Die Risikomatrix
Risikomanagement in anlagenintensiven Unternehmen der Prozessindustrie und deren Dienstleistern
Risiken lassen sich effizient managen. Die Vorrausetzung dafür ist, die Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung entsprechender Ereignisse strukturiert zu bewerten. Ressourcen können so zielgerichteter eingesetzt werden, ohne die Anlagensicherheit zu gefährden.
Risiken gehören zu jener Realität, die man nach innen wie außen gern ausblendet. Indem man etwa überall versichert, dass alles getan würde, um jegliches Risiko zu vermeiden. Ein löbliches Ansinnen, das jedoch unmöglich zu realisieren ist.
Risiken existieren immer und überall. Aber deshalb ist nicht automatisch auch alles gefährlich - und nur weil ein Risiko existiert, bedeutet das ebenso nicht zwingend, dass der Gefahrenfall auch eintritt. Das ist der Spielraum, in dem sich Risiken effektiv und effizient managen lassen. Geschieht dies nicht, stößt jede Organisation beim Versuch der absoluten Risikovermeidung irgendwann an ihre ökonomischen Grenzen. Vor allem erhöht sich dadurch angesichts der limitierten Ressourcen wie Zeit, Kapital und Personal in der Konsequenz das Risiko, eine tatsächliche Gefahr zu übersehen.
Übersteigertes Sicherheitsdenken
Dieses rationale Neu-Denken der Begrifflichkeit „Risiko" ist der erste wichtige Schritt, um innerhalb einer Organisation das oftmals übersteigerte Sicherheitsdenken aufzuzeigen. Risikomanagement bedeutet, alles zu tun, damit ein Ereignis mit geringstmöglicher Wahrscheinlichkeit oder Auswirkung eintritt. In der Kommunikation nach außen genauso wie nach innen gilt es, sich zunächst zu diesen Risiken zu bekennen und sie rational zu bewerten. Wer alle Gefahren mit der gleichen, weil höchsten Priorität zu vermeiden versucht, erzeugt am Ende nur ein Rauschen, das die wirklichen Risiken nicht eliminiert sondern nur überdeckt.
So wie niemand im Radio alle Sender auf einmal hören kann, sondern sich für eine Frequenz entscheiden muss, verlangt auch erfolgreiches Risikomanagement nach Führung und Entscheidungen, um es als solches erkennbar zu machen. Es bedarf einen bewussten Umgang mit Gefahren und einer strukturierten Analyse, welche Risiken mit welcher Wahrscheinlichkeit und Konsequenz im Unternehmen existieren.
Diese Einschätzungen sind für jeden Einzelfall aus der rein subjektiven Perspektive des Einzelnen im Alltag kaum zu leisten. Die Entwicklung einer Risikomatrix, die zusammen mit führenden Mitarbeitern aus Produktion und Instandhaltung erarbeitet wurde, gibt jedem Mitarbeiter ein verlässliches Instrument in die Hand, Risiken transparent und nach einem Modell zu bewerten, auf das man sich innerhalb der Organisation bereits festgelegt hat. Die Risikoeinschätzung des Einzelnen wird somit transparent und auch für unbeteiligte Dritte nachvollziehbar.
Gefühlte und echte Gefährlichkeit
Angewandt auf anlagenintensive Unternehmen der Prozess- und Utility-Industrie sowie deren Infrastruktur- und Industrieservice-Dienstleister steht das Risikomanagement in diesen Sektoren vor der Herausforderung, sehr viele sehr unterschiedliche Gefahren zu steuern. Etwa durch die in der Produktion entstehenden oder eingesetzten Substanzen, deren Gefährlichkeit sich in der Kombination eventuell noch potenziert. Daneben gibt es auch das in der Öffentlichkeit „gefühlte" Risiko. Diese Risiken lassen sich nach der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts und den möglichen Folgen bewerten. Dabei gilt: Je mehr konkrete, quantifizierbare Hinweise die Risikomatrix enthält, desto exakter ist die Risikoeinstufung des jeweiligen Mitarbeiters.
Auf dem Weg zu einer Risikomatrix helfen z.B. folgende Fragen: Gefährdet ein Ereignis Leben und Gesundheit der Mitarbeiter oder der Bevölkerung? Sind Umwelt- oder Imageschäden zu erwarten? Muss die Produktion stoppen und falls ja, mit welchen Auswirkungen auf die Marge? Könnten Zulassungen und andere regulatorische Elemente betroffen sein? Und für alle Fälle gilt immer: Wie wahrscheinlich ist das Eintreten eines solchen Ereignisses innerhalb eines bestimmten Zeitraumes?
