Stellungnahme des BAVC zum Tarifeinheitsgesetz
05.06.2015 -
Nach dem Grundsatz der Tarifeinheit gilt in einem Betrieb nur ein einziger Tarifvertrag, der die Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten regelt: ein Betrieb – ein Tarifvertrag. Dieser Tarifvertrag differenziert, wenn es um Eingruppierung und daran anknüpfendes Entgelt geht, nach den verschiedenen Funktionen und Aufgaben der Beschäftigten. Da im Betrieb (bisher) nur ein Tarifvertrag Anwendung finden konnte, beschränkten sich zulässige Arbeitskämpfe auf die Aushandlung dieses Tarifvertrages. Diesem funktionsfähigen und friedenssichernden System drohte das Ende, denn das Bundesarbeitsgericht hat dem Grundsatz der Tarifeinheit 2010 die rechtliche Geltung abgesprochen. Mit dem Gesetz zur Tarifeinheit, das Ende Mai im Bundestag verabschiedet wurde, wird nun dieser Grundsatz wieder hergestellt.
Spartengewerkschaften profilieren sich
Die gesetzliche Regelung ist notwendig, denn die Aufgabe der Tarifeinheit hätte schwerwiegende Konsequenzen: Bereits seit einigen Jahren profilieren sich Gewerkschaften, die nicht nach Branchen, sondern nach Berufsgruppen organisiert sind, so zum Beispiel Cockpit (Piloten) oder GdL (Lokomotivführer).
Tarifverträge schließen diese Spartengewerkschaften nur für ihre Berufsgruppe ab, auch wenn diese in einem Betrieb nur einen Teil der Belegschaft ausmacht. Kommt eine Einigung mit der Arbeitgeberseite nicht zustande, kann daraus ein Arbeitskampf entstehen. Die Gewerkschaft ruft diejenigen, für die sie einen Tarifvertrag abschließen will, zur Arbeitsniederlegung auf. Die Auswirkungen einer solchen Arbeitsniederlegung gehen jedoch weit über die jeweilige Berufsgruppe hinaus. Da diese regelmäßig eine „Schlüsselstellung“ für den gesamten Betriebsablauf hat, steht häufig der ganze Betrieb still. Ein Beispiel hierfür ist der lang andauernde Tarifkonflikt zwischen der Deutschen Bahn und der GdL mit gravierenden Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft.
Betriebsfrieden wäre ohne Tarifeinheit gefährdet
Dieser Gefahr steht der Grundsatz der Tarifeinheit entgegen. Wenn es einen für alle Beschäftigten geltenden Tarifvertrag gibt, dann gilt die Friedenspflicht für alle, die unter diesen Tarifvertrag fallen. Eine Spartengewerkschaft darf daher ihre Mitglieder nicht zu einer Arbeitsniederlegung aufrufen, wenn im Betrieb ein Tarifvertrag besteht, der für die gesamte Belegschaft gilt – also auch für die Angehörigen der betreffenden Berufsgruppe.
Mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts – die Tarifeinheit sei kein rechtlich wirksamer Grundsatz der Tarifautonomie – war seit 2010 der beschriebenen Ausnutzung einer Schlüsselstellung im Betrieb Tür und Tor geöffnet. Spartengewerkschaften haben ein erhebliches Druckpotential, nicht weil sie viele Beschäftigte repräsentieren, sondern weil ihre Mitglieder Schlüsselstellungen im Betrieb innehaben und damit in der Lage sind, als Minderheit den gesamten Betrieb stillzulegen. Die bisherige Solidarität der Belegschaft drohte damit zu verschwinden. Einzelne Berufsgruppen könnten aufgrund ihrer Schlüsselstellung für sich besondere Arbeitsbedingungen durchsetzen, andere könnten dies nicht. Um dies zu verhindern, hat der Gesetzgeber mit dem Tarifeinheitsgesetz nun gehandelt: Denn Deutschland braucht Stabilität statt Streikchaos.
Gesetzliche Regelung ist verfassungskonform
Am 11. Dezember 2014 hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit beschlossen und den gesetzgebenden Körperschaften, Bundestag und Bundesrat, zur Beschlussfassung zugeleitet. Seither wird das Gesetz durch eine intensive verfassungsrechtliche Diskussion begleitet. Kernpunkt des neuen Gesetzes ist die Auflösung von Tarifkollisionen, indem im Falle des Überschneidens von Geltungsbereichen mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft anwendbar ist, an den die Mehrzahl der Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb gebunden ist. Mittlerweile haben mehrere renommierte Gutachter die Verfassungskonformität bestätigt.
Mit der Verabschiedung des Tarifeinheitsgesetzes im Bundestag wird nun wieder Rechtssicherheit hergestellt, die Zerfaserung der Tarifautonomie durch immer neue Spartengewerkschaften verhindert. So wird der lange geltende und bewährte Zustand fortgeschrieben, der über viele Jahre nicht nur den Unternehmen, sondern auch den Mitarbeitern die Sicherheit gab, zu wissen, welcher Tarifvertrag mit welchen tarifvertraglichen Regelungen für sie zur Anwendung kommt. Das Gesetz zur Tarifeinheit wird voraussichtlich noch diesen Sommer in Kraft treten.
Standpunkt von BAVC-Präsidentin Margret Suckale
„Unternehmen brauchen Rechtssicherheit. Es kann nicht sein, dass für dieselbe Berufsgruppe mehrere Tarifverträge Geltung beanspruchen. Diese Kollision muss nach festgelegten Grundsätzen aufgelöst werden. Im Idealfall geschieht das durch entsprechende Vereinbarungen der Tarifpartner. Die Vergangenheit hat jedoch gezeigt, dass dies in vielen Fällen nicht gelingt. Daher musste hier jetzt der Gesetzgeber tätig werden. Die Lösung der Tarifkollision nach einem Mehrheitsprinzip entspricht demokratischen Grundsätzen. Viele beneiden uns in Deutschland um unsere gute Sozialpartnerschaft und den sozialen Frieden in unseren Betrieben. Dieses hohe Gut dürfen wir nicht aufs Spiel setzen. Daher ist die Regelung zur Tarifeinheit ein wichtiges Signal für den Standort Deutschland.“