Worauf es beim ressourcenschonenden Wassermanagement in der Prozessindustrie ankommt
Industrielle Wasserwirtschaft für eine nachhaltige Produktion und Standortsicherheit
CO2-Neutralität, Wasserstoffproduktion, Power-to-X-Prozesse, Circular Economy und Zero Pollution stehen derzeit ganz oben auf der Agenda der Prozessindustrie. Wasser ist dabei eine nicht zu ersetzende Ressource, vor allem für die Chemie- und Pharmaproduktion. Gelingt es, die Industriewasserwirtschaft in das Produktions- und Standortmanagement zu integrieren, lässt sich die Prozesseffizienz steigern, werden Kreislauflösungen möglich und die Transformation hin zu einer nachhaltigen Prozessindustrie schreitet voran. Darüber hinaus stärkt eine enge Verzahnung von Produktion und industriellem Wassermanagement die Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben und Standorten, senkt Ausfallrisiken in der Produktion und erhöht die Investitionssicherheit in der Unternehmensentwicklung. Der steigende Wasserstress an vielen Prozessindustriestandorten führt dazu, dass der unternehmerische Erfolg zunehmend von einem effizienten industriellen Wassermanagement abhängt.
Wasser als Schlüssel für die Wasserstoffproduktion
Die Nutzung erneuerbarer Energien sowie deren Speicherung in Form von Wasserstoff oder Folgeprodukten ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine klimaneutrale Prozessindustrie. Eine wachsende Anzahl von Initiativen in verschiedenen Sektoren beschleunigt den Ausbau von Kapazitäten, um Wasserstoff herzustellen und zu nutzen: Über 1.400 internationale Wasserstoffprojekte, sowie eine große Anzahl von Referenzprojekten in Deutschland wie Aquaventus, H2Giga, H2Mare oder Kopernikus unterstreichen diese Entwicklung. Während die Industrie Wasserstoff als Energiespeicher oder für Hochtemperaturprozesse verwendet, fokussieren sich F&E-Projekte auf die Wasserstoffinfrastruktur, Massenproduktion von Elektrolysetechnologien sowie der Synthese von Grundlagenchemikalien auf Basis von Wasserstoff.
Die marktüblichen Elektrolyseure benötigen für die Herstellung von 1 kg grünem Wasserstoff etwa 10 bis 17 kg deionisiertes Wasser. Die Grundlage für grünen Wasserstoff, die grüne oder nachhaltige Energie, lässt sich in sonnen- oder windreichen Regionen besonders wirtschaftlich erzeugen. Allerdings sind die Regionen mit dem höchsten Potenzial für erneuerbare Energien meist auch die Regionen, in denen ein hohes Maß an Wasserstress und damit ein Wasserrisiko besteht. Sind die lokalen Ressourcen erst aufgebraucht, hat das einen irreversiblen Einfluss auf die Region. Alternative Wasserressourcen für die Wasserstoffproduktion werden daher immer wichtiger. Beispiele sind entsalztes Wasser und die Wasserwiederverwendung. Eine wachsende Zahl von Meerwasserentsalzungsanlagen führt dabei zu neuen Herausforderungen bei der Abwasserableitung (Emissionen ins Meer) und eröffnet Möglichkeiten der Verwertung z.B. von Solen und Konzentraten. In Zukunft wird die Produktion von grünem Wasserstoff steigen. Das hat zur Folge, dass Wasser im Produktionsprozess effizienter genutzt und wiederverwendet werden muss, vor allem Kühlwasser und Abwasserströme. Hier setzt ein optimiertes integriertes Wassermanagementsystem an.
Neue Wasserstoffprojekte zielen zunehmend auf die direkte Umwandlung des Wasserstoffs in Basischemikalien und chemische Energiespeicher, wie Ammoniak, Methan oder E-Kerosin. Die in diesem Produktionsschritt freigesetzte thermische Energie kann anderen Prozessen zur Verfügung gestellt werden. Thermische Entsalzungstechnologien mit höherer Effizienz, aber auch die biologische Abwasseraufbereitung können so von der verfügbaren thermischen Energie profitieren und rücken weiter in den Fokus. Diese Entwicklung ist nicht nur für die Wasserstoffwirtschaft von Relevanz, neue Membrantrennverfahren oder Erweiterungen der biologischen Wasseraufbereitung können ebenfalls das industrielle Wassermanagement bei der Prozess- und Energieeffizienz positiv beeinflussen.
„Wasser ist der Schlüssel für die Realisierung großtechnischer Anlagen zur Herstellung von grünem Wasserstoff und seinen Folgeprodukten wie Methanol oder Ammoniak. Deshalb müssen wir von Anfang an ein integriertes Wassermanagement zusammen mit Strategien für erneuerbare Energien und die Wasserstoffproduktion denken. Dies ist die Grundlage für eine erfolgreiche grüne Wasserstoffwirtschaft. Der Anlagenbau und Verfahrenstechnik wie wir sie auf der Achema 2024 sehen werden, liefert hierzu einen entscheidenden Beitrag“, sagt Thomas Track, Leiter des Fachbereichs Wassermanagement bei der Dechema.
