Personal & Karriere

VAA-Chancengleichheitsumfrage: Zu viele Ziele, weniger Wertschätzung

Unzufriedenheit unter Führungskräften steigt, unabhängig vom Geschlecht

25.04.2016 - „Selten Karriere und vielfach benachteiligt“ – so lautete im Jahr 1990 das Resümee zur beruflichen Situation von Akademikerinnen der ersten Chancengleichheitsumfrage des Verbands angestellter Akademiker und leitender Angestellter der chemischen Industrie (VAA).

Seitdem befragt der Verband seine Mitglieder im regelmäßigen Turnus von fünf Jahren zu diesem Thema. Dr. Andrea Gruß sprach mit Gerhard Kronisch, Hauptgeschäftsführer beim VAA – Führungskräfte Chemie, über die Ergebnisse der aktuellen Umfrage aus dem Jahr 2015.

CHEManager: Erinnern Sie sich noch an die erste VAA-Umfrage zur Chancengleichheit?

G. Kronisch: Ja, sehr gut. Ich kam damals gerade zum VAA. 1990 gab es noch den Arbeitskreis Akademikerinnen, der später im Arbeitskreis beziehungsweise der Kommission Diversity aufgehen sollte, und der Verband zählte insgesamt 600 Frauen zu seinen Mitgliedern, das entsprach einem Anteil von rund 4 %. 400 von ihnen nahmen an der Umfrage teil. Das war eine sensationelle Rücklaufquote.

Hatten die befragten Frauen eine Führungsposition in ihren Unternehmen?

G. Kronisch: Nur sehr wenige. Alle Frauen waren Akademikerinnen, hatten also einen Hochschulabschluss, aber nur rund 10 % − gerade mal 40 in absoluten Zahlen − hatten eine Führungsposition inne. 90 % waren in einer Sachbearbeiterfunktion tätig.

Inzwischen ist der Anteil weiblicher Mitglieder im VAA auf über 18 % beziehungsweise über 4.000 Frauen gestiegen. Bei den unter 45-Jährigen liegt der Anteil der weiblichen Mitglieder sogar noch deutlich höher, bei etwa 32 %.

Nach den Ergebnissen der aktuellen Umfrage von 2015 sind heute rund zwei Drittel unserer weiblichen Mitglieder außertarifliche Angestellte und weiteres Viertel nimmt eine leitende Position ein.

Welche weiteren Trends beobachten Sie, wenn Sie die vergangenen Chancengleichheitsumfragen vergleichen?

G. Kronisch: Die Zufriedenheit mit der beruflichen Entwicklung nimmt ab, und zwar unabhängig vom Geschlecht. Seit dem Jahr 2000 befragen wir nicht nur unsere weiblichen, sondern auch die männlichen Mitglieder zum Thema Chancengleichheit. Während vor 15 Jahren noch 64 % der Frauen antworteten, zufrieden mit ihrer beruflichen Entwicklung zu sein, sank dieser Anteil sukzessive und liegt bei der aktuellen Befragung nur noch bei 36 %. Unter den befragten Männern zeigte sich der gleiche Trend: Hier sank die Quote der „Zufriedenen“ von 75 % auf 51 %. Analysiert man den Anteil der Unzufriedenen in Abhängigkeit vom Alter, so liegt dieser bei den über 47-Jährigen nochmal um sieben Prozentpunkte höher.

Inwieweit wirkt dieser Trend auf Ihre Verbandsarbeit?

G. Kronisch: Wir bekommen ihn hautnah mit. Die steigende Unzufriedenheit im Job spiegelt sich in einem hohen Beratungsbedarf unserer Mitglieder wider. Die Zahl der schriftlichen Rechtsanfragen hat sich seit 2009 vervierfacht. Die Zahl der telefonischen Beratungen in etwa verneunfacht. Wir haben daher unser Team verstärkt und beschäftigen jetzt zehn Juristen, acht in Köln und zwei in Berlin.

Worauf führen Sie die steigende Unzufriedenheit zurück?

G. Kronisch: Eine Ursache sind sicherlich die zahlreichen Umstrukturierungen in der Chemiebranche, dies belegen auch die jährlichen VAA-Befindlichkeitsumfragen unter Führungskräften: Unternehmen, die restrukturieren, fallen hier oft im Ranking zurück. Unabhängig davon ist Zufriedenheit eine Frage der Wertschätzung. Immer mehr Angestellte haben das Gefühl, dass ihre Arbeit nicht wertgeschätzt wird. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Unserer Meinung nach, und das belegen auch die Themen aus der VAA-Rechtsberatung, tragen die Leistungsbeurteilungssysteme der Unternehmen maßgeblich zur steigenden Unzufriedenheit bei. Die Vielzahl an Zielen und die Komplexität von Zielvereinbarungen führt zu Frustration statt zu Motivation. Das haben einige Unternehmen erkannt und arbeiten daher daran, ihre Leistungsbewertungssysteme zu vereinfachen.