Risikomanagement als produktives Element
Neben dem reinen Gefahrenpotential gibt es noch eine weitere, im Tagesgeschäft sogar bedeutsamere Notwendigkeit für ein effizientes Risikomanagement: In Westeuropa hat sich in der Branche eine hochmoderne Industrie entwickelt, gekennzeichnet durch komplexe Anlagen und hochqualifiziertes, damit aber auch lohnintensives Personal. Der Kostendruck ist immens, mit einer „Alles-ist-gleich-wichtig"-Philosophie ist kein Unternehmen wettbewerbsfähig. Hinzu kommt, dass viele Organisationen Geschäftsbereiche wie die Instandhaltung ausgliederten und diese Leistungen nun einkaufen. Dadurch ging viel Spezialwissen verloren. Ein permanenter Ad-hoc-Feuerwehr-Modus ist praktisch wie finanziell unmöglich. Effizientes Risikomanagement ist unter diesen Voraussetzungen weniger ein Kostenfaktor, sondern eine Stellschraube für eine höhere Produktivität.
Entwicklung der Risikomatrix
Am Anfang der Matrixerstellung stehen intensive Gespräche mit Vertretern der Bereiche Produktion, Instandhaltung und Arbeitssicherheit sowie anderer relevanter Bereiche. Anschließend werden motivierte Mitarbeiter der involvierten Bereiche in einem Kernteam zusammengefasst. Diese beginnen in gemeinsamen Workshops mit der Analyse, Bewertung und Gewichtung der identifizierten Risiken. In einem ersten Abstimmungsprozess werden die Festlegungen und Entscheidungen vorbereitet, aus denen dann die Risikomatrix entsteht. Mittels der Risikomatrix kann jedem Bauteil und jedem Schaden eine Priorität zugeordnet werden, die wiederum über Zeitpunkt und Umfang einer Instandhaltungsmaßnahme entscheidet. Die strukturierte Risikobewertung durch Anwendung der Risikomatrix führt also zu einer Priorisierung des Ereignisses, welche den Beginn wie auch das Ende der entsprechenden Reparatur definiert, sodass die Produktion entsprechend planen kann.
Grundlegend wichtig an diesem Verfahren ist die detaillierte und standardisierte Meldung in einem Meldungssystem, wie z.B. SAP. So bleiben alle Vorfälle auch nachträglich bewertbar, etwa durch das tägliche Meeting eines Kompetenzteams, das Vertreter der Produktion und der Instandhaltung, aber auch die jeweils Meldenden bilden. Diese Personen analysieren im SAP-System sämtliche Ereignisse des Vortages. Wichtig ist dabei, dass auf die Nutzung der erstellten Matrix zur Einschätzung der Prioritäten gedrungen wird, um „Bauchentscheidungen" - vor allem der erfahrenen Mitarbeiter - zu vermeiden. Die müssen nicht falsch sein, gefährden aber die Transparenz des gesamten Vorgangs.
Zusammenführen der Systeme Produktion und Instandhaltung
Eine Risikomatrix ist kein neues Instrument, nur gerät der Einsatz oft halbherzig. Typische Defizite sind die mangelnde Dokumentation und die fehlende Konsequenz in der Anwendung der Matrix, etwa weil am Ende doch dem Bauchgefühl oder dem tief verankerten, übersteigerten Sicherheitsdenken gefolgt wird. Hinreichend angewendet, garantiert die Risikomatrix eine strukturierte Instandhaltung; anstatt von einer „Baustelle" zu nächsten, arbeitet man nun die verschiedenen Prioritäten im Moment der realistischen Notwendigkeit ab. Das ist kosteneffizient und zeitlich vorhersagbar. Die Last der alleinigen Entscheidung wird dem Einzelnen genommen, die Organisation orientiert sich an der eigenen Prioritätenliste und unterzieht jede Risikoentscheidung einer weiteren, für alle nachvollziehbaren Bewertung.
Ganz ähnlich lässt sich zur Festlegung der Ausrüstungsstrategie einer Organisation eine Matrix entwickeln, etwa um zu entscheiden, wie viele und vor allem welche Ersatzteile unbedingt vorrätig sein müssen oder welche Equipments redundant ausgelegt sein sollten. Die Zusammenführung dieser beiden Systeme unterstützt ein effizientes Risikomanagement, das Gefahren nicht mit Vermeidungsaktionismus begegnet, sondern effizient steuert.