Indien bietet Chemieunternehmen Chancen
Eine Markteintrittsstrategie muss aber Rückschläge oder Verzögerungen beinhalten
Als attraktiver Chemiemarkt hat sich Indien bislang noch nicht in den Köpfen europäischer Unternehmer etablieren können. „Zu schwierig“, winken manche ab. Doch die Mühe lohnt, sagt Indien-Spezialist Dr. Jörg Straßburger vom Beratungsbüro Go East Advisors. „In Indien schlummert viel Potenzial.“ Die Chancen, die sich für europäische Unternehmen daraus ergeben, sind groß, vor allem jetzt, da die neue Regierung in Mumbai entsprechende Weichen stellt und sich gegenüber ausländischen Investoren offen zeigt.
Indien zählt mit zu den attraktivsten Märkten weltweit. Auch wenn sich das Wachstum in den letzten Jahren auf 5,5 % p.a. verlangsamt hatte, hat Indien nichts von seiner Attraktivität verloren, wissen Insider. Es ist ein Land mit hoher Dynamik: Mit einer Bevölkerung von etwa 1,3 Mrd. Menschen ist Indien nach China das Land mit den meisten Einwohnern. Das Wachstum lässt sich am wachsenden Mittelstand ablesen, dem heute schon 25 Mio. Haushalte zugerechnet werden. Laut McKinsey soll die Mittelschicht bis 2025 auf 500 Millionen Personen klettern. In Sachen Konsum, etwa bei Motorrädern, Traktoren, LKW Mobilfunkanschlüsse etc. zählt Indien bereits heute zu den Top 3 weltweit – mit immer noch großem Potenzial. Dagegen ist der Pro-Kopf-Verbrauch etwa bei PKW, Kunststoffen und Agrochemikalien auch im Vergleich zu anderen Entwicklungsländern immer noch gering. In diesen Bereichen ist Indien immer noch ein schlafender Riese.
Fokussierung auf Wirtschaftsentwicklung
Regierung und Wirtschaft haben den Handlungsbedarf erkannt und lassen sich von Experten die wichtigsten Handlungsfelder aufzeigen. Auf einer Konferenz, organisiert vom Indian Chemical Council gemeinsam mit dem Department of Chemicals and Petrocheminals, Government of India, in Mumbai unter dem Motto Mission „Make in India“ waren die Berater von Go East Advisors wichtige Gesprächspartner und Referent. Mit großem Interesse waren die Teilnehmer den Ausführungen gefolgt, die zugleich den Finger in die Wunde der indischen Wirtschaft gelegt haben. Politik und Wirtschaft sind sich einig: Es gibt viel zu tun. Und es wird sich lohnen, endlich anzupacken. Die Fokussierung auf die Wirtschaftsentwicklung wird international bereits mit Interesse verfolgt. IMF und Weltbank prognostizieren für die nächsten Jahre ein steigendes Wirtschaftswachstum von bis zu 7 %. Bereits in 2016, so die Prognosen, werde das indische Wachstum China überholen. Die positive Entwicklung wird sich auch auf den privaten Konsum auswirken. Die Nachfrage nach Autos, Kühlschränken aber auch Verbrauchsgüter des täglichen Bedarfs wird steigen. Experten meinen, es sei keineswegs zu optimistisch, von zweistelligen Wachstumsraten auszugehen – in vielen Bereichen.
Was bislang jedoch fehlt, ist eine solide Rohstoff- und Zwischenproduktbasis für diese Produkte. Und genau da liegen die Chancen für die Chemieindustrie, die dann in Indien eine deutlich größere Rolle spielen muss. Die Stunde der Investoren ist gekommen. Diese Entwicklung, die sich jetzt durch die Fokussierung der neuen Regierung verstärkt, zeichnete sich schon seit geraumer Zeit ab. In den letzten Jahren sind die Importe – nicht nur im Chemiesektor – deutlich stärker gewachsen, als die heimische Produktion. Heute weiß man, dass die lokale Produktion langfristig nicht nur die Importe wird ersetzen müssen; sie wird dringend gebraucht, um den Wachstumsmotor auf Touren zu halten. An dieser Entwicklung können europäische Unternehmen partizipieren. Je früher sie mit den Aktivitäten vor Ort beginnen, umso größer Sind die Chancen auf herausragende Marktpositionen nicht nur in Indien, sondern zusätzlich auch im mittleren Osten und in Afrika. Indien kann zum Schlüssel für diese Märkte werden. Wenn man jetzt handelt.
