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Patentrezepte für die Pharmaindustrie

Delphi Studie untersucht pharmazeutische Geschäftsmodelle der Zukunft

30.08.2013 -

Wenn es nach Veröffentlichungen von Praxis und Wissenschaft geht, müsste das klassische pharmazeutische Geschäftsmodell basierend auf Blockbuster längst überholt sein. Schaut man jedoch in die Wirklichkeit, so lässt sich feststellen, dass viele Pharmaunternehmen immer noch auf das bewährte Geschäftsmodell der Forschung & Entwicklung, Produktion und Vertrieb eines Arzneimittels setzen und damit bislang immer noch erfolgreich sind.

Welche Rollen spielen die „Patentklippe", die personalisierte Medizin, der steigende Kosten- und Regulierungsdruck tatsächlich? Welche Entwicklungen und Trends wird es in Zukunft geben? Wie wird sich das pharmazeutische Geschäftsmodell verändern (müssen)?
Diese und weitere Fragen wurden im Rahmen einer Delphi Studie innerhalb des Forschungsprojektes „Dienstleistungspotentiale in der Personalisierten Medizin (DPM)" von einer Vielzahl an Experten beantwortet. Diese Methode der strategischen Vorausschau eignet sich besonders, um ausgehend von Expertenmeinungen, mögliche Trends und Entwicklungen transparent zu machen und entsprechend Handlungsschritte daraus abzuleiten.

Die Delphi Studie
Die Grundidee einer Delphi Studie ist, in aufeinander folgenden Wellen Expertenmeinungen zur Problemlösung zu nutzen und die Ergebnisse der vorherigen Fragerunde als anonymes Feedback in die folgende Fragerunde einfließen zu lassen. Dabei handelt es sich um eine iterative Gruppenkommunikation mit dem Ziel, aus Einzelbeiträgen der Experten ganzheitliche Lösungen für komplexe Probleme zu erarbeiten.
Die Delphi Studie wurde im Rahmen des DPM Projektes von August 2012 bis Februar 2013 mit insgesamt zwei Befragungsrunden durchgeführt. Insgesamt wurden 398 Experten aus Forschung, Verbänden sowie Diagnostik- und Pharmaunternehmen eingeladen. 50 Experten nahmen in der ersten Runde und davon 22 in der zweiten Runde teil.
In der Studie wurden die Experten befragt, ab welchem Jahr sie bestimmte Aussagen für realistisch ansehen. Die Abb. 1 gibt einen Überblick über alle relevanten Thesen, deren Zeithorizont und die Häufigkeit ihrer Nennung. Daraus wird ersichtlich, ob und wann welcher Trend mehrheitlich für das pharmazeutische Geschäftsmodell aus Expertensicht realistisch ist.
In Interviews mit Unternehmensvertretern wurde deutlich, dass die Notwendigkeit nach neuen Geschäftsmodellen erkannt wurde, sich die Veränderungen am Geschäftsmodell in der pharmazeutischen Industrie aber nur zögerlich vollzieht.

