Evolution der Chemieparks
Bei der Entwicklung von Industriestandorten kommt es auf Rahmenbedingungen und Kostenstrukturen an
Mit Umstrukturierungen, Verkäufen, Zusammenschlüssen und Ausgliederungen von Unternehmensteilen hat sich die deutsche chemische Industrie in den vergangenen Jahren fit für den Weltmarkt gemacht.
Gleichartige Aufgaben und Abläufe wurden zur Kostenreduzierung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in größeren Einheiten gebündelt. Eine Folge dieser Entwicklung sind Chemieparks und Regionalinitiativen. In den vergangenen 20 Jahren sind annähernd 60 Chemieparks in Deutschland entstanden. In den meisten Chemieparks haben sich auch Firmen anderer Branchen angesiedelt.
Dienstleistungsmodelle
Die Bereitstellung der Dienstleistungen erfolgt in vier wesentlichen Modellen. Die gängigste Form ist das Major User-Modell mit einem internen Servicecenter, das den anderen am Standort ansässigen Unternehmen Dienstleistungen zur Verfügung stellt. Die Versorgung ist Nicht-Kerngeschäft des Anbieters. Daher werden die Leistungen in der Regel wenig kundenorientiert „vermarktet".
Der Anbieter kann vorgeben, welche Leistungen zu welchen Konditionen als „Pflichtleistungen" von einem Standortmieter abgenommen werden müssen. Auch richtet sich das Dienstleistungsangebot an den Bedürfnissen des Major User aus. Investitionen in Serviceinfrastruktur werden bevorzugt getätigt, wenn diese im Sinne der eigenen Produktion sind. Beispiele für Standorte, an denen die internen Servicecenter des Major User Standortdienstleistungen erbringen, sind die Standorte von Henkel in Düsseldorf-Holthausen, von Oxea in Oberhausen, von Honeywell in Seelze, das Werk Lülsdorf von Evonik, BASF Schwarzheide oder der Chemiepark Linz in Österreich.
Im modernsten Modell eines Industrieparks existiert eine gesellschaftsrechtlich eigenständige Industrieparkgesellschaft. Die Dienstleistung ist Kerngeschäft dieser Gesellschaft, und das gesamte Unternehmen wird hierauf ausgerichtet. Das Dienstleistungsangebot kann im Sinne aller Kunden optimiert und auf die individuellen Kundenbedürfnisse angepasst werden. Im Umfang der eigenen Mittel kann auch in den Ausbau des Dienstleistungsangebotes investiert werden. Überkapazitäten können durch eine Vermarktung außerhalb des Industrieparks oder durch Ansiedlung neuer Unternehmen im Industriepark kostenverdünnend genutzt werden.
Darüber hinaus kann die Industrieparkgesellschaft die „Industrieparksicht" als neutrale Instanz einnehmen und somit die Interessen aller am Standort ansässigen Unternehmen vertreten. Bei den eigenständigen Industrieparkgesellschaften können drei Ausprägungen beobachtet werden:
- Industrieparks, bei denen der Major User der alleinige Eigentümer ist (z.B. Chempark, Industriepark Walsrode, Heraeus, Infracor Marl, Industriepark Wolfgang)
- Industrieparks, bei denen es mehrere am Standort selbst produzierende Eigentümer gibt (z.B. die Infraserv-Standorte Höchst, Gendorf, Knapsack und Wiesbaden sowie der Chemiepark Leuna) sowie
- Industrieparks, die in der Hand eines externen Investors sind (z.B. Nuon, ABB, P-D Group (Bitterfeld-Wolfen) oder ThyssenKrupp-Xervon (Köln-Merkenich und Münchsmünster)
In Industrieparks, in denen es keine Industrieparkgesellschaft, aber auch keinen klaren Major User gibt, kommt es vor, dass die Standortdienstleistungen untereinander „ausgetauscht" werden. Es gibt nicht ein Servicecenter, aus dem alle ansässigen Unternehmen und Betriebe versorgt werden.
Die internen Servicecenter sind auf die verschiedenen Betriebe und Unternehmen verteilt, wobei sich in der Regel jeweils Leistungsschwerpunkte in einzelnen Servicecentern bzw. Unternehmen konzentrieren. Die Standortdienstleistungen werden nicht zentral koordiniert. Diese Konstrukte finden sich meinst in „lockeren Industrieparkverbindungen" wie dem ChemCoast Park in Brunsbüttel, dem Industriepark am Meer oder dem Industriepark Lingen wieder.
