Aus Abfällen werden Wertstoffe
Weiße Biotechnologie von BRAIN trägt dazu bei, Stoffkreisläufe zu schließen
Die Chemieindustrie steht vor ihrer vierten Revolution, prophezeit die aktuelle Studie „Chemie 4.0“ des Verbands der Chemischen Industrie. Dabei wird die zirkuläre Wirtschaft neben der Digitalisierung als wesentlicher Treiber für eine zukunftsfähige und nachhaltigere Chemieindustrie genannt. Technologien der industriellen Biotechnologie, wie sie das mittelständische Biotech-Unternehmen BRAIN entwickelt, erschließen dabei neue Wege des Rohstoff-Recyclings und zu mehr Ressourceneffizienz. Dr. Andrea Gruß sprach dazu mit Dr. Jürgen Eck, Vorstandsvorsitzender des seit 2016 an der Börse notierten Unternehmens.
CHEManager: Herr Dr. Eck, auf den Internetseiten Ihres Unternehmens heißt es: BRAIN steht für die Biologisierung von Industrien. Was verstehen Sie unter Biologisierung?
Dr. J. Eck: Biologisierung beschreibt den Wandel der Industrie hin zu Prozessen, die ressourcen- und energieeffizient sind und auf nachwachsenden Rohstoffen basieren. Die industrielle oder auch „weiße“ Biotechnologie liefert entscheidende Impulse für den Wandel von chemischen zu biologischen Prozessen. Das Wesen der Biologisierung ist, das Wissen der Lebenswissenschaften über biologische Prozesse oder über die Funktion von Enzymen und Mikroorganismen für die Herstellung von Stoffen zu nutzen.
Das heißt, Sie suchen nach Vorbildern für effiziente Herstellprozesse in der Natur?
Dr. J. Eck: Ja, die Biologisierung ist in der Tat auch getrieben durch eine Art molekulare Bionik. Wir schauen uns Verfahren in der Natur an, die sich in den vergangenen 3,5 Mrd. Jahren der Evolution entwickelt haben und in der Regel sehr effizient mit Ressourcen und Energie umgehen. Enzyme in Waschmitteln arbeiten beispielsweise sehr leistungsfähig bei niedrigen Temperaturen und niedrigen Substratkonzentrationen. Solche biologischen Prozesse übersetzen wir in industrielle Maßstäbe.
Welchen Nutzen schafft dies für die Chemieindustrie?
Dr. J. Eck: Die Biologisierung kann alternative, nachhaltigere Herstellungsprozesse für bestehende Produkte liefern. Sie kann auch dazu beitragen, Stoffkreisläufe im Sinne der Circular Economy zu schließen. Darüber hinaus entstehen völlig neue Produkte auf Basis natürlicher Ressourcen und biologischer Prozesse. Auf Grundlage unseres Bioarchivs fokussieren wir unsere Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in diesem Sinne auf bioaktive Naturstoffe, naturbasierte Enzyme und maßgeschneiderte Mikroorganismen für Anwendungen in der Konsumgüter- und Chemieindustrie.
Welche wirtschaftliche Bedeutung hat weiße Biotechnologie heute bereits?
Dr. J. Eck: Im Jahr 2015 setzte die Chemieindustrie weltweit über 200 Mrd. USD mit Produkten um, zu deren Herstellung biotechnologische Verfahren eingesetzt wurden. Das entsprach in etwa 12 % des globalen Umsatzes der Chemiebranche. Erwartet wird, dass dieser Markt für die Bioökonomie bis 2025 auf mehr als 600 Mrd. USD wachsen wird – mit im Schnitt 11 % Wachstum pro Jahr, während die weltweiten Chemiemärkte um 4-5 % zulegen werden. Demnach wird 2020 jeder fünfte in der Chemieindustrie umgesetzte Euro mit biotechnologischen Prozessen und Produkten erzielt werden.
Wichtig ist mir in diesem Kontext: Ich sehe die Biotechnologie nicht im Wettbewerb mit der Chemie. Die Herstellung mittels eines Enzyms ist auch nicht per se günstiger oder nachhaltiger. Das muss von Fall zu Fall geprüft werden. Am Ende unserer Forschung muss immer ein Produkt oder eine Lösung stehen, das ressourcen- und energieeffizient und zugleich wirtschaftlich ist. Chemie und Biotechnologie ergänzen sich. Beide Bereiche werden sich künftig nicht mehr nur klassisch in einer linearen Wertschöpfungskette hin zu den Märkten bewegen. Vielmehr werden wir ein zunehmend vernetztes Zusammenspiel zwischen unterschiedlichen Technologien und der Verfügbarkeit von Rohstoffen sehen.
