketten angewiesen. Eine Störung wirkt sich auf die Wirtschaftlichkeit der direkt betroffenen Unternehmen sowie den Verbund insgesamt aus.
Experten gehen davon aus, dass innerhalb der kommenden zehn Jahre die allgemeinen Güterverkehre deutlich steigen werden – zwischen Antwerpen und Nordrhein-Westfalen etwa von 72 Mio. t in 2017 auf rund 90 Mio. t im Jahr 2030. Das entspricht einer geschätzten Steigerung um 25 %. Unter den gegebenen infrastrukturellen Voraussetzungen und mit aktuellen Logistikansätzen wie der Just-in-Time-Zulieferung sind diese hohen Zuwächse jedoch nicht darstellbar.
Deshalb fördert und fordert der Hafen Antwerpen eine rasche Umsetzung von infrastrukturellen Maßnahmen, speziell auf der Schiene und entlang des Rheins. Unterstützung erhält er dabei von den IHKs sowie dem Landes-Verkehrsministerium Nordrhein-Westfalen. Konkret geht es hier etwa um Projekte für den Aachener Schienenkorridor, den Ausbau der Schiene von der niederländischen Grenze über Kaldenkirchen in Richtung Krefeld sowie die Ertüchtigung der relevanten Knoten etwa im Raum Mönchengladbach /Vierse.
Neue Wege
Das Problem: Selbst wenn sich die entscheidenden Stellen aller Länder auf eine rasche Umsetzung und den schnellen Ausbau einigen – angesichts langer Bauzeiten, speziell bei grenzüberschreitenden Infrastrukturvorhaben, kann sich die Industrie nicht allein auf diese eine infrastrukturelle Lösung verlassen. Zusätzlich könnte eine Rückbesinnung auf Rohstoffpuffer- und Zwischenlagerlösungen erwogen werden, um eine zuverlässige und bedarfsgerechte Rohstoffversorgung abzusichern. Diese veränderten Prozesse könnten auch wieder verstärkt auf Hublösungen setzen, die wiederum Schwankungen in Produktionsmengen sowie Chargen berücksichtigen.
Es ist eine strategische Entscheidung, welche Investitionen in Logistikanlagen, etwa zur Lagerhaltung ungefährlicher Güter, sinnvoll sind. Das Konzept könnte sich aber trotz erhöhter Logistikkosten rechnen, denn eine Unterbrechung der Rohstoffversorgung führt zu Produktionsausfällen, die weitaus kostenintensiver und – durch Umsatzausfälle und unzufriedene Kunden – mitunter sogar existenzgefährdend sein können. Mit intelligentem Lagerbestandsmanagement an strategisch günstigen Punkten kann dem vorgebeugt werden.
Der Hafen Antwerpen wäre im trilateralen Verbund ein geeigneter Standort, um diese Hub- und Pufferfunktion abzudecken. Die Hafengemeinschaft ist bereits geprägt von hochspezialisierten Logistikdienstleistern und -anlagen für die chemische Industrie. Sie sorgen dafür, dass Antwerpen ein fester Teil der Wertschöpfungskette ist. Mehrwertdienstleistungen wie Qualitätskontrollen importierter Rohstoffe entlasten und geben zusätzliche Sicherheit in der Rohstoffversorgung.
Smartes Supply-Chain-Management
Auch bei der digitalen Steuerung der Lieferkette ist der Hafen Antwerpen ein guter Partner der chemischen Industrie. Die international vernetzten Wertschöpfungsketten der trilateralen Chemieregion sind von höchster Komplexität. Für die optimale Ausgestaltung werden offene IT-Plattformen benötigt, die Transparenz herstellen und damit unternehmens- und länderübergreifende Planung ermöglichen. Antwerpen ist mit dem digitalen Ökosystem NxtPort einer der Vorreiter einer entsprechenden digitalen Lösung in der internationalen Hafenlandschaft.
Schon heute spielt Antwerpen eine wichtige Rolle für Unternehmen in der trilateralen Chemieregion Nordrhein-Westfalen, Flandern und den Niederlanden. In der Supply Chain von morgen könnte dem Standort ein noch wichtigerer Stellenwert zukommen. Auch wenn sich die Strecken selbst nicht verändern, können neue Wege den passenden Impuls für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit aufzeigen.