Dr. Reinhard Maaß im Interview: Branche mit Entwicklungsperspektive
Industrieservice ist maßgeblicher Faktor der Standortsicherung und -entwicklung
Der Wirtschaftsverband für Industrieservice (WVIS) wurde im Oktober 2008 von drei führenden Unternehmen der Industrieservice-Branche gegründet, um die wirtschaftspolitischen Interessen dieser Branche zu artikulieren, sich mit Normungsarbeit sowie der Weiterentwicklung relevanter Standards zu befassen und ein positives Bild der Branche in der Öffentlichkeit zu formen. Bei einem Marktvolumen von schätzungsweise rund 20Mrd.€ in Deutschland sowie circa 100Mrd.€ in Europa für extern vergebene industrielle Dienstleistungen in der Prozess- und Fertigungsindustrie sahen es die Gründungspartner als notwendig an, dem Industrieservice ein unternehmensübergreifendes Profil zu geben. Knapp ein Jahr nach der Gründung befragte CHEManager den WVIS-Geschäftsführer, Dr. Reinhard Maaß, zum bisher Erreichten und den weiteren Plänen.
CHEManager: Herr Dr. Maaß, wie sieht Ihre Bilanz nach fast einjähriger Verbandstätigkeit aus?
R. Maaß: Der WVIS kann nicht nur auf ein erfolgreiches Jahr blicken, ungebrochen hoch sind auch Interesse und Motivation in den Unternehmen, sich zu organisieren sowie gemeinsame Ziele zu definieren und zu realisieren. Mit einem zunehmenden Anteil an Ingenieurdienstleistungen und den vielfältigen Leistungen gewerblicher Mitarbeiter ist der Industrieservice ein maßgeblicher Faktor der Standortsicherung und -entwicklung. Gleichwohl gewinnt der Industrieservice immer mehr an Bedeutung und profiliert sich zunehmend als eigenständige Branche, deren Perspektiven trotz schwieriger Märkte positiv sind. Fakt ist: Der Bedarf an Industrieservice wächst, und somit steigt auch die Nachfrage nach einer übergreifenden Organisation.
Welche Hauptaufgaben haben Sie für die Tätigkeit dieser übergreifenden Organisation definiert?
R. Maaß: Als unsere Kernaufgaben sehen wir zunächst die Themenbereiche Technik, Recht/Qualität und Personal, denn damit sind die Aspekte des aktiven Geschäfts abgedeckt. Dazu wurden entsprechende Arbeitskreise eingerichtet. Zudem gibt es im WVIS einen Arbeitskreis Marketing, der sich um den öffentlichen Auftritt und die Positionierung der Themen in Wirtschaft und Politik kümmert. Alle Arbeitskreise stellen sich stets den aktuellen Aufgaben und Fragestellungen des Industrieservice und reagieren flexibel auf Anforderungen aus den Unternehmen, aber auch aus Wirtschaft und Politik. Hohe Priorität hat für den WVIS darüber hinaus die Aus- und Weiterbildung im Industrieservice. Der Mangel an Ingenieuren und gewerblichen Fachkräften in Deutschland und Europa ist absehbar. Entsprechend ist auch dieses Thema ein Schwerpunkt der Verbandsarbeit. Wir wollen jungen Menschen zeigen, dass Fachkräfte in der Industriedienstleistung sehr gute Berufschancen und interessante Entwicklungsperspektiven haben und dass sich die Branche durch ein breites Spektrum an Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten auszeichnet.
Eines Ihrer Ziele ist eine Zertifizierung für Unternehmen des Industrieservice. Warum und wann können wir mit der Einführung eines Gütezeichens für Industrieanlagenservice rechnen?
R. Maaß: Der moderne Industrieservice steht heute vor weitreichenden Herausforderungen. Dazu gehören unter anderem partnerschaftliche Innovationsprojekte zur ganzheitlichen Verbesserung des Wertschöpfungsprozesses, ein umsichtiger Umgang mit Ressourcen, die Weiterentwicklung technischer und sozialer Standards sowie die Entwicklung von umweltschonenden Serviceprodukten und -prozessen. Auch werden Energie- und Rohstoffeffizienz zu strategischen Wettbewerbsfaktoren und zwingen die Industrien zu verkürzten produktions- und produktorientierten Innovationszyklen. Als Teil eines umfassenden Lifecycle-Managements sind daher Effizienz, Produktivität und Verfügbarkeit der technischen Anlagen wesentliche Erfolgsfaktoren. Im Zuge dieser Entwicklung ergeben sich für die Anbieter von Industriedienstleistungen zuzüglich zur Vielfalt und Komplexität der Projekte, die von ihnen ausgeführt werden, neue Anforderungen und Aufgaben. Dies bringt nicht nur ein erhebliches Wachstumspotential für den Industrieservice mit sich, sondern damit verbunden auch einen steigenden Bedarf an Normungsarbeit und Zertifizierung. Unser Ziel ist es, Dienstleistungen und Qualitätsarbeit über das reine Qualitätsmanagement hinaus vergleichbar zu machen. Daher hat sich der Arbeitskreis Technik im WVIS die Entwicklung eines Gütezeichens für Industrieanlagenservice zur primären Aufgabe gemacht, mit dem wir unsere Mitglieder aktiv unterstützen wollen, beim Kunden Klarheit und Orientierung zu schaffen. Das Gütesiegel wird im Oktober auf der Maintain in München erstmals der Fachöffentlichkeit und den Medien vorgestellt werden.
Inwieweit spüren Industrieservice-Unternehmen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise?