Des Weiteren gibt es Modelle, bei denen alle Industrieparkleistungen an verschiedene externe Dienstleister vergeben wurden. Jeder Industrieparknutzer wählt seinen eigenen Lieferanten. Synergieeffekte einer gemeinschaftlichen Dienstleistungsnutzung gehen meist verloren.
Oft sind diese Industrieparks in kommunalem Eigentum, in denen der Zwang besteht, kompetitive Dienstleistungen aus Gründen der Wettbewerbsbeschränkung abzugeben. Viele dieser Industrieparks haben bereits Gewerbepark ähnliche Merkmale angenommen. Beispiele für dieses Modell sind der Industriepark Göhrener Tannen, der Agro-Chemiepark Piesteritz oder der IndustrieStadtpark Troisdorf.
Standortmarketing
Je effizienter die vorhandene Infrastruktur in den Chemieparks genutzt werden kann und je höher die Unternehmensdichte ist, desto wettbewerbsfähiger ist der gesamte Standort. Im Rahmen ihrer Ansiedlungspolitik versuchen deshalb die Standort-Betreibergesellschaften, vor allem solche Unternehmen an ihren Standort zu holen, die einen Großteil der dort angebotenen Dienstleistungen nutzen. Davon erhoffen sich die Betreiber Synergieeffekte für alle am Standort angesiedelten Firmen.
Nicht nur die Neuankömmlinge profitieren von einer solchen Ansiedlungspolitik, sondern auch die etablierten Unternehmen einschließlich der Standortmanager selbst. Eine starke Zusammenarbeit und die Eingliederung in das standortinterne Verbundsystem legen den Grundstein für eine weltweit konkurrenzfähige Produktion. Und das ist mit Blick auf den sich weiter verschärfenden internationalen Wettbewerb notwendiger denn je. Das Standortmarketing wird deshalb für die Chemieparks immer wichtiger.
Um die Attraktivität der Standorte national und international zu stärken, wurden Regionalinitiativen gegründet in denen auch Behörden und Politik vertreten sind. Seit 2005 unterstützen die Fachvereinigung Chemieparks/-standorte im Verband der Chemischen Industrie (VCI) und Germany Trade and Invest (GTAI) gemeinsam das internationale Standortmarketing der Chemieparks.
Standortentwicklung
Freiflächen können für einen Industriepark problematisch sein. Insbesondere dann, wenn sie durch Betriebsschließungen oder Abwanderungen entstanden sind. Solche Freiflächen, verursachen Kosten, die alle Parknutzer belasten. Aktive Standortentwicklung kann das vermeiden. Das Standortangebot müsste sich in diesem Fall an die sich stetig verändernden Anforderungen der am Standort ansässigen Unternehmen anpassen und so gestaltet werden, dass es auch attraktiv für potenzielle Neu-Nutzer wird.
Dafür müssen Entscheidungen auch bezüglich einer Offenheit gegenüber Chemiepark untypischen Branchen getroffen werden. Darüber hinaus ist es wichtig, Industriepark übergreifende Netzwerke zu bilden und diese allen Parknutzern zur Verfügung zu stellen, meint Unternehmensberater Benjamin Fröhling, der seit einigen Jahren die Entwicklung der Industriestandorte beobachtet.
Die wohl einfachste Möglichkeit, Freiflächen los zu werden, ist das Abstoßen der Flächen durch Auszäunung oder Abgabe des gesamten Standortes an Dritte. Diese Lösung kommt für produzierende Unternehmen in Betracht, bei denen der Betrieb von Standorten nicht im eigentlichen Geschäftsfokus liegt. Die Gefahr besteht allerdings, dass der Industriepark an Bedeutung verliert und Unternehmen ihr Engagement in Form von Investitionen herunterfahren oder gar abwandern. Der sinnvollere Weg ist die Abgabe der Standortverantwortlichkeit an einen Betreiber, resümiert Fröhling.
Wichtig sind dabei zwei Dinge:
Die Leistungsbeziehungen zwischen Betreiber, Dienstleistern und Standortnutzern müssen sorgfältig, am besten über Service Level Agreements, definiert werden.
Ihre Motivation muss, wie bei jedem anderen Outsourcing auch, in einer überproportionalen Kostensenkung und Optimierung der Industrieparkprozesse liegen, wobei die Qualität der angebotenen Leistungen nicht sinken darf. Da hierfür unter Umständen auch Investitionen getätigt werden müssen, sollte eine solche Partnerschaft langfristig angelegt werden.