In welchen Fällen kann die industrielle Biotechnologie zu einem nachhaltigeren Umgang mit Ressourcen beitragen? Können Sie uns ein konkretes Beispiel nennen?
Dr. J. Eck: Wir arbeiten an einem Entwicklungsprojekt, bei dem wir auf fermentativem Weg aus Kohlendioxid, das aus industriellen Abgasen stammt, Dicarbonsäure herstellen – eine Vorstufe für Biokunststoffe. Wir nutzen dafür Mikroorganismen, die sich mit Kohlendioxid selbst vermehren können und haben sie durch Metabolic Engineering dazu gebracht, nicht nur Stoffe für den Eigenbedarf, sondern auch große Mengen von Dicarbonsäuren herzustellen. Im nächsten Schritt planen wir eine Pilotanlage im Kubikmeter-Maßstab, um bei der Bioethanol-Herstellung anfallendes Kohlendioxid als Rohstoff zu nutzen und umzuwandeln. Als Kooperationspartner dafür haben wir Südzucker gewonnen. Die Technologie funktioniert aber auch bei anderen Kohlenstoff-Quellen.
Welche Vorteile bietet der Prozess gegenüber anderen chemisch-katalytischen Verfahren zur Erschließung von Kohlendioxid als Rohstoff?
Dr. J. Eck: Für unseren Prozess muss Kohlendioxid nicht vorab angereichert oder gereinigt werden. Die Abgase können vielmehr direkt aus der Anlage in Fermenter geleitet werden. Das wäre bei einem katalytischen Prozess nicht möglich. Während chemische Prozesse sich sehr gut dafür eignen, Kohlendioxid in Methan oder Methanol umzusetzen, können wir durch Fermentation auch komplexere Moleküle wie C4-Dicarbonsäuren bis hin zu C44-Carotinoide selektiv und ressourceneffizient aufbauen.
Dieses Entwicklungsprojekt ist übrigens Teil der von der BRAIN koordinierten Innovationsallianz Zero Carbon Footprint, bei der rund 20 Partner aus akademischer Forschung und Industrie gemeinsam daran arbeiten, kohlenstoffhaltige industrielle Abfallströme biotechnologisch in Wertstoffe umzuwandeln. Die Allianz wird mit einem Volumen von etwa 46 Mio. EUR vom Bundesministerium für Bildung und Forschung anteilig gefördert.
Mit Ihrer jüngsten Entwicklung, dem Bioxtractor, können Sie anorganische Wertstoffe wie Gold aus Abfällen zurückgewinnen. Mit welcher Technologie gelingt dies?
Dr. J. Eck: Auch dahinter steckt erst einmal die Identifikation und Entwicklung von Mikroorganismen, die zum Beispiel aus gemahlenem und mit Wasser angerührten Elektroschrott Gold isolieren können. Das schaffen sie ohne zusätzliche Chemikalien, indem sie kleine Goldpartikel selektiv auf ihrer Oberfläche binden. Sobald diese beladen ist, wird die Mixtur aufgeschäumt und das Gold durch Filtration vom Mikroorganismus getrennt. Auf diese Weise können wir bis zu 99 % des Edelmetalls aus dem Ausgangsmaterial extrahieren. Wir haben dieses Verfahren nicht nur für Gold, sondern auch für andere Metalle wie Silber oder für Seltene Erden und Erze etabliert.
Welche Abfälle eignen sich als Ausgangstoffe für Ihre Technologie?
Dr. J. Eck: Lukrativ ist zum Beispiel die Extraktion aus Elektroschrott. In 1 t Computerplatinen sind bis zu 250 g Gold und 1 kg Silber enthalten. Metallurgische Schlacken aus der Metall- und Stahlindustrie können bis zu 20 kg Gold pro Tonne enthalten. Und mit den Aschen aus der kommunalen Abfallverbrennung, die zum Teil dem Asphalt für den Straßenbau beigemischt werden, gelangen jedes Jahr bis zu 3 t Gold und große Mengen anderer Metalle auf deutsche Straßen. In unserem Bioxtraktor-Programm haben wir moderne biotechnologische Verfahren zum „Urban Mining“ beziehungsweise „Green Mining“ im Sinne einer effizienten Kreislaufwirtschaft entwickelt.