Neue Geschäftsmodelle gesucht
Auch wenn in Zukunft weiterhin Blockbuster-Geschäftsmodelle und Produktinnovation ihre Existenzberechtigung haben werden, muss die Branche sich mit der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle auseinandersetzen. Dazu gehört auch, dass es kein Patentrezept für neue und erfolgreiche Geschäftsmodelle gibt, sondern wie auch bei Produktinnovationen Geschäftsmodellprototypen entwickelt und getestet werden müssen. Ausgehend von den Ergebnissen der Delphi Studie, Experteninterviews und am Lehrstuhl entwickelten Geschäftsmodellierungsverfahren lassen sich interessante zukünftige Geschäftsmodelle skizzieren. Diese sind bewusst polarisierend und teils vereinfacht dargestellt und sollen damit zum Denken in alternativen Geschäftsmodellen anregen.
Patient Care Manager Business Model - Durch neue Informationskanäle und Möglichkeiten sich vernetzend zu organisieren ist der Zugang für zu relevanten Informationen leichter. Engagierte Patienten hinterfragen stärker die Entscheidungen der Intermediäre (u.a. Ärzte). Ein Geschäftsmodell, was kundenseitig auf eine Art individuellen Care Manager (als Person, Unit oder technische Lösung) setzt, kann Patienten noch besser informieren und damit unterstützen. Kosten durch falsche Anwendungen könnten so erheblich reduziert werden.
Big Medical Data Business Model - Lassen wir die datenschutzrechtlichen Aspekte außer Acht, können die aktuelle Big Data Diskussion und die entsprechenden Technologien als Grundlage eines Geschäftsmodell ausgebaut werden. Dieses konzentriert sich auf die breite Sammlung, effiziente Speicherung und effektive Auswertung/Nutzung von Krankheits- und Patienteninformationen. Denkbar wäre eine bessere Nutzung ohnehin vorhandener (Krankendaten-)Daten für die Verbesserung bei der Medikamentenentwicklung und der Anwendung in der Behandlung.
Medical Re-Discovering - ‚Fallen Angels‘, also Arzneimittel, die in der Vergangenheit keine Zulassung erhalten haben, werden systematisch wieder entdeckt und mit entsprechenden anderen Perspektiven oder neuen Verfahren auf erneute Verwendung, z. b. bei stratifizierten Patientengruppen überprüft. Weiter können hier auch Produktionsverfahren, bereits gesammelte Erfahrungen oder Informationen wieder entdeckt werden, die im neuen Geschäftsmodell im Nutzenmittelpunkt stehen. Dieses Geschäftsmodell basierend auf einem sog. Knowledge-Reuse (Wiederverwendung) könnte als Hybrid zwischen Generika-Herstellung und forschenden Pharmaunternehmen gesehen werden.
Early Diagnosis for Prevention - Mit einer gezielten Produkt-Service Kombination hinsichtlich freiwilliger oder notwendiger diagnostischer Tests werden frühzeitig Präventionsmaßnahmen festgelegt, die den Fokus auf Gesundheitserhaltung anstelle von Krankheitsbehandlung legen. Mit der engen Verzahnung von Patient, Arzt, Diagnostiker und Gesundheitsserviceanbietern werden Tests mit hoher Validität (weiter)entwickelt, die am Ende durch ein Netzwerk an Gesundheitspräventionsangeboten den Ausbruch schwerer Krankheiten vorbeugen.
Chash by Success - Der erbrachte Erfolg einer Therapie bei heilbaren Erkrankungen steht im Mittelpunkt dieses Geschäftsmodells. Nur wenn ein versprochener Erfolg am Ende einer Therapie auch wirklich eintritt (auch zum Teil), erfolgt eine entsprechende Entlohnung durch den Kostenträger. Die Festlegung einer geeigneten Messung und Bewertung erfolgt auf neutraler und unabhängiger Basis.
Die skizzierten Geschäftsmodelle zeigen auf, welche Richtungen in der pharmazeutischen Industrie möglich sind. Sicherlich sind einige Geschäftsmodelle derzeit schwer realisier- oder vorstellbar. Wichtig ist aber zu verstehen, dass sich die Akzeptanz von Geschäftsmodellen über einen Zeitraum hinweg bildet - man bedenke den langen Weg der verschiedenen Car Sharing Geschäftsmodelle.
Die Implementierung von Geschäftsmodellinnovationen ist keine kurzfristige, aber dennoch bedeutsame Angelegenheit. Die kreative Entwicklung und gezielte Implementierung neuer auf die Zukunft gerichteter Geschäftsmodelle benötigen mindestens den gleichen Anteil an Aufmerksamkeit des Top-Managements wie Produktinnovationen und Mergers & Akquisitions. Das Denken in Geschäftsmodellen unterstützt durch ganzheitliche Konzepte und Vorgehensweisen ist dazu eine wichtige Voraussetzung.

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