R. Maaß: Anbieter von Industrieservice sind gerade in Krisenzeiten leistungsfähige und lösungsorientierte Partner zur Kostensenkung und Effizienzsteigerung in der Industrie. Im Einklang mit unabhängigen Experten aus Forschung und Wissenschaft sehen wir daher eine steigende Nachfrage nach Industrieservice als externe Dienstleistung. Allerdings wird die Vernetzung der einzelnen Unternehmen aufgrund der Vielfalt der Anforderungen seitens der Industrie und angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen Situation immer wichtiger. Ein funktionierender Verband wie der WVIS, der einen kontinuierlichen Erfahrungsaustausch gewährleistet und ein gemeinsames Branchenbild sowie branchenübergreifende Qualitätsstandards entwickelt, schafft für die einzelnen Unternehmen einen Mehrwert. Dadurch lassen sich die Auswirkungen der Krise minimieren. Darüber hinaus sind unsere Mitgliedsunternehmen durch ihre Flexibilität in der Lage, den konjunkturellen Abschwung abzufedern.
Spüren Ihre Mitgliedsfirmen auch einen Anstieg im Auftragseingang? Immerhin könnten Unternehmen die derzeit reduzierte Auslastung von Prozessanlagen nutzen, um längst geplante oder fällige Maßnahmen zur Optimierung von Anlagen, auch im Hinblick auf Kostenreduktion und Effizienzsteigerung, durchführen zu lassen.
R. Maaß: Das Marktvolumen für extern vergebene industrielle Dienstleistungen in der Prozess- und Fertigungsindustrie wird in Deutschland auf etwa 20 Mrd. € geschätzt. In Europa sind es rund 100Mrd.€. Auch wenn eine heterogene Anbieterstruktur und zum Teil hoch spezialisierte Kundenanforderungen den Markt für Industrieservice derzeit noch wenig transparent erscheinen lassen, so befindet sich die Industriedienstleistung ohne Zweifel in einem dynamischen Entwicklungsprozess. Waren in vielen Bereichen der produzierenden Industrie die Kapazitäten in den letzten Jahren des konjunkturellen Aufschwungs bis an die Grenzen des Möglichen ausgelastet, haben Industrieunternehmen in Phasen geringerer Auslastung die Chance, Anlagen und Fertigungsmaschinen sorgfältig zu warten und zu optimieren. Die dafür notwendigen Investitionen sind überschaubar, erhalten Werte und Funktionstüchtigkeit und machen fit für die Zukunft. Und wer professionelle Dienstleistungspartner einbindet, kann die Lebenszykluskosten von Anlagen deutlich verbessern, weil sich technologische Innovationen frühzeitig in die Anlagenplanung integrieren und kostenoptimiert umsetzen lassen. Seit einiger Zeit verzeichnen die Anbieter von Industrieservice zudem ein verbessertes Preisniveau für ihre Leistungen.
Zeigen auch die Konjunkturprogramme eine für den Instandhaltungssektor spürbare Wirkung?
R. Maaß: Tendenzen sind zu erkennen. Investitionen in den Infrastruktursektor kommen auch dem Industrieservice zugute. Doch in voller Bandbreite ist das Geschäft im Industrieservice von den Maßnahmen nicht begünstigt. Die Branche ist wie viele andere auch gefordert, aus eigener Kraft die Krise zu meistern und gestärkt aus der Situation hervorzugehen. Dazu nötig sind Kreativität und Entscheidungsfreudigkeit, auch neue Wege zu gehen. Gefragt sind u.a. intelligente Outsourcing-Modelle mit einem lösungsorientierten Industrieservice, denn diese können zu einer deutlichen Kostenoptimierung und Effizienzsteigerung führen. Gerade bei wirtschaftlich schwierigen Rahmenbedingungen ist Outsourcing sowohl für große als auch verstärkt für mittelständische Unternehmen eine ernsthaft zu prüfende Option, Kosten zu senken und gleichzeitig Arbeitsplätze zu sichern.
Die Mitgliederentwicklung des WVIS liegt noch hinter den Erwartungen. Worauf führen Sie dies zurück?
R. Maaß: Der WVIS hat sich im ersten Jahr auf die Definition von Inhalten konzentriert und große thematische Projekte wie das Gütezeichen und das Engagement im Bereich der Aus- und Weiterbildung vorangetrieben. Das Gütezeichen wird - wie gesagt - im Oktober vorgestellt. Die WVIS-Academy, ein virtuelles Aus- und Weiterbildungsportal für Studenten, Facharbeiter und Young Professionals, steht vor der Gründung. Mit jedem Thema wird der Verband für seine Mitglieder interessanter. Sie erhalten die Möglichkeit, aktiv sowie zukunftsorientiert an der Gestaltung einer noch jungen Branche mitzuwirken und die eigenen Schwerpunkte mit einzubringen. Es geht nicht darum, gegen Altbewährtes anzukämpfen, sondern Neues zu gestalten. Hinzu kommt der große Mehrwert für die Mitgliedsunternehmen durch den Netzwerkcharakter des Verbands - Kommunikation, Diskussion und gemeinsame Aktion zum Wohl der Branche.
In wenigen Wochen findet, wie bereits erwähnt, die Maintain in München statt. Wie nutzen Sie diese Branchenveranstaltung für die Verbandsinteressen bzw. die Ihrer Mitglieder?
R. Maaß: Die Maintain ist für den WVIS eine wichtige Plattform zur Kontakt- und Netzwerkpflege außerhalb des Verbandslebens. Sie ist die Leitmesse der Branche. Allerdings würden wir uns wünschen, dass die Messe nur alle zwei Jahre stattfindet. Die Entwicklung von Neuheiten und der Aufwand für die Besetzung einer solchen Messe im jährlichen Turnus bedeuten doch einen erheblichen Aufwand. Und da sprechen wir auch für unsere großen und mittelständischen Mitgliedsunternehmen.