Im Visier der Justiz
Risikominimierung im Chemiepark durch Organisationstransparenz
Compliance ist derzeit in aller Munde. Allerdings wird das Hauptaugenmerk meist auf die Übereinstimmung des unternehmerischen Handelns mit den allgemeinen Regeln des Zivil- und Verwaltungsrechts gelegt. Sofern überhaupt ein Blick auf das Strafrecht geworfen wird, beschränkt sich die Risikoanalyse regelmäßig auf den Bereich der Korruption im geschäftlichen Verkehr, der seit dem Siemens-Skandal besonders öffentlichkeitswirksam ist. Damit aber greift das Konzept der Compliance zu kurz: Denn gerade auch beim Betrieb von gefährlichen Anlagen sind zahlreiche Pflichten zu beachten, deren Verletzung schnell einen Staatsanwalt auf den Plan rufen kann. Worin besteht also die strafrechtliche Verantwortung und wie sind Verstöße zu vermeiden?
Zwar bestimmt das Strafgesetzbuch (StGB) in seinem § 15, dass im Regelfall nur vorsätzliches Handeln unter Strafe steht, jedoch gibt es zahlreiche Einzeltatbestände, in denen ausdrücklich auch die Fahrlässigkeit erfasst ist. Es sind in der Praxis gerade diese Tatbestände, wie z.B. die fahrlässige Körperverletzung, die fahrlässige Tötung oder ein fahrlässig verwirklichtes Umweltdelikt, die nach Zwischenfällen in Chemieparks den Anlass für strafrechtliche Ermittlungen liefern.
Vermeidung durch optimalen Dritten
Die strafrechtliche Fahrlässigkeitshaftung ist in mehrfacher Hinsicht weit ausgedehnt: Fahrlässig im Rechtssinne handelt jeder, der in sorgfaltswidriger Weise eine Ursache dafür setzt, dass der im Tatbestand beschriebene Erfolg (z.B. eine Gewässerverunreinigung) eintritt. Ursächlich ist dabei jedes Verhalten, das nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch der konkrete Erfolg wegfällt. Sorgfaltswidrig herbeigeführt ist dieser Erfolg dann, wenn ein optimaler Dritter in der Situation des Handelnden ihn hätte voraussehen und vermeiden können.
Schon diese Grundsätze machen deutlich, dass bei einem Unfall nicht nur der Anlagenfahrer vor Ort und dessen Vorgesetzte im Unternehmen, sondern unter Umständen auch der Betreiber des Parks selbst ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten kann, weil auch er allein schon durch die Bereitstellung der Infrastruktur eine Unfallursache gesetzt haben könnte. Spätestens seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Unfall bei der Wuppertaler Schwebebahn kann sich seine Verteidigung dann nicht auf den Hinweis beschränken, dass er auf die Sorgfalt der Ansiedler vertraut habe. Denn - so der BGH - bei besonders gefährlichen Handlungen muss jeder jeden kontrollieren. Hat der Betreiber dies unterlassen, ist er seiner Bestrafung bereits einen Schritt näher gerückt.
Strafbarkeit durch Nichtstun
Die Strafbarkeit des Nichtstuns wird gemäß § 13 StGB immer dann in Betracht gezogen, wenn der Unterlassende rechtlich dafür verantwortlich ist, dass ein bestimmter schädlicher Sachverhalt vermieden wird, also eine so genannte Garantenstellung innehat. Diese erwächst z.B. aus der Kontrolle über eine gefährliche Anlage, aus der vertraglichen oder faktischen Übernahme von Aufsichtspflichten oder auch aus einer vorherigen Pflichtwidrigkeit. Es liegt auf der Hand, dass für den Chemieparkbetreiber jeder dieser Entstehensgründe für die Garantenstellung relevant werden kann. Sein Risiko, für jeden Vorfall auf seinem Gelände zumindest wegen einer fahrlässigen Unterlassungstat belangt zu werden, ist daher hoch. Risikominimierung durch spezielle Compliance-Maßnahmen tut not.
Organisation durch Abgrenzung
Basis jedes strafrechtlichen Risikomanagements ist eine effiziente Organisation sowohl im einzelnen Unternehmen als auch im gesamten Chemiepark:
- In allen Hierarchieebenen und zwischen diesen sind klar abgegrenzte Verantwortungsbereiche zu schaffen.
- Die Verantwortungsbereiche sind mit jeweils sorgfältig ausgewählten, zuverlässigen und für die jeweilige Aufgabe kompetenten Personen zu besetzen.
- Verantwortung muss stets auch Entscheidungsbefugnisse umfassen; kompetenzlose „Sicherheitsbeauftragte" können niemandem die Verantwortung abnehmen.
- Die verantwortlichen Personen sind regelmäßig zu schulen; die Schulung ist zu dokumentieren.
- Die Organisationsstruktur muss tatsächlich gelebt werden; sie ist sowohl intern als auch für Außenstehende transparent zu machen. Andernfalls entsteht ein Organisationsnebel, der strafrechtliche Ermittlungen herausfordert.
Obwohl diese Grundsätze geeignet sind, die strafrechtliche Verantwortung Einzelner zu begrenzen und zu minimieren, wäre es ein Irrtum anzunehmen, man könne mittels Delegation oder Outsourcing jegliche Verantwortung von vornherein ausschließen. Denn zum einen können nach ständiger Rechtsprechung die fundamentalen Grundpflichten der Unternehmensleitung niemals delegiert werden und zum anderen erfordert auch eine einmalig erfolgte Delegation stets weitere Kontrollmaßnahmen.
Informationsmanagement durch Pyramidenstruktur
Zu einer strafrechtsfesten Organisation gehört ein Informationsmanagement, dessen Bedeutung in Zeiten, in denen unternehmensintern meist per E-Mail kommuniziert wird, kaum überschätzt werden kann:
- Es sind klare Berichtswege zu definieren, auf denen sicherheitsrelevante Informationen innerhalb einer Pyramidenstruktur transportiert werden.
- Die vorgegebenen Berichtswege sind stets einzuhalten.
- Es ist auf Disziplin im E-Mail-Verkehr zu achten: E-Mails werden nur an die zuständige Person gesandt, cc-Verteiler sind zu vermeiden; E-Mails sollen wie Geschäftsbriefe abgefasst werden, da Flapsigkeit Informationen verkürzt oder entstellt und bei Außenstehenden leicht einen falschen Eindruck von den Tatsachen erzeugen kann; Antworten sollen in separaten E-Mails erfolgen.
Kontrolle durch Stichproben
Die eingerichtete Organisationsstruktur ist ständig zu kontrollieren und zu optimieren:
- Vorgesetzte überprüfen ihre Mitarbeiter durch unangekündigte Stichproben.
- Durchführung und Ergebnis der Kontrollen sind zu dokumentieren.
- Die Organisationsstruktur ist regelmäßig daraufhin zu überprüfen, ob sie den aktuellen rechtlichen Vorgaben entspricht. Auf Gesetzes- und Rechtsprechungsänderungen ist zeitnah zu reagieren.
Risikominimierung durch Compliance
Das Risiko, strafrechtlich verfolgt zu werden, trifft jeden, der mit gefahrgeneigten Betrieben oder Anlagen zu tun hat. Es kann niemals beseitigt, durch einfache organisatorische Maßnahmen aber deutlich verringert werden. Angesichts des aktuellen Verfolgungseifers der Staatsanwaltschaften können diese Maßnahmen nur dringend empfohlen werden.