Wachstumschance Geschäftsmodellinnovation
Ergebnisse der Studie: Von den Megatrends zum Geschäftserfolg, Teil 3
Seit seiner Ausgliederung von Bayer im Jahr 2004 erlebte der Spezialchemiekonzern Lanxess über Jahre eine Wachstumsphase, die branchenweit für Aufmerksamkeit sorgte: Steigende Umsätze, kletternde Gewinne und die Aufnahme in den Aktienindex DAX im Jahr 2012 sind nur einige Indizien für den Erfolg des Konzerns. Mit Hinblick auf das abgeschlossene Geschäftsjahr 2012 verkündete der damalige Vorstandsvorsitzende Axel Heitmann im März 2013, dass man die bislang beste Wachstumsstory erlebt und sich das Geschäftsmodell von Lanxess einmal mehr bewährt habe. Nur ein Jahr später stellte sich die Situation dramatisch anders dar.
Kunden bauten Kapazitäten ab, während Lanxess Kapazitäten aufbaute, an den Märkten standen die Zeichen auf Preisverfall, Lanxess schloss das Geschäftsjahr 2013 mit einem Verlust in Höhe von 159 Mio. EUR ab und Heitmann wurde durch Matthias Zachert ersetzt. Der neue Vorstandsvorsitzende schlussfolgerte nach einer unternehmensweiten Analyse im August 2014, dass ein neues Geschäftsmodell nötig sei und Lanxess deutlich wettbewerbsfähiger werden müsse.
Wie das Beispiel Lanxess zeigt, ist es nicht trivial, die Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Geschäftsmodells zu bestimmen und ein von Veränderungen in der Wettbewerbslandschaft bedrohtes Geschäftsmodell neu zu erfinden. Die Branchenstudie „Von den Megatrends zum Geschäftserfolg“ hat sich daher mit der Frage befasst, wie Unternehmen der chemischen und pharmazeutischen Industrie ihre Geschäftsmodelle an Veränderungen in der Wettbewerbslandschaft anpassen und wie sie neue Geschäftsmodelle erfolgreich entwickeln können, um Wachstumschancen optimal nutzen zu können.
Was ist ein Geschäftsmodell?
Obwohl in der chemischen und insbesondere in der pharmazeutischen Industrie Geschäftsmodelle und deren Innovation zunehmend Aufmerksamkeit erfahren, ist das Wissen um das eigene Geschäftsmodell unterhalb der Unternehmensspitze häufig nur schlecht ausgeprägt und damit gerade an der Stelle, wo dieses umgesetzt und notwendige Veränderungen am Geschäftsmodell erkannt werden sollen. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Manager das Konzept des Geschäftsmodells mit verwandten Konzepten wie der Wettbewerbsstrategie verwechseln. Ein Geschäftsmodell beschreibt, wie ein Unternehmen
Werte schafft und einen Teil dieser Werte für sich erschließt. Es besteht aus vier miteinander verwobenen Elementen: dem Wertversprechen an den Kunden, der Gewinnformel, den Schlüsselressourcen und den Schlüsselprozessen. Manche Geschäftsmodelle sind dabei eher kostenbasiert während andere eher wertbasiert sind. Auch können verschiedene Geschäftsmodelle unter dem Dach des gleichen Konzerns erfolgreich koexistieren. Der US-Chemiekonzern Dow Corning betreibt bspw. zwei Geschäftsmodelle parallel: Ein kostenbasiertes unter der Marke Xiameter und ein wertbasiertes unter der Dow Corning Marke.
Welche Bedeutung hat das Management von Geschäftsmodellen in der Branche?
Chemie- und Pharmakonzerne müssen sich intensiver als zuvor mit dem Management von Geschäftsmodellen befassen. Um Wachstum innerhalb und außerhalb des Kerngeschäfts zu erzielen, setzen immer mehr Unternehmen der Branche bei der Kommerzialisierung neuer Produkte auf Partnerschaften und Kooperationen und bauen ihre Venturing-Aktivitäten aus. In Konsequenz steigt die Vielfalt an Geschäftsmodellen im Konzern und damit der Bedarf, Geschäftsmodellportfolios zu managen. Das Geschäftsmodellportfolio wird auch durch neue funktionelle Materialien und Systemlösungen vielfältiger, die häufig mit den klassischen Geschäftsmodellen nicht oder nur schlecht kommerzialisiert werden können. Erschließen neue Technologien neue Anwendungsfelder, kommt der Entwicklung passender Geschäftsmodelle eine wichtige Bedeutung zu, um Wachstumschancen erfolgreich zu nutzen. Eine weitere Branchenveränderung, insbesondere in der Pharmaindustrie, ist die Suche nach neuen Arten der Wertschöpfung.
