Rohstoffwandel ist eine strategische Herausforderung
Die Chemie muss sich im absehbar knappen Markt für Bio-Kohlenstoff frühzeitig positionieren
Nach dem Rohstoffwandel von Holz und Kohle zu Öl vor über 100 Jahren bereitet sich die Chemie nun auf den Wandel von fossilen zu nachwachsenden Rohstoffen vor.
Fossile Rohstoffe sind der Benchmark
3,9 Mrd. t Öl, 2,5 Mrd. t Gas und 7 Mrd. t Kohle werden jährlich weltweit umgesetzt - sie enthalten zusammen ca. 11 Mrd. t Kohlenstoff. Deren Förderung ist auf wenige Regionen in Nahost, Nord- und Südamerika sowie Afrika konzentriert; die Förderkosten sind nach wie vor mäßig (4-40 US-$/Barrel Öl) und auch der Transport zu den Industriezentren in Asien, Nordamerika und Europa ist mittels Pipelines und Tankern nicht sehr aufwändig. Vor allem der dominante Energiemarkt wird von Unternehmen mit Jahresumsätzen von deutlich mehr als 100 Mrd. US-$ bedient. Sie betreiben am Anfang der Wertschöpfungskette Ölraffinerien mit Jahreskapazitäten von über 10 Mio. t. Für Öl ist die Chemie die wichtigste Veredelungsindustrie. Sie erlöst im Durchschnitt das siebenfache des Umsatzes von Energieträgern pro Einheit, nimmt aber nur 8 % der globalen Ölproduktion ab. Die im Vergleich mit Energieunternehmen kleineren Produktionsvolumina von Chemieunternehmen spiegeln sich in deren Umsatzklasse: Mit 85 Mrd. € ist BASF der weltweit größte Chemiekonzern. Diese etablierten Wertschöpfungsketten sind der wirtschaftliche Benchmark.
Auch nachwachsende Rohstoffe sind begrenzt
Die deutsche Chemie hat sich angesichts der notwendigen Reduktion der CO2-Emission und der langfristig absehbaren Erschöpfung der fossilen Rohstoffquellen selbst den Rohstoffwandel auf die Fahne geschrieben. Verbraucher und die politische Führung auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene drängen ebenfalls. Dabei ist der Rohstoffwandel in der Chemie in die Strategie zu einer biobasierten Wirtschaft, die sog. Bioökonomie, zu integrieren. Seit 2010 haben der Verband der Chemischen Industrie (VCI), der Bioökonomierat, die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Acatech), die Bundesregierung und zuletzt die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina Stellungnahmen zu diesem Komplex veröffentlicht (Anm.: Literaturangaben können beim Autor angefordert werden). Alle weisen auf einen kommenden Konflikt hin, der die Chemieindustrie direkt betrifft: Die Ressource Biomasse, die fossile Kohlenstoffquellen wesentlich ersetzen soll, ist sehr begrenzt. Die heutige Landwirtschaft produziert global 14 Mrd. t Biomasse, die ungefähr 7 Mrd. t Kohlenstoff enthalten. Allein die europäische Produktion von 24,5 Mio. t Ethylen und 12,9 Mio. t Propylen (2009) enthält mit 32,5 Mio. t so viel Kohlenstoff, wie in 4 europäischen Zuckerernten gebunden ist.
Abgesehen davon, dass die Agrarproduktion bereits für Lebens- und Futtermittel, Fasern sowie industrielle Anwendungen verbraucht wird, ist offensichtlich, dass das o.g. Volumen fossiler Kohlenstoffquellen nicht einfach durch zusätzliche Landwirtschaft ersetzt werden kann. Non-food Biomasse wie Holz, Stroh und organische Abfälle können den Bedarfsdruck mindern, aber nicht völlig decken. Bio-Kohlenstoff muss deshalb langfristig für Produkte reserviert werden, in denen Kohlenstoff nicht ersetzt werden kann: d.h. in erster Linie für Chemikalien und Langstreckenmobilität. Insbesondere der Energiesektor muss kohlenstofffreie Lösungen anstreben.