Neben erneuerbaren Energien braucht es deshalb effiziente und robuste wasserbezogene Lösungen:
- Fachwissen und Planung für die Produktion von Wasserstoff und PtX und das Wassermanagement müssen Hand in Hand gehen.
- Abwasser- und Wasseraufbereitungstechnologien und Managementkonzepte müssen auf die Produktionsszenarien im Binnenland, an der Küste und im Meer zugeschnitten sein.
- Die Kreislaufführung von Wasser und Stoffströmen muss optimiert werden.
Wasser für die Kreislaufwirtschaft
Kreislauforientierte Innovationen verändern die Industrie weltweit und stehen derzeit ganz oben auf der Tagesordnung der Prozessindustrie. Der Wandel zu einer Circular Economy mit dem Fokus auf dem gesamten Produktlebenszyklus von der Rohstoffbeschaffung bis zur Wiederverwertung erfordert eine umfassende Transformation industrieller Prozesse und Strukturen hin zu Klimaneutralität und langfristiger Wettbewerbsfähigkeit. Die damit einhergehenden Herausforderungen für die Industrie haben auch Auswirkungen auf das industrielle Wassermanagement.
„Die Wertschöpfungskette der künftigen zirkulären Produktion wird einen hohen Anteil an Prozessen in der wässrigen Phase aufweisen“, so Christoph Blöcher, Head of Infrastructure Processes, Materials & Corrosion, Covestro Deutschland. „Daher muss Wassermanagement von Anfang an bei den Prozessentwicklungen berücksichtigt werden. Für die wässrigen Restströme sind neue Ansätze erforderlich, um chemische Energie und Wertstoffe, zum Beispiel Nährstoffe, zurückzugewinnen.“
Neben der klassischen Rolle in der industriellen Produktion und Kühlung rückt die Ressource Wasser daher zunehmend in neuen industriellen Anwendungsfeldern in den Fokus. Verfahren der Abwasser- und Wasserbehandlung werden sich insgesamt wandeln, von einer Wasserreinigung hin zur Nutzung der Inhaltsstoffe, des Wassers und der darin enthaltenen Wärmeenergie durch Rückgewinnung.
Chemische Recyclingverfahren ebenso wie Prozesse auf Basis nachwachsender Rohstoffe und biotechnologische Verfahren erzeugen wässrige Restströme, die durch einen hohen Volumenstrom und hohe organische und Salzfrachten gekennzeichnet sind. Die Zusammensetzung der Prozesswässer bei Recyclingverfahren bringt deshalb vollkommen neue Herausforderungen mit sich. Beispiele sind das chemische Recycling von Kunststoffen, von Verbundwerkstoffen wie Hochleistungs-Leichtbauwerkstoffe, Composite für die Elektromobilität oder von polymetallischen Verbundwerkstoffen in elektronischen Bauelementen, Batteriezellen oder Leichtbaulegierungen. Neben den chemischen Verfahren werden vielfältige biotechnologische Ansätze verfolgt, um Kunststoffe zu recyclieren, einschließlich des Einsatzes enzymatischer Verfahren. Diese sind häufig mit einem steigenden Wasserbedarf verbunden. Um diesen Anforderungen zu begegnen, müssen übergreifende technologische Ansätze und Verfahren zur Aufbereitung von Abwässern entwickelt, erprobt und implementiert werden.
Pharma und Wasserstoffproduktion
Nicht zuletzt durch die Coronapandemie hat die Pharmaproduktion weiter an Bedeutung gewonnen und Innovationen auf den Weg gebracht. Für die Pharmaindustrie, Teile der industriellen Biotechnologie und den Laborbereich fokussiert das industrielle Wassermanagement auf Wasser für Injektionszwecke (Water for Injection, WFI) und Reinstwasser (Ultra Pure Water).
Steigende Investitions- und Unterhaltungskosten, hohe Energiepreise sowie zunehmende Bedenken von Verbrauchern gegenüber den Umwelteinflüssen von Produktions- und Verpackungsrückständen sorgen für ein Umdenken vieler Pharmaunternehmen hin zu nachhaltigeren Produktionsmöglichkeiten. Seit 2017 ist es auch in Europa erlaubt, Wasser für Injektionszwecke nicht mehr ausschließlich mittels Destillation, sondern z.B, auch mittels Membranverfahren herzustellen. In den USA und anderen Teilen der Welt ist dieses Verfahren seit vielen Jahren Standard. Diese Herstellungsvariante ist nicht nur flexibler und energieeffizienter, für Betreiber von WFI-Systemen bietet sie auch Vorteile bei den Investitions- und Produktionskosten, beim Platzbedarf, bei Service- und Wartungsleistungen, sowie bei der Erweiterbarkeit der Systeme in der Produktionsmenge und verschiedenste, verfahrenstechnische Optionen.
Marktanalysen wie die von Transparency Market Research sehen den aktuellen globalen Markt von Wasser für Injektionszwecke bei über 20 Mrd. USD (2021), mit einer Wachstumsperspektive auf über 50 Mrd. USD in den kommenden zehn Jahren.