Dazu zählen einerseits Geschäftsmodelle zur erfolgreichen Einbindung bisher weitgehend vernachlässigter Bevölkerungsschichten in den Entwicklungsländern. Entwicklungsländer werden noch oft als reine Produktions- oder kostengünstige Forschungsstandorte wahrgenommen. Selbst wenn mit lokalen Mitarbeitern vor Ort entwickelt und produziert wird, bleiben die Geschäftsmodelle häufig unverändert. Dabei ist ein Verständnis für die spezifischen Gegebenheiten vor Ort essentiell, um ein erfolgreiches Geschäft aufzubauen.
In der Pharmaindustrie wird es außerdem zunehmend schwieriger, mit dem klassischen Blockbuster-Modell Wertschöpfung zu erzielen und so gewinnt die Transformation bestehender Geschäftsmodelle an Bedeutung. Pharmakonzerne haben daher begonnen, Bausteine ihres Geschäftsmodells systematisch zu überdenken. GlaxoSmithKline setzt bspw. in den frühen Phasen der Produktentwicklung zunehmend auf kleinere, eigenverantwortliche F&E-Teams („Discovery Performance Units“) und nutzt verstärkt Patent Pools, um die Erforschung von Medikamenten für seltene Krankheiten zu optimieren. Schließlich sieht sich die Branche auch Veränderungen im Wettbewerb ausgesetzt, die den Zeitraum, in dem mit einem klassischen Spezialitäten-Geschäftsmodell Wertschöpfung erzielt werden kann, deutlich verkürzen. Treiber der Kommoditisierung sind dabei Effekte der Megatrends, wie steigende Dynamik in den globalen Wertschöpfungsketten und intensiverer Innovationswettbewerb. Zwar ist dieses Problem bekannt, wird aber bislang kaum aus der Geschäftsmodell-Perspektive betrachtet. Statt aus der Neuerfindung des eigenen Geschäftsmodells Wachstumschancen zu generieren, greifen viele Spezialitätenanbieter noch immer auf stärkere Produktdifferenzierung oder die Bündelung von Produkten mit ergänzenden Serviceleistungen zurück, um dem Preis- und Margendruck zu begegnen. Diese Maßnahmen erweisen sich kurzfristig zwar als hilfreich, führen jedoch letztlich oft zur Abstoßung der betroffenen Segmente. Die Ausgliederung der betroffenen unteren Marktsegmente ist keine unpopuläre Strategie, führt bei Wiederholung jedoch allmählich zur Verdrängung des Unternehmens aus dem Markt. Schwenkt die Basis des Wettbewerbs zu Kosten, bietet Geschäftsmodellinnovation die Chance, das Geschäft neu zu beleben. Im unteren Marktsegment erfolgreich Wachstum zu generieren ist möglich, erfordert jedoch fast immer den Bruch mit den etablierten Spielregeln der Branche.
Wie setzt man Geschäftsmodellinnovationen erfolgreich um?
Der erwähnte Bruch mit den Spielregeln einer Branche fällt etablierten Unternehmen aus zwei Gründen häufig schwer. Eine erhebliche Barriere gegen Geschäftsmodellinnovation ist das sog. Wahrnehmungsproblem. Es entsteht aufgrund von Zufriedenheit mit dem Status Quo, fehlenden Anreizen eine sichere Gegenwart gegen eine ungewisse Zukunft zu tauschen und der Sorge vor Kannibalisierung des bestehenden Geschäfts. Überwindet man das Wahrnehmungsproblem, steht der Entwicklung eines neuen Geschäftsmodells eine zweite Barriere, das Übergangsproblem, im Weg. Es hat seine Ursachen in struktureller Trägheit des Unternehmens, kulturellen Hürden, internen Vorschriften und Regeln, sowie der Schwierigkeit, bestehende Kompetenzen zügig anzupassen und neue Kompetenzen zu entwickeln. In unserer Studie haben wir untersucht, wie Wahrnehmungs- und Übergangsprobleme überwunden werden können und welche Faktoren einen positiven Einfluss auf Geschäftsmodellinnovationen haben. Um notwendige Veränderungen am etablierten Geschäftsmodell zu erkennen, sollten Unternehmen sich in einem ersten Schritt auf die Aufgabe oder das Problem fokussieren, dass der Kunde erledigen oder lösen möchte. Im zweiten Schritt wird geschaut, wie das Unternehmen dem Kunden bei der Erledigung dieser Aufgabe helfen und das Wertversprechen an den Kunden profitabel erfüllen kann. Dieser Entwurf wird anschließend mit dem aktuellen Geschäftsmodell verglichen.