Chancen auf starke Marktpräsenz
Indiens Chemieindustrie ist geprägt durch wenige große und sehr viele kleine Unternehmen. Es fehlt aber der große Mittelstand mit Umsätzen über 50 Mio. EUR. Während die großen indischen Konzerne sich auf die Massenchemikalien und die Petrochemie konzentrieren, liegt der Fokus bei den kleinen und mittelständigen Unternehmen auf der Spezialchemie und auf agrochemischen und pharmazeutischen Zwischen- und Endprodukte. Diese Unternehmen bieten gute Möglichkeiten für Kooperationen und Joint Ventures vor allem für jene Investoren, die auf diesem Markt nicht alleine bei Null anfangen wollen.
Nicht nur in Indien weiß man: Nach einer reinen Importtätigkeit ist die Investition in eine eigene Produktion ein logischer und konsequenter Schritt, um eine stärkere und dauerhaft wachsende Marktpräsenz zu erlangen. Indien ist offen und bereit für ausländische Investoren. Anders als in anderen, mehr protektionistisch orientierten Ländern dürfen ausländische Unternehmen im Bereich der Chemieindustrie auch ohne indischen Partner eigenständig investieren. Dass auch Mittelständler hier Erfolg haben können, haben deutsche und europäische Firmen bereits bewiesen.
Bei allen Erfolgsaussichten gibt es wichtige Aspekte zu berücksichtigen. Wer beispielsweise mit hohen Erwartungen an die Effizienz in der Verwaltung antritt, wird schnell eines Besseren belehrt. Es gibt darüber hinaus für einige Registrierungsprozesse noch keine definierten Verfahren (es gibt z.B. keine Biozid-Richtlinie). Nicht alles lässt sich improvisieren und manches wird durch Korruption zusätzlich erschwert. Wer sich darauf eingestellt hat, tut sich leichter.
Selbst gründen oder akquirieren?
Für manche Investoren ist eine Partnerschaft mit einem in Indien bereits etablierten Unternehmen oder sogar eine Akquisition attraktiver, als selbst ein Unternehmen zu gründen. Der Markt bietet auch dafür gute Möglichkeiten, sofern die europäischen Investoren gut vorbereitet sind. Allem voran sollten sie sich folgende Fragen stellen:
- Warum suche ich einen Partner, anstatt alleine zu investieren?
- Bringt der ausgewählte Partner die gewünschten Kompetenzen und/oder finanziellen Mittel mit?
- Soll man noch weitere potentielle Partner suchen und bewerten?
- Haben die Partner gleiche Wertvorstellungen und Vorstellungen davon, wie ein Gemeinschaftsunternehmen gemanagt werden soll?
Darüber hinaus gibt es sicher noch viele weitere Themen zu hinterfragen, angefangen vom Umfang der Anteile der Partner, über die Rechtsformen, das Management wie auch über Rechte und Pflichten der Partner. Die Erfahrung zeigt, dass es besonders wichtig ist, dass alle Beteiligten auf höchster Unternehmensebene das Joint Venture ausdrücklich zum Erfolg führen wollen und sich entsprechend in den Prozess einbringen und ihn vorantreiben. Wenn nur eine Seite als Motor agiert, ist das Projekt meist zum Scheitern verurteilt.
Für welche Strategie man sich auch immer entscheidet, man sollte sich jederzeit bewusst sein darüber, dass Indien ein sich entwickelnder Markt ist. Prozesse und Verfahren gerade bei Behörden und in der Verwaltung unterscheiden sich sehr von denen eines reifen Marktes in Europa oder Nordamerika. Als Investor wird man immer in Situationen geraten, die ihn die Entscheidung, in Indien zu investieren, in Frage stellen lassen. Rückschläge sollten aber nicht entmutigen. Gerade in Indien stellen sich Erfolge langfristig ein. Wer zu schnell aufgibt, verpasst die Ernte seiner Investition.
Fazit
Als europäisches Chemieunternehmen kann man es sich heute nicht erlauben, die Chancen des indischen Marktes zu ignorieren. Für einen mittel- und langfristigen Erfolg bedarf es jedoch einer klaren Strategie, die auch Rückschläge oder Verzögerungen mit einplant. Die Zusammenarbeit mit erfahrenen Indien-Kennern hilft, Risiken zu vermeiden und den langfristigen Erfolg zu sichern.