Anlagenbau & Prozesstechnik

„Vom Labor in den Prozess“ und andere Trends in der Prozessanalysentechnik

28.06.2017 -

Standards, Zulassungen und vor allem auch das Thema Anlagensicherheit wirken schnellen Veränderungen in Industrien wie Chemie, Lebensmittel, Life Sciences, Wasser und Abwasser entgegen. Welche Trends sich dennoch abzeichnen, zeigt dieser Beitrag.

Technologische Innovationen verändern unsere Welt. Dies betrifft nicht nur die Industrie mit ihren Produkten sondern hat letztendlich auch Auswirkungen auf unser ganzes Leben. Die weltweite Vernetzung über das Internet hat unser Einkaufsverhalten verändert. Das führt dazu dass es der Einzelhandel in den Städten zunehmend schwerer hat, zu überleben und es zum Beispiel gleichzeitig bei Logistikunternehmen boomt, die die vielen im Internet bestellten Pakete weltweit zustellen.
Ein einzelner gesagter Satz, von vielen auf Smartphones weltweit gelesen gepaart mit den Ungleichgewichten in dieser Welt, kann „Völkerwanderungen“ auslösen, wie die letzten Jahre gezeigt haben. Fakenews beeinflussen zumindest kurzfristig unser Meinungsbild und können sogar Auswirkungen auf ein politisches Wahlergebnis haben.

Den Wind der Veränderung im ­Geschäftsumfeld nutzen
Ein chinesisches Sprichwort sagt, wenn der Wind der Veränderung weht, dann gibt es die einen die dicke Mauern errichten, um sich vor diesem Wind zu schützen und die anderen, die Windmühlen bauen, um die Energie der Veränderung sinnvoll für sich zu nutzen.
Wie wichtig es ist, den Wind der Veränderung im Geschäftsumfeld zu nutzen und „Windmühlen zu bauen“ anstatt sich dagegen zu wehren, zeigen viele Beispiele aus der Vergangenheit.
Mechanische Uhren wurden durch digitale ersetzt. Der Markt für analoge Fotografie ist durch die Einführung der digitalen Fotografie komplett verschwunden ebenso wie die Firmen, die sich zu lange gegen diese Veränderungen gewehrt haben.
Der digitale Wandel geht weiter und die Kunst, aus Daten für den Kunden wertvolle Informationen zu generieren, macht Unternehmen, die diese Kunst beherrschen, groß und mächtig. Industrie 4.0 und Industrial Internet of Things (IIoT) sind als „Buzzwords“ in aller Munde.
Doch was bedeutet das für die Prozessautomation in Industrien wie Chemie, Lebensmittel, Life Sciences, Wasser und Abwasser. Standards, Zulassungen und vor allem auch das Thema Anlagensicherheit wirken schnellen Veränderungen entgegen. Verfahrenstechnische Anlagen sind teilweise 10 bis 20 Jahre und noch länger in Nutzung. Vor dem Hintergrund der Schnelllebigkeit im Mobilfunkzeitalter sind das Ewigkeiten.
Was bleibt, was wird sich ändern?
Lassen Sie mich zunächst die Themen beleuchten, die sich nicht oder nur wenig verändert. Das sind Grundsatzthemen, die den Menschen und damit unseren Kunden wichtig sind und auch in der Zukunft wichtig bleiben werden.

Kundenorientierung – Einfach alles, alles einfach
Um zu erfahren was diese Themen sind, gibt es eine ganz einfache Möglichkeit – man kann die Kunden fragen. Aus diesem Grund führen wir regelmäßig Technologieforen mit unseren Schlüsselkunden durch, bei denen wir unsere internen Ideen an den Wünschen und Plänen unserer Kunden spiegeln und erst danach die neuen Produktkonzepte finalisieren.
Ein wichtiger, sich stets wiederholender Aspekt liegt in der Einfachheit der Installation, Nutzung und Handhabung der Produkte. Weitere Themen, die immer an erster Stelle stehen, sind neben Robustheit vor allem die Qualität und Zuverlässigkeit. Denn ein Ausfall einer einzelnen Messstelle kann den kompletten Verlust einer Produktcharge nach sich ziehen, deren Wert oft das Vielfache der Messstelle beträgt.
Vor diesem Hintergrund haben wir unseren Multiparameter- und Mehrkanal-Messumformer Liquiline CM44 mit Plug & Play-Technologie entwickelt. Egal, ob man eine Sauerstoffmessung mit einer Leitfähigkeitsmessung in Brauereien kombiniert oder den Chlorgehalt im Trinkwasser überwacht oder den pH- und Gelöstsauerstoff-Wert in einem Fermenter misst, man kann immer den gleichen Messumformer verwenden, der die unterschiedlichen Sensoren automatisch erkennt. Soll die Messstelle mit einem weiteren Messparameter erweitert werden, so ist dies ohne Hard- oder Softwareänderung einfach und flexibel möglich. Das spart Zeit und Kosten.
In Kombination mit unserer Memosens-Technologie hat dies zum Beispiel die pH-Messtechnik digitalisiert und damit revolutioniert sowie massiv vereinfacht.
Interessant ist auch, dass die oft tot gesagte 4-20 mA-Schnittstelle immer noch den Standard schlechthin in der Prozessindustrie darstellt. Gleichzeitig sind je nach Industrie und Land unterschiedliche Bussysteme im Einsatz. Ein integrierter Webbrowser in Kombination mit einer Ethernet-Schnittstelle gehört mittlerweile ebenso zum Standard und macht den Zugriff über Smartphones kinderleicht – vorausgesetzt man kennt das Passwort. All diese Optionen sind für unsere Kunden wichtig. Daher ist es am besten, man integriert sie in einem Gerät und überlässt den Kunden die freie Auswahl. Genau das haben wir getan.