Diese Schritte stärken die Wahrnehmungsfähigkeit des eigenen Geschäftsmodells und können analog ebenso für einen Vergleich mit den Wettbewerbern genutzt werden. Wie in Grafik 1 zu erkennen ist, nehmen erfolgreiche Unternehmen Geschäftsmodelle besser wahr. Auch der Blick in andere Branchen ist ein wichtiger Baustein, die Wahrnehmungskompetenz zu stärken. Sicherlich wird Evonik nicht das Geschäftsmodell von Apple 1:1 übernehmen können, aber die Frage, wie das Geschäftsmodell von Evonik aussehen würde, wenn Evonik Apple wäre, ist ein kreatives Gedankenspiel, das hilft, die Grenzen des eigenen Geschäftsmodells zu erkennen und neue Wege der Wertschöpfung zu identifizieren. Die Schwierigkeit dabei ist, dass in Unternehmen ein sehr beharrliches Erinnerungsvermögen existiert, das der Identifikation neuer Arten der Wertschöpfung im Wege steht. Dieses reflektiert sich in den Schlüsselprozessen des etablierten Geschäftsmodells in Form von Vorschriften, Kennzahlen und Normen, z.B. Investitionsregeln, Umgang mit Zulieferern und Margenanforderungen, aber auch in der Unternehmenskultur – die Elemente, die das bestehende Geschäftsmodell effizient machen, sind also gleichzeitig die erste Hürde gegen Veränderungen.
Anschließend steht die Organisation der Transformation an, d.h. Unternehmen stehen vor der Frage, ob ein separates Geschäftsmodell aufgebaut oder das neue in das alte Geschäftsmodell integriert werden soll. Auf den ersten Blick erscheint eine Separation hilfreich, um nicht vom Erinnerungsvermögen des etablierten Unternehmens gestört zu werden. Dies ist jedoch oft nicht praktikabel, da der Zugriff auf Ressourcen des bestehenden Unternehmens oft entscheidend für das Wachstum eines neuen Geschäftsmodells ist. Wann also separieren, wann integrieren? Hierzu haben Charitou und Markides eine einfache Faustregel entwickelt: Ist die Art des Konflikts zwischen den beiden Geschäftsmodellen hoch und besteht eine geringe strategische Beziehung zwischen den Zielmärkten der beiden Geschäfte, empfiehlt sich die Separation, ist die Art des Konflikts gering und die Zielmärkte haben eine hohe strategische Beziehung, die Integration.
Eine letzte, jedoch zentrale, Fähigkeit das Übergangsproblem zu lösen, liegt in der strategischen Lernfähigkeit des Unternehmens (vgl. Grafik 2). Da es beim Aufbau eines neuen Geschäftsmodells viele Unwägbarkeiten gibt, kommt der Fähigkeit, Erkenntnisse aus strategischen Experimenten mit den Elementen des Geschäftsmodells und deren Verknüpfung zu gewinnen, eine hohe Bedeutung zu, denn die Lösung dieser kritischen Unwägbarkeiten entscheidet über Erfolg oder Misserfolg der Geschäftsmodellinnovation. Eine Möglichkeit, die Chance zu erhöhen, ein passendes Geschäftsmodell zu finden, ist es, Vielfalt zu schaffen, also bspw. unterschiedliche Geschäftsmodelle an unterschiedlichen Standorten zu testen und dann den Markt über die finale Umsetzung entscheiden zu lassen. Unternehmen der chemischen und pharmazeutischen Industrie, die Geschäftsmodellinnovation angehen, sollten ihren Fokus daher gleichermaßen auf Lernen und Anpassen, wie auf Durchführung und Umsetzung richten. Dies erfordert diszipliniertes Management, Führungsstärke und eine Unternehmenskultur, in der Fehler zugelassen sind und aus diesen schnell gelernt wird. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Unternehmen, die ihr bestehendes Geschäftsmodell gut kennen, die konkurrierende Geschäftsmodelle parallel managen können und die in der Lage sind, aus strategischen Experimenten mit neuen Geschäftsmodellen zu lernen, transformatives Wachstum durch Geschäftsmodellinnovation besser erreichen können.
Von den Megatrends zum Geschäftserfolg
Die Studie "Von den Megatrends zum Geschäftserfolg: Managementimplikationen der Megatrends für die chemische und pharmazeutische Industrie in Deutschland“ widmet sich konkreten Folgen der Megatrends für das Management von Chemie- und Pharmaunternehmen. Die Studie wurde im Frühjahr 2014 durch ein Projektteam bestehend aus der Universität Münster, der Provadis Hochschule, dem Verband der Chemischen Industrie (VCI), der Strategieberatung PwC strategy& sowie CHEManager durchgeführt. In fünf Beiträgen stellen wir einige Ergebnisse der Studie bei ausgewählten Themen vor. Die inzwischen erschienene Publikation der Studienergebnisse finden Sie zum hier zum Download!
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