Die Wirtschaftlichkeit von Bioraffinerien muss erhöht werden
Nachwachsende Rohstoffe müssen sich allerdings noch lange dem Wettbewerb mit fossilen Kohlenstoffquellen stellen. Anders als Öl, Gas, Kohle werden agrar- und forstwirtschaftliche Rohstoffe auf sehr großen Flächen von zahllosen relativ kleinen Unternehmen produziert. Sie fallen saisonal an, sind verderblich und bieten eine vergleichsweise geringe Kohlenstoff- und Energiedichte. Auch wenn Verfahren für Ernte, Lagerung und Logistik noch Kostensparpotential bieten, ist es wahrscheinlich, dass die Primärverarbeitung in Bioraffinerien zu Chemievorstufen wie Ethanol, Lactat oder Succinat nur in den Biomasseregionen selbst wirtschaftlich sein wird. Länder mit großem Biomassepotential wie Brasilien, Kanada, Malaysia, Russland gewinnen deshalb sowohl wegen des Biomassevorkommens als auch als Standorte für Bioraffinerien strategische Bedeutung (Abb. 1).
Dabei ist nicht zu übersehen, dass die Kapazität von Bioraffinerien deutlich unter der von Ölraffinerien liegen wird. Bioethanol wird üblicherweise in Anlagen mit einer Kapazität von 100.000 t (52.000 t Kohlenstoff entsprechend) aus einem Einzugsgebiet von 50.000 Hektar hergestellt. Zum Vergleich: Die größte deutsche Ölraffinerie in Wesseling hat eine jährliche Kapazität von 13,9 Mio. t Kohlenstoff (16,3 Mio. t Öl; 0,34 % der Weltkapazität). Heutige Bioraffinerien sind bezüglich der „Economy of Scale" noch deutlich im Nachteil.
Bioraffinerien, Chemie und Energie kooperieren
Diese Begrenzung spiegelt sich auch in der Umsatzgröße der entsprechenden Unternehmen: Zucker und Stärkeraffinerien liegen in der Umsatzklasse unter 10 Mrd. €. Für die Beschleunigung des Rohstoffwandels wird deshalb entscheidend sein, dass sich an der Finanzierung von Prozessentwicklungen und Anlagen neben der angestammten Bioraffinerie-Branche auch der Chemie- und der Energie-Sektor beteiligen. Genau dies ist z.Z. auf dem Weg: Das vom BMBF geförderte Spitzencluster Bioeconomy erforscht die Integration einer Bioraffinerie in einen Chemiestandort u.a. unter Beteiligung von Linde, Total und Vattenfall und anlässlich der Achema hat das BMBF kürzlich das Forschungskonzept ZeroCarb FP, das von RWE geführt wird, ausgezeichnet.
Für das nächste Forschungsrahmenprogramm der EU Horizon 2020 bereiten Bioraffinerien, Chemie-, Energie- und energieintensive Industrien die beiden Vorhaben SPIRE und Biobased for Growth jeweils mit einem Umfang von mehreren Milliarden Euro vor. CLIB2021 ist als Bioökonomiecluster an der Strategieentwicklung beider Projekte beteiligt, die neue Wertschöpfungsketten von der Produktion nachwachsender Rohstoffe über Bioraffinerieverfahren bis hin zur Folgechemie für Konsumentenprodukte adressieren. So soll das Innovationspotential der im Rahmen des Rohstoffwandels sich entfaltenden Wertschöpfungsketten erschlossen werden.
Die wirtschaftliche Gestaltung des Rohstoffwandels braucht also mehr als Technik und Kostenanpassung: Erstens müssen die Produktionskosten für Bio-Kohlenstoff im Wettbewerb mit fossilem Kohlenstoff gedrückt und die Wirtschaftlichkeit von Bioraffinerien erhöht werden. Zweitens sollte sich die Chemie auf die Verschiebung der Vorstufenproduktion in biomassereiche Regionen der Welt einstellen. Und drittens - ganz entscheidend - muss sich die Chemie im absehbar knappen Markt für Bio-Kohlenstoff frühzeitig positionieren.
Autor:
Dr. Manfred Kircher, Beiratsvorsitzender Cluster industrielle Biotechnologie CLIB2021
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