Für Pflichtleistungen sollte ein Modell gewählt werden, was den „Vermieter", also die Betreibergesellschaft, in die Pflicht nimmt, nicht die Industrieparknutzer. Dieses Modell muss in erster Linie regeln, dass „Leer- und Remanenzkosten", die z.B. durch Abwanderung oder Betriebsstilllegungen dort aufgefangen werden, wo sie verursacht werden bzw. zu dessen Lasten gehen, der für die Auslastung der Flächen zuständig ist.
Unternehmensberater Fröhling sieht zwei wesentliche Entwicklungspfade, aus denen das „Idealmodell" des Industrieparks mit einer eigenständigen Industrieparkgesellschaft hervorgegangen ist. Unabhängige Betriebe existieren auf einem Areal. Eine neutrale Instanz organisiert klare Regelungen zur Austarierung des Zusammenspiels sowie Vertragswerke zur Manifestierung von Rollen, Ansprüchen und Verpflichtungen im Sinne aller Beteiligten. Außerdem sorgt sie für eine optimale Auslastung der Industrieparkinfrastruktur (z.B. durch Rückbau oder Ansiedlung). Diese neutrale Instanz wird idealerweise von einer Industrieparkgesellschaft organisiert.
Industrieparks mit eigenständiger Industrieparkgesellschaft sind oftmals an Major User Standorten entstanden. Hier hat die Anzahl der „fremden" Dienstleistungsabnehmer durch die Ansiedlung neuer Firmen z.B. durch den Verkauf einzelner Betriebe und Anlagen zugenommen. Die Organisation des Industrieparks und die Erbringung von Dienstleistungen für Dritte wurden dadurch eine immer komplexere Aufgabe. Zur Refokussierung auf das Kerngeschäft „Produktion" wurden Industrieparkgesellschaften gegründet, in die alle Services und Aufgaben eines Industrieparks „ausgegründet" werden konnten. Beispiele hierfür sind die Currenta, die Heraeus Facilitymanagement-und Liegenschafts-GmbH, die Infracor in Marl oder die Industriepark Wolfgang GmbH.
Rückintegration von Standortdienstleistungen
Es kann aus verschiedenen Gründen dazu kommen, dass eine Industrieparkgesellschaft rückintegriert und/oder aufgelöst werden soll. In diesen Fällen werden die Dienstleistungen soweit wie möglich ausgelagert oder an kommunale Ver- und Entsorgungsbetriebe übergeben. Diese Auflösung führt dazu, dass die „neutrale Instanz", die die Eigeninteressen der ansässigen Unternehmen vertritt, ebenso verloren gehen kann. Die Industrieparks können sich dann, z.B. durch Abwanderung der Produktionsunternehmen, zu Gewerbeparks entwickeln. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken ist es sinnvoll, die Standortdienstleistungen rückzuintegrieren.
Dazu gibt es zwei Möglichkeiten:
Rückintegration der Standortdienstleistungen als internes Servicecenter in den Major User oder eine Verteilung der Standortdienstleistungen auf alle Produktionsgesellschaften unter Erhaltung einer „virtuellen" Industrieparkklammer.
Anders als bei der Rückintegration in eine Produktionsgesellschaft, werden die Services nach dem Lead user-Ansatz auf die Standortnutzer verteilt. Der größte Abnehmer bzw. Hauptnutzer dieser Leistungen oder die best geeignete Organisation nimmt die entsprechenden Leistungsbereiche auf. Im Werk Bobingen z.B. wurde der Standortbetrieb von ABB übernommen und als Industriepark Werk Bobingen organisiert. Bestimmte Services wie die Analytik, die Logistik, die Eisenbahn und die Lkw-Waage wurden aber in die Organisationen der Standortnutzer integriert. Bei Bayer wurde ein zentral konsolidierter Einkauf zurück in die einzelnen Bereiche (später Teilkonzerne und Servicegesellschaften) verteilt.
Dem Lead Buyer bestimmter Materialgruppen wurden die dafür relevanten Verträge und Mitarbeiter zugeordnet. Alle anderen Unternehmen können nun auf die konzernweit gültigen Verträge zurückgreifen und somit von der Expertise des Lead Buyer und den Einkaufskonditionen profitieren. Dafür wird eine koordinierende Stelle eingerichtet, die eine Klammer um den Konzerneinkauf bildet. Solche Lead User-Strukturen lassen sich auf andere Geschäftsfunktionen und Industrieparks übertragen. Eine somit „virtuelle" Dienstleistungsorganisation übergreifend auf viele Produktionsunternehmen am Standort kann über ein Industrieparkbüro die neutrale Instanz darstellen.
