Biologics IV
30.03.2013 -
Biologics IV – ein tadellos eingetaktetes Projekt. Drei Monate nach der Inbetriebnahme großen biotechnologischen Produktionslage zur Herstellung des Antikörper-basierten Tumormedikaments Avastin bei Roche in Basel ging an einem der deutschen Roche-Standorte, im bayerischen Penzberg, eine ähnlich große Biotech-Produktionsanlage in Betrieb.
CHEManager sprach mit Dr. Jürgen Wahl, Leiter der Entwicklung und Produktion im Bereich Pharma von Roche in Penzberg, über den Bau der neuen Produktionsanlage Biologics IV und dortige Produktion des Antikörpers Trastuzumab für das Medikament Herceptin.
CHEManager: Herr Dr. Wahl, waren auch andere Standorte als Penzberg für den Bau von Biologics IV im Rennen?
Dr. J. Wahl: Ja natürlich, es ist generell so, dass bei Roche alternative Standorte gesucht werden. Für Penzberg sprach aber, dass wir den Wirkstoff Trastuzumab hier in ähnlichen Dimensionen bereits seit mehreren Jahren produzieren und wir somit viel Erfahrung damit haben.
Wie kann man in wenigen Worten den Projektablauf bei Biologics IV charakterisieren?
Dr. J. Wahl: Ich habe schon viele Anlagenbauprojekte erlebt, und über dieses Fast-Track-Projekt kann man sagen, dass es praktisch generalstabsmäßig abgewickelt wurde, alles war tadellos eingetaktet.
Roche selbst hat in das Engineering für Biologics IV viele Eigenleistungen eingebracht, vor allem unsere Automatisierungsgruppe in Penzberg. Denn die Automatisierung war das Teilgebiet, wo es wesentliche Veränderungen bzw. Fortschritte gegenüber der bestehenden Trastuzumab-Produktionsanlage Biologics II gab, und die Automatisierung war auch der kritische Pfad des Projekts.
Wir konnten aber alle Probleme lösen und dabei zeigte sich, wie wichtig es ist, dass man selbst bzw. im eigenen Hause genügend Knowhow besitzt, um diese Dinge auf den richtigen Weg zu bringen.
Wurden die Kostenziele für das Biologics IV-Projekt eingehalten oder gab es unerwartete Kostensteigerungen?
Dr. J. Wahl: Wir haben den Kostenrahmen bzw. die Kostenziele eingehalten. Es gab zwar zusätzliche Kosten, weil wir das Projekt noch etwasbeschleunigt hatten, aber das war nicht wesentlich.
Worin unterscheidet sich denn die Trastuzumab-Produktion in der neuen Anlage Biologics IV von der bestehenden Anlage Biologics II?
Dr. J. Wahl: Im Prinzip sind diese beiden Anlagen sehr ähnlich. Wir haben in Biologics II drei Fermenter mit einer Kapazität von 13.000 l Nutzvolumen und in der neuen Biologics IV-Anlage sind es jetzt sechs Fermenter in dieser Größe. Es gab also von vornherein kein Problem hinsichtlich eines Upscalings.
Verfahrenstechnisch gesehen haben wir die Trastuzumab-Produktion nicht, beziehungsweise so wenig wie möglich geändert, denn wir wollten von der bestehenden Zulassung der Behörden möglichst wenig abweichen, um das neue Zulassungsverfahren nicht in die Länge zu ziehen. Nur die Automatisierungstechnik in der neuen Anlage ist wesentlich anders als bisher.
Welche Produktionskapazität kann Biologics IV erreichen?
Dr. J. Wahl: Das ist nicht einfach in Kilogramm-Mengen oder der Zahl der Ansätze zu beantworten. Wir wollen dort neben Trastuzumab auch andere Antikörper aus unserer F&E-Pipeline herstellen - und die haben abhängig vom jeweiligen Produktmix und dem Verfahren meist völlig andere Raum-Zeit-Ausbeuten.
Gerade um die Flexibilität zu besitzen, dort gleichzeitig auch andere Antikörper auf vergleichbaren Produktionsverfahren herstellen zu können, hat Biologics IV zwei voneinander unabhängige, gleich große Produktionslinien. Dennoch kann man von mehreren hundert Kilogramm Antikörpern
pro Jahr ausgehen.
Sind die Wirkstoff-Ausbeuten bei der Trastuzumab-Produktion schwankend oder konstant?
Dr. J. Wahl: Die Ausbeuten liegen innerhalb der biologischen Varianz der Antikörper-Produktion bei plusminus 10 % - was auch zulassungstechnisch gefordert ist. Aber die Ausbeuten an sich sind je nach Produkt bzw. Antikörper sehr unterschiedlich.
Haben Sie in der neuen Anlage so genannte Einweg- bzw. Disposable-Technik eingesetzt?
Dr. J. Wahl: Ja, aber nicht in nennenswertem Umfang. Aber wir beschäftigen uns natürlich mit diesem Thema. In der Prozessentwicklung ist die Einweg- Technologie gut. In der großtechnischen Produktion sieht die Sache etwas anders aus.
Hier verfügen wir zunächst einmal über eine erprobte konventionelle Technik mit Behältern und Verrohrung aus Edelstahl, die ein in sich geschlossenes System bilden; damit kommen wir unter den jeweiligen Produktionsbedingungen gut zurecht.
Bevor wir an einen Einsatz einer anderen Technik in diesem Sektor denken, wollen wir eine Bilanz manchen, welche Kostenvorteile eine andere Technologie wie die Einweg-Technologie im Vergleich zur konventionellen Technologie hat und bis zu welcher Größenordnung bzw. welchen Fermentervolumina sie vertretbar ist.