Der globale Trend zu einer grünen Wasserstoffwirtschaft führt zu einem steigenden Wasserbedarf für den Betrieb von Elektrolyseuren. Im Fokus stehen dabei Wasseraufbereitungssysteme und Kreislaufreinigungsanlagen für Ultra Pure Water. Dieser Trend lässt auch eine positive Entwicklung des Marktes von Reinstwassersystemen für die Elektrolyse erwarten.
„Der aktuelle Bedarf an Reinstwassersystemen ist noch vom Boom der Pharmaindustrie der vergangenen Jahre geprägt und bekommt zusätzlichen Aufwind durch die aktuell stark expandierende Produktion von grünem Wasserstoff“, sagt Eva Bitter, Geschäftsführerin der Envirofalk Pharmawatersystems.
Das Wassermanagement optimieren
Digitale Technologien werden eingesetzt, um die Effizienz zu steigern, den Ressourcenverbrauch zu reduzieren und Stoffkreisläufe zu schließen. In der Prozessindustrie gilt dies auch an der Schnittstelle von Wassermanagement und industrieller Produktion. Sei es, um modulare, dynamische und flexible Produktionsansätze zu etablieren oder Versorgungssicherheit über ein integriertes Wasserressourcenmanagement zu realisieren: Die erforderlichen Informationen zu erfassen und die entstehenden Datenströme zu verarbeiten gelingt nur durch Nutzung digitaler Werkzeuge.
Besonders an der Schnittstelle von industrieller Produktion und industriellem Wassermanagement lassen sich komplexe Anlagengefüge zur Überwachung und Steuerung mit IoT/IIoT-basierten Geräten und Sensoren verknüpfen. Die Verarbeitung (z.B. mit künstlicher Intelligenz) großer Datenmengen (Big Data) kann kostenflexibel ausgelagert werden (edge vs. cloud). Zur Verarbeitung und effizienten Nutzung der Ressourcen sind diese Technologien unerlässlich. Die gewonnen Informationen können in Distributed Ledger (DLT) gesichert werden und sind so eine Grundlage für automatisierte und transparente Verträge (Smart Contracts). Alle diese Technologien bringen Lieferanten, Hersteller und Kunden enger zusammen und ermöglicht erst eine Übersicht entlang der Lieferkette. Die Achema 2024 bildet diese Verknüpfungen in der Ausstellung mit ihrem Digital Hub und der Mess-, Regel - und Prozessleittechnik ab.
„Die Digitalisierung in der Wasserwirtschaft („Wasser 4.0“) hat sich zu einem Schlagwort entwickelt und wird in öffentlichen, wie auch in privaten Bereichen zu weitreichenden Veränderungen führen. Unternehmen stehen seit geraumer Zeit vor der Herausforderung, sich strategisch an die neue digitale Welt anzupassen und zu diesem Zweck ihre Strategie, Geschäftsmodelle und Kulturen zu überdenken. Unterlässt eine Organisation diesen wichtigen Schritt, wird sie ihre Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit verlieren“, so Christian Gutknecht, Branchenmanager Wasser bei Endress+Hauser.
Wasser ist eine ausschlaggebende Ressource für die Prozessindustrie und die Energieversorgung, gleichzeitig aber auch eine der am stärksten gefährdeten Ressourcen. Vor allem im Kontext der Energiewende und der Nutzung erneuerbarer Energien ist das Zusammenspiel der Einzelprozesse entscheidend. Hier können digitale Zwillinge eine entscheidende Rolle spielen. Sie können in Echtzeit die erhöhten Anforderungen an die Anlagendynamik simulieren, die Produktion anpassen und so den entscheidenden Wettbewerbsvorteil sichern. Die steigenden Anforderungen an die Versorgungssicherheit, Produktqualität und Anlageneffizienz lassen sich nur durch die digitale Transformation der traditionellen Produktion erfüllen. Der Trend wird durch zahlreiche Konsortien angeführt. Diese erarbeiten weltweit gültige Standards für Kommunikation und Anlagensicherheit und beschleunigen so die digitale Transformation.
Fazit
Die breite Vielfalt an Prozessen und Technologien – Wasserstofferzeugung, Circular Economy, Pharmaproduktion und digitale Integration – macht deutlich: Ein effizientes Wassermanagement ist zentraler Bestandteil der Prozessindustrie. Dies gilt über all ihre Skalen hinweg, von der Anlage über Betrieb und Standort bis hin zu gesamten Unternehmen. Im Gegensatz zur Energie- und Rohstoffbasis der Prozessindustrie sind der Substitution von Wasser in der industriellen Nutzung enge Grenzen gesetzt. Erst durch ihr intensives Zusammenspiel können industrielle Produktion und Wassermanagement ihr volles Potenzial für eine Green, Circular und Net-Zero Economy ausspielen.
Autoren:
Christina Jungfer, Senior Expert Water Reuse, Dechema
Andres Lucht Uribe, Senior Expert Digital and Hydrogen, Dechema
Thomas Track, Head of Subdivision Water Management, Dechema