Braucht man in Zukunft noch klassische Transmitter?
Doch wie geht es weiter. Benötigt man in Zukunft überhaupt noch die klassischen Transmitter? Die Antwort ist ganz einfach – ja und nein.
Es wird weiterhin Applikationen geben, in denen die Kunden zwingend eine Vor-Ort-Anzeige und Bedienung fordern. Gleichzeitig gibt es Applikationen, in denen der Platz sehr wertvoll und begrenzt ist, wie z.B. in biotechnologischen Anlagen. Aus diesem Grund bieten wir unsere Multikanal-Messumformer Liquiline CM44 auch als kompakte Hutschienenausführung wahlweise mit oder ohne Anzeige und Vor-Ort-Bedienung an.

Doch was ist der nächste Schritt?
Die Miniaturisierung und die Forderung nach drahtlosem Zugriff mit einer entsprechenden APP sind zwei klare Trends. Mit der Entwicklung unseres Liquiline Compact CM82 haben wir diesem Trend Folge geleistet. Der Miniatur Zweidrahttransmitter wurde in das Kabel der Memosens-Steckverbindung inte­griert und bietet trotz der Zweidrahtanbindung noch eine integrierte Bluetooth LE Anbindung. Er ermöglicht den gewohnten Sensortausch mit Plug & Play, da die kompletten Messstelleninformationen wie Tag-Nummer etc. im Liquiline Compact CM82 gespeichert sind. Darüber hinaus ist er für den Einsatz in explosionsgeschützten Bereichen zugelassen.
Diese Lösung, die wir im Laufe dieses Jahres auf den Markt bringen werden, komplettiert unser Liquiline Messumformer-Portfolio. So können unsere Kunden immer die gleichen Sensoren verwenden, egal für welchen Transmitter sie sich entscheiden.

IIoT, Big Data und Datensicherheit- Von Sensoren zu digitalen Dienstleistungen
Ein immer wichtiger werdender Aspekt wird hier vor allem die Sicherheit beim Datenzugriff werden. Die Themen wie Datensicherheit, Zugriffsregelung etc. müssen von vorne herein in die Produkt­architektur integriert werden. Diese sicherheitstechnische Trennung dieser beiden Welten wird über den Erfolg dieses Trends entscheiden. Das wird dazu führen, dass es neben der bekannten Automatisierungspyramide einen separaten direkten Zugriff auf die Daten geben wird, auch um aus diesen Daten weitere Informationen zu generieren.

Folgende Beispiele veranschaulichen, welche Zusatzmöglichkeiten sich eröffnen.
Über die Analyse von Temperaturverteilungen in einer Anlage könnten wichtige Zusatzinformationen generiert und Fehlfunktionen frühzeitig erkannt werden. Dazu müssten keine neuen Sensoren installiert werden, sondern es könnten die bereits vorhandenen Temperaturwerte von pH-Sensoren systematisch genutzt werden.
Darüber hinaus können aus einer Kombination von historischen Kalibrierdaten mit den aktuellen Sensordaten Kalibrierintervalle dynamisch angepasst werden. Die Kunden können dank innovativer IIoT Technologien die Kalibrierintervalle verlängern, anstatt wie üblich mit fixen Intervallen zu arbeiten. So wird eine höhere Anlagenverfügbarkeit bei gleichzeitig geringeren Kosten erreicht. Dabei können mit Hilfe von Analyse historischer Daten und aktuellen Werten aus den Sensoren entsprechende Voraussagen getroffen werden. Das Wartungspersonal erhält klare Empfehlungen, wie lange ein Sensor noch betrieben werden kann, bevor er kalibriert werden muss.
Nachfolgend zwei konkrete Beispiele dazu.