Motivationen, die Standortdienstleistungen neu zu organisieren, gibt es viele. Auch wird sich die Organisation der Standortdienstleistungen über die Zeit immer wieder den aktuellen Gegebenheiten anpassen müssen. Unabhängig davon, für welche Organisationsform ein Industriepark sich entscheidet, ist es wichtig, dass eine neutrale Instanz erhalten bleibt, die die Gesamtindustrieparksicht einnehmen und unterschiedliche Interessen bewerten kann. Nur so kann ein funktionierendes Miteinander erhalten werden und auf Dauer ein Industriepark als ein stabiles Gebilde existieren.
Zwar darf in naher Zukunft wohl nicht mit großen Chemie-Neuansiedlungen in Deutschland gerechnet werden, aber durch Ausbau der eigenen Kapazitäten und Betriebe entstehen in vielen Chemie- und Industrieparks zahlreiche neue Anlagen. Darüber hinaus wird das deutsche Industrieparkmodell weltweit geschätzt.
Investoren interessieren sich allerdings immer weniger für „Freiflächen", sondern mehr für fertige Anlagen, für deren technischen Betrieb und Prozesssteuerung sie nicht mehr verantwortlich sind. Die Grenze zur Lohnfertigung kann hier manchmal fließend sein. Lediglich die buchhalterische Aktivierung der Anlagegüter sowie die Laufzeit der Verträge machen hier den Unterschied.
Entwicklung von Industriestandorten
Standorte für Industrieansiedlungen unterliegen einem immer größer werdenden Wettbewerbsdruck. Produzierende Unternehmen sind überwiegend global aufgestellt und treffen ihre Investitionsentscheidungen vor dem Hintergrund der Marktentwicklungen und der infrastrukturellen Rahmenbedingungen. Industriestandorte in Deutschland können sich in dieser Wettbewerbssituation nur behaupten, wenn die branchenspezifischen Voraussetzungen stimmen.
Darüber hinaus spielen Kostenoptimierung und die konsequente Nutzung von Effizienzsteigerungspotenzialen eine entscheidende Rolle. Denn während Produktionsabläufe bei den meisten Unternehmen bereits effizient gestaltet sind, gibt es bei den Sekundärprozessen oftmals noch Optimierungsmöglichkeiten. Wer hier individuelle und dennoch kostengünstige Lösungen bietet, hat im Standortwettbewerb die Nase vorn.
Entwicklung von Dienstleistungen
Viele Chemie- und Pharmakonzerne haben sich von den meisten „Sekundärprozessen" wie produktionsbezogene Dienstleistungen getrennt. So ist - zum Teil aus Ausgliederungen und Tochtergesellschaften, aus „Quereinsteigern" aus anderen Branchen oder spezialisierten Industriedienstleistern - eine heterogene Dienstleisterbranche entstanden.
Das Angebot kann dabei von der „reinen Fläche" bis hin zur „komplett betriebenen Produktionsanlage" reichen. Soll eine Anlage errichtet und ggf. auch technisch betrieben werden, muss entsprechendes Engineering bzw. Maintenance Know-how beim Anbieter vorhanden sein. Geht man einen Schritt weiter und bietet über den technischen Betrieb auch die Betreuung der Produktion an, so dass ein ausländischer Investor am neuen Standort keine eigene Belegschaft aufzubauen braucht, muss entsprechende (chemische) Verfahrenskompetenz beim Anbieter vorhanden sein.
In der Realität ist hier eine Angebotslücke zu beobachten, da es keinen Chemie- oder Industriepark gibt, der diese Leistung aus einer Hand anbieten kann. Die reinen Lohnfertiger, die die verfahrenstechnischen Kompetenzen besitzen und in der Regel auch ihre Anlagen technisch selber betreuen, sind in den seltensten Fällen auch Standortbetreiber, die zusätzlich Flächen und Infrastruktur anbieten können. Andersherum haben die Anbieter von Flächen allenfalls die Kompetenzen eine Anlage zu errichten und technisch zu betreiben.
Viele große Unternehmen, die in der Vergangenheit alle Funktionen des Chemie- und Industrieparks in Eigenregie durchgeführt haben, richten ihren Fokus auf die Bereiche Forschung & Entwicklung sowie die Vermarktung der Endprodukte, so dass auch Produktionsprozesse an Dienstleister ausgelagert werden. Entsprechend muss sich das Angebot der Chemie- und Industrieparkanbieter an die neuen Entwicklungen anpassen.
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