Diese Betrachtung erstreckt sich aber nicht nur auf eine reine Kosten- oder Energiebilanz für die eingesparten Reinigungs- und Validierungsprozesse und auf der Gegenseite die zusätzlichen Kosten für die Einweg-Technologie. Man muss auch sehen, dass wir mit der konventionellen Technologie in geschlossenen Systemen arbeiten und damit steril- bzw. reinraumtechnisch gesehen verhältnismäßig wenig Probleme bekommen können.
Bei der Einweg-Technologie aber müssen stets auch Verbindungen zwischen Schläuchen und Behältern geöffnet werden. Es ist somit kein in sich geschlossenes System mehr. Dies könnte dazu führen, dass wir auf eine höhere und damit teurere Reinraumklasse als bisher umsteigen müssten. Das gilt es auch zu klären.
Was geschieht jetzt mit Biologics II?
Dr. J. Wahl: Die Trastuzumab-Produktion in Biologics II läuft zunächst einmal weiter bis Mitte 2009 und dann wollen wir die frei werdenden Kapazitäten für neue Produkte nutzen, etwa für die Herstellung von Wirkstoffen, die sich in der klinischen Phase III befinden.
In einem anderen Teil dieser Anlage wird der Wirkstoff für ein Medikament zur Behandlung von Hepatitis hergestellt - und da ändert sich nichts.
Mit welchen Methoden wird die hygienische Kontrolle der verschiedenen Prozessanlagen durchgeführt?
Dr. J. Wahl: Mit dieser Frage kommen wir eigentlich zu einer Frage der Produktionsphilosophie. Wir hier in Penzberg führen die fermentative Wirkstoffproduktion mit Zellkulturen grundsätzlich ohne Zusatz von Antibiotika durch.
Das heißt, wir verhindern das Eindringen fremder Keime in die Zellkulturlösung zuverlässig. Das stellt uns in Bezug auf die Sterilität der Produktionsanlagen vor große Herausforderungen - aber wir erkennen dadurch auch mögliche Fehler sofort und können sie beheben.
Die Überwachung und Gewährleistung der Sterilität in den Anlagen ist für uns daher besonders wichtig. Sie erfolgt mit den üblichen und bewährten mikrobiologischen Nachweismethoden.
Welche Rolle spielt das FDAKonzept der Process Analytical Technolog, kurz PAT, in der Prozesstechnik von Biologics IV?
Dr. J. Wahl: Leider lassen sich nicht alle Prozessparameter online messen, die uns interessieren. Insofern kann eine Umsetzung von PAT im Sinne der analytischen Messtechnik bei uns nicht vollständig gelingen - aber es ist wichtig, dass wir uns mental auf das FDAKonzept einstellen.
Natürlich können wir die Temperatur, den pH-Wert und die Sauerstoffkonzentration in der Fermentationslösung online messen, und auch die Trübung, die einen Wert für die Zelldichte darstellt. Aber um zu wissen, ob es den Zellen im Fermenter wirklich gut geht, müssen wir ständig Proben nehmen und die Zellen mikroskopisch untersuchen.
Und gewiss wäre es interessant, wenn es ein Messsystem gäbe, mit der man schon im Vorfeld erkennen könnte, wie sich der Zustand der Zellkultur entwickelt. Allerdings sind wir auch mit der bestehenden Mess- und Regel-Technik gut gerüstet.
Welche Konzeption hat die Automatisierungstechnik in Biologics IV?
Dr. J. Wahl: Ganz grob gesagt haben wir ein Feldbus-System mit der angeschlossenen Sensorik, eine Ebene mit Bedienen und Beobachten und darüber ein MES, das mit SAP verbunden ist, und die Materialverwaltung und Rezeptierung übernimmt.
Wie wird der Antikörper gereinigt?
Dr. J. Wahl: Am Ende des Fermentationsprozess wird die Fermentationsbrühe, in die die Zellen den Antikörper Trastuzumab abgegeben haben, zentrifugiert. Dieses Verfahren führt zu einer geringeren Verschmutzung der Lösung mit Zellbestandteilen als eine Filtration mit Bildung eines Filterkuchens.
Dann wird der gelöste Antikörper auf einer Chromatographiesäule adsorbiert, während die Lösung mit den Verunreinigungen diese Säule passiert. Sodann wird der adsorbierte Antikörper mit einer Pufferlösung von der Säule wieder abgelöst bzw. eluiert.
So erreichen wir nach dem ersten chromatographischen Schritt bereits eine Reinheit von ca. 86 % und eine Konzentrierung des Wirkstoffs um den Faktor 10.
Der folgende Reinigungsschritt besteht nun darin, die verbliebenen Verunreinigungen in einer anderen Chromatographiesäule zu binden bzw. adsorbieren, während der Antikörper die Trennsäule ungehindert passiert. Diese beiden Schritte werden nun nochmals wiederholt.
Die chromatographische Reinigung wird noch durch eine Ultra-bzw. Diafiltration ergänzt. Am Ende dieser Prozeduren steht dann der Antikörper in einer Reinheit von 99,9 % in einer speziellen Pufferlösung zur Verfügung. Diesen Wirkstoff geben wir an das Werk in Mannheim oder Basel weiter, dort wird daraus das fertige Medikament Herceptin hergestellt.
Wie geht dieser Transport vor sich?
Dr. J. Wahl: Die Pufferlösung mit dem Antikörper wird unter kontrollierten Bedingungen in speziellen Behältern eingefroren und in diesem Zustand transportiert. Anschließend wird die gefrorene Lösung wieder kontrolliert aufgetaut.