Installed Base Audit (IBA)
Das IBA stellt eine einfache und effiziente Methode dar, um Ordnung in die installierte Basis einer Anlage zu bringen. Mit einem web-basierten Werkzeug erhalten Sie eine Auflistung der in Ihrer Anlage verbauten Geräte. Für Geräte von Endress+Hauser werden dabei zusätzliche Daten angezeigt, wie z. B. die Verfügbarkeit des Produktes und – sollte das Produkt nicht mehr erhältlich sein – eine Empfehlung, welche Geräte als Ersatz genutzt werden können. Zur Erfassung der Daten werden einfach die Typenschilder mit dem Smartphone gescannt.
Die Geräte werden dann automatisch für Sie angelegt. Oder Sie nutzen das Endress+Hauser Edge Device, welches für verschiedene Bus-Systeme die Erkennung vollautomatisch durchführt und Änderungen selbständig erkennt.

Smart Metrology
Die zweite Anwendung, die auf der Hannover Messe 2017 gezeigt wurde, hat den Zweck, die Kalibrierungsintervalle zu optimieren. Statt wie bisher mit festen Intervallen zu arbeiten, können mit der IIoT-Technologie die Abstände zwischen den Kalibrierungen verlängert werden. So wird eine höhere Verfügbarkeit (GAE) bei geringeren Kosten erreicht.
Dabei werden mit Hilfe von historischen Daten und aktuellen Werten aus den Sensoren über einen von Endress+Hauser entwickelten Algorithmus entsprechende Voraussagen getroffen. Der Operations Manager erhält eine klare Empfehlung, wie lange ein Sensor noch betrieben werden kann, bevor eine neue Kalibrierung erforderlich wird.

Vom Labor in den Prozess
Eine weitere Entwicklung die sich schon seit Jahren klar abzeichnet, ist der Trend „Vom Labor zum Prozess“. Wenn man eine Probe ins Labor zur Analyse bringt, so kann sich die Probe in dieser Zeit verändern. Gleichzeitig können Korrekturmaßnahmen, die nach dem Analyse­ergebnis nötig werden könnten, nur mit Verzögerung begonnen werden.
Zwei Aspekte, die klar machen, wo die Vorteile der Inline- und Online-Messtechnik liegen, bei denen die Messung direkt in den Prozess integriert wird. Bei der klassischen Einzelparameter-Messtechnik, wie zum Beispiel bei pH, setzt die Inline-Messtechnik bereits den Standard.
Im Bereich der optischen Messtechnik werden Prozess-Photometer eingesetzt, die bei bis zu zwei Absorptionswellenlängen die Farbe bei der Whiskey-Herstellung überwachen oder über die Absorption im UV / VIS oder NIR-Bereich eine Chromatographiesteuerung in der Biotechnologie realisieren.
Bei komplexeren Messtechnologien setzt sich dieser Trend fort. Mit den Raman-Spektrometern unserer Tochter „Kaiser Optical Systems“ ist es z. B. einerseits möglich in Forschungs- oder Qualitätslaboren Einzelmessungen durchzuführen. Andererseits werden diese Geräte bereits jetzt z. B. in der Pharma- und Life Sciences-Industrie direkt in der Produktion inline eingesetzt, um in den Fermentern kontinuierlich viele Parameter wie zum Beispiel Glucose oder Lactat mit einer Messung gleichzeitig zu bestimmen.
Da die Messung durch ein Fenster optisch, ohne direkten Kontakt zu der Probe geschieht bietet diese Integration weitere Vorteile. Zum Beispiel hat die Sterilisierung der Fermenter nach der Produktion keinerlei Auswirkung auf Messergebnisse. Neben dem Einsatz bei den klassischen Stahlfermentern, kann diese Technologie über ein spezielles Sichtfenster genauso bei disposable „Beutelfermentern“ eingesetzt werden und traditionelle Messtechnik ersetzen.
Die Spektrometrie wird sich generell stärker in der Online- und Inline-Prozess­analyse ausbreiten. Hier ist es wichtig, dass man aus einem Laborgerät nicht nur durch einen Prozessanschluss ein Prozessgerät macht, sondern die Technologie aus dem Laborgerät nimmt und in eine Produktarchitektur integriert, die den speziellen Anforderungen von Prozessanalyse-Geräten entspricht. Wenn diese Systeme genauso einfach einsetzbar sein werden wie „normale“ Sensoren, dann wird sich der Einsatz im Prozessumfeld massiv ausweiten.

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