Chemie & Life Sciences

Sicherheitsdatenbuch zukunftstauglich?

24.05.2011 -

In der CHEManager-Ausgabe 23-24/2010 war der Artikel „Sind wir auf dem Weg vom Sicherheitsdatenblatt zum Sicherheitsdatenbuch?" zu lesen. Heute, nur wenige Monate später, muss diese Frage leider mit „Ja" beantwortet werden. Lag der maximale Umfang eines Sicherheitsdatenblattes (SDB) Ende 2010 noch bei ca. 60 Seiten, so werden im zweiten Quartal 2011 Sicherheitsdatenbücher mit mehreren Hundert Seiten Umfang verschickt. „Spitzenreiter" ist nach Kenntnis des Autors dieses Beitrages ein SDB für ein Tensid mit einem Umfang von 644 Seiten. Dabei entfallen nur 11 Seiten auf das eigentliche Sicherheitsdatenblatt mit den Abschnitten 1 bis 16. 633 Seiten umfasst die Anlage gemäß Art. 31 Abs. 7 der REACH-VO - also die für die Verwendung des Stoffes einschlägigen Expositionsszenarien. Nicht zwangsläufig müsste der Umfang dieser Anlage - ob dieser nun 50, 100 oder eben auch im Einzelfall über 600 Seiten beträgt - problematisch sein. Denn mit einer einheitlichen und einfach gehaltenen Struktur der Anlage müsste es unabhängig vom Umfang für den durchschnittlichen Anwender möglich sein, abzugleichen, ob die in seinem Betrieb für eine bestimmte Chemikalie vorhandenen Verwendungsbedingungen mit den Vorgaben in der Anlage zum SDB übereinstimmen. Praktisch wird er dazu mit den derzeit zur Verfügung gestellten erweiterten Sicherheitsdatenblättern (eSDB) i. d. R. nicht in der Lage sein.

Unüberschaubare Informationen
Unabhängig vom Umfang der Beschreibung der Expositionsszenarien in der Anlage zum SDB sind diese Beschreibungen in den bisher vorliegenden eSDB so komplex und anspruchsvoll, dass allenfalls die mit Experten besetzte Stabsabteilung eines Konzerns in der Lage ist, den geforderten Abgleich mit den betrieblichen Anwendungsbedingungen vorzunehmen. Doch auch aus Sicht dieser Experten ist es zwingend notwendig, dass Inhalt und Struktur der SDB-Anlage standardisiert werden. Denn nur dann ist ein rationelles und ggf. automatisiertes Arbeiten möglich. Insoweit zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die in den vergangenen Jahren von Wirtschaft und Behörden gemeinsam vorangetriebenen Entwicklungen noch nicht ausreichen bzw. möglicherweise auch nicht wirklich zielführend sind. Dies gilt vor allem für den unter der Bezeichnung „Use-Descriptor-System" entwickelten Ansatz zur Standardisierung der Verwendungsbeschreibungen. In vielen eSDB findet sich derzeit ein unüberschaubares Sammelsurium von Codierungen, Kurzbeschreibungen und Prosatexten. In Einzelfällen wird sogar auf detailliertere Informationen in über das Internet zugänglichen Datenbanken verwiesen. Nicht selten sind die Informationen nur in englischer Sprache verfügbar. Dass derartige Daten- und Informationsfriedhöfe in keiner Weise dazu beitragen werden, den Arbeitsschutz voranzubringen, bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung. Darüber hinaus scheint aber auch sehr fraglich, ob derartige eSDB der REACh-Verordnung entsprechen. Denn in deren Anhang II heißt es: „Das Sicherheitsdatenblatt muss die Verwender in die Lage versetzen, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz sowie zum Schutz der Umwelt zu ergreifen ... Die Angaben auf dem Sicherheitsdatenblatt sind klar und prägnant abzufassen."

VCH-Verbandslösung eSDB
In dem Bemühen, seine Mitgliedsfirmen bei der Bewältigung der in den kommenden Jahren anstehenden Herausforderungen zu unterstützen, prüft der Verband die Realisierbarkeit einer VCH-Verbandslösung eSDB. Die Überlegungen gehen dahin, eSDB für Standardprodukte des Chemiehandels zentralisiert zu erstellen und zu verwalten. Möglicherweise könnte darüber hinaus auch die Erstellung und Verwaltung von eSDB für Gemische angebunden werden.

Vom Buch zum Blatt
Mit zunehmendem Unverständnis - dies bleibt abschließend festzuhalten - nehmen die überwiegend mittelständischen Unternehmen des Chemiehandels und deren Kunden zur Kenntnis, dass sie erheblichen Aufwand für die Erstellung und Verwaltung von eSDB betreiben müssen, ohne dass dies den Arbeits- und Umweltschutz in Deutschland tatsächlich voranbringt. Die in der Überschrift gestellte Frage ist also mit „Nein" zu beantworten: Dem Sicherheitsdatenbuch gehört nicht die Zukunft. Doch bedarf es großer Anstrengungen aller Beteiligten, den Weg zurück zu einem Sicherheitsdatenblatt zu finden, das seinem ursprünglichen Anspruch wieder gerecht wird.

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