Im Jahr 2007 wurde das Erziehungsgeld durch das Elterngeld abgelöst. Seitdem kann der Anspruch auf Elterngeld über zwei Partnermonate auf insgesamt 14 Monate ausgeweitet werden. Wie wird dieses Angebot von Akademikerinnen und Akademikern in der Chemie genutzt?

G. Kronisch: Der Anteil der Umfrageteilnehmer, die Elternzeit beansprucht haben, ist seit der letzten Befragung deutlich gestiegen. Während 2010 25 % der Frauen in Elternzeit gingen, waren es 2015 bereits 35 %. Bei den Männern stieg der Anteil von 2 % auf 15 %. Insgesamt beanspruchte ein Viertel aller Befragten Elternzeit, und zwar im Schnitt rund 14 Monate.

Im März 2015 trat die Frauenquote für Aufsichtsräte in „mitbestimmten“ Unternehmen in Kraft. Wie steht der VAA zur Frauenquote?

G. Kronisch: Wir fordern die Quote nicht vehement ein, unterstützen sie aber, weil wir der Meinung sind, dass sie ein positives Signal für die oberen Führungskräfte und die leitenden Angestellten gibt. Viele Unternehmen, die diese Quote für ihren Aufsichtsrat bereits erfüllen, tun dies im Übrigen, weil Sitze auf der Arbeitnehmerbank von Frauen besetzt werden.

In Schweden gibt es die Frauenquote schon seit vielen Jahren und sie wird heute in den Vorständen und im oberen Management bereits „übererfüllt“. Ich bin zuversichtlich, dass künftig auch in Deutschland der Anteil der Frauen in den Unternehmensvorständen wachsen wird, denn der Anteil an Frauen im mittleren und oberen Management steigt.

Welchen Beitrag leistet der VAA, um Frauen in Führungspositionen zu fördern?

G. Kronisch: Wir haben Anfang Februar mit einer Auftaktveranstaltung im Beisein von BASF-Vorstandsmitglied Magret Suckale einen neues Netzwerk mit dem Namen VAA connect ins Leben gerufen. Dort pflegen unsere weiblichen Mitglieder ihr persönliches Netzwerk. Darüber hinaus haben wir zum Beispiel eine EU-geförderte Leonardo-Lernpartnerschaft zur beruflichen Aus- und Weiterbildung initiiert, in deren Rahmen wir ein praxisorientiertes Workshopformat für weibliche Führungskräfte entwickelt haben. An dem Projekt waren die Chemie-Führungskräfteverbände aus Frankreich, Großbritannien und Schweden beteiligt. Des Weiteren konnten wir das Führungskräfte-Institut FKI als Projektpartner gewinnen. Im Mittelpunkt der 24-monatigenPartnerschaft stand der direkte Austausch. Alle drei Monate haben wir ein Arbeitstreffen in je einem der Partnerländer organisiert.

Welche Unterschiede, welche Gemeinsamkeiten haben Sie dabei beobachtet?

G. Kronisch: Die Unterschiede liegen vor allem in der unterschiedlichen Arbeitskultur und in den gesetzlichen Rahmenbedingungen, die sich sicherlich teilweise auch gegenseitig bedingen. Schweden bietet bessere Voraussetzungen für weibliche Führungskräfte im Hinblick auf Elternzeitregelungen, Mutter- und Vaterschaftszeiten, Pflegezeiten als beispielsweise Großbritannien. Auch die Förderung innerhalb der Unternehmen, die gesamte Unternehmenskultur ist eine andere, was sich auch auf die persönliche Wahrnehmung der eigenen Situation auswirkt. So gibt es zum Beispiel eine Präsenzkultur, wie sie in Deutschland stark ausgeprägt ist, in Schweden nicht. Im Gegenteil: Wer dort nach 18 Uhr noch an seinem Schreibtisch sitzt, riskiert gefragt zu werden, ob er private Probleme hat.

Unabhängig von diesen Unterschieden sind die wesentlichen Herausforderungen an Frauen bei ihren Karrierewegen in der chemischen Industrie jedoch in allen vier Ländern sehr ähnlich. Es geht um die Balance von Karriere und Familie, das Nutzen geeigneter Netzwerke, das Finden geeigneter Mentoren, die richtige Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und den Umgang mit männlichen Vorurteilen. Diese Themen adressieren wir in unserem Workshop.

An wen richtet sich der Workshop?

G. Kronisch: Wir bieten das Seminar über das Führungskräfte-Institut als offenen Workshop und als Verband als Inhouse-Seminar in Unternehmen an. Mit dem Workshop wollen wir vor allem Frauen – und auch interessierte Männer – erreichen, die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen und ihnen Mut für die Entwicklung ihrer Karriere geben und bei Entscheidungsprozessen helfen.

Für Frauen, die bereits in ihrer Karriere fortgeschritten sind, kann der Workshop nur noch wenig ausrichten. Er kann aber sehr wohl die Basis dafür schaffen, dass mehr Frauen zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtige Person treffen, um die gläserne Decke zu durchbrechen und in das obere Management und die Vorstände der deutschen Chemieindustrie aufsteigen.

Kontakt

VAA – Führungskräfte Chemie

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