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Bayer muss Nexavar-Patent in Indien an Natco weitergeben

Patenturteil in Indien schreckt Pharmabranche auf

14.03.2012 -

Der Pharmakonzern Bayer hat in Indien von den Behörden einen schweren Dämpfer erhalten. In einem möglicherweise wegweisenden Urteil hat Indien Bayer gezwungen, sein Patent für ein Krebsmedikament an den heimischen Generikahersteller Natco Pharma weiter zu geben. Das Präparat Nexavar gegen Nieren- sowie Leberkrebs dürfte damit in Indien bald nur noch einen Bruchteil seines bisherigen Preises kosten. Bayer will juristische Schritte gegen die Entscheidung prüfen.

Experten befürchten nun, der Beschluss des indischen Patentamts könnte ein Präzedenzfall werden. Ähnliche Schritte bei anderen Medikamenten gegen lebensbedrohliche Krankheiten wie etwa Aids könnten folgen. In Indien können solche Zwangslizenzen nach drei Jahren Patentvergabe angeordnet werden, wenn das Präparat als zu teuer eingestuft wird.

Es ist erst das zweite Mal, dass ein Land den bestehenden Patentschutz für ein Krebspräparat aushebelt. Zuvor war nur Thailand in den Jahren 2006 und 2008 ähnlich vorgegangen. Auch dort war es der Regierung darum gegangen, Medikamente für die Bevölkerung erschwinglich zu machen. Bei einigen Aids-Präparaten und Herzmedikamenten war Thailand ebenso vorgegangen.

"Das könnte sehr wohl die erste von vielen Zwangsentscheiden hier werden", sagte Gopakumar G. Nair von der auf Patente spezialisierten Anwaltskanzlei Gopakumar Nair Associates. Bei den internationalen Pharmakonzernen werde das Urteil sehr wahrscheinlich Sorgenfalten auslösen, sagte Nair, der auch einmal Präsident des indischen Arzneimittel-Herstellerverbandes war. Nair wies darauf hin, dass im indischen Patentrecht inzwischen von vernünftigen, erschwinglichen Preisen gesprochen werde und nicht mehr nur von vernünftigen Preisen. Diese Änderung sei im Fall Bayer angewendet worden.

Experten sehen die geänderte Wortwahl im indischen Patentrecht als Indiz dafür, dass die Hürde für Zwangslizenzen unter Verletzung bestehender Patente nun niedriger gelegt wurde. Länder können solche Lizenzen nach den internationalen Handelsregeln vergeben, wenn lebensrettende Medikamente für die Bevölkerung unbezahlbar sind. Heimische Hersteller werden dann autorisiert, die Präparate günstiger herzustellen oder es können Importe von deutlich billigeren Generika angefordert werden. Für die internationalen Pharmariesen ist das eine Gradwanderung. Denn einerseits drängen sie in Länder wie Indien, da dort die Wachstumsaussichten deutlich höher sind als in den westlichen Industriestaaten. Andererseits ist ihr geistiges Eigentum weniger stark geschützt.

Bei Pharmaverbänden stieß die Entscheidung des Patentamtes auf heftige Kritik. Das Urteil sei enttäuschend, sagte Tapan Ray, Generaldirektor der Organisation der Pharmazeutischen Produzenten in Indien, einem Verband, dem auch internationale Pharmakonzerne angehören. Patienten mit innovativen Arzneimitteln zu helfen, lasse sich nicht durch Patentverletzung oder der Verweigerung von Patentrechten lösen.

Auch Aidspräparate betroffen?
Teuren Aidspräparaten könnte Experten zufolge bald ein ähnliches Schicksal drohen. Denn Indien weist eine der stärksten Wachstumsraten bei der tödlichen Immunschwäche auf. Aber in Asiens drittgrößter Volkswirtschaft können sich nach wie vor Millionen Menschen nicht die nötigen Medikamente leisten. Rund 40 Prozent der indischen Bevölkerung leben nach Regierungsdaten nach wie vor unterhalb der Armutsgrenze. Die Pharmariesen Pfizer aus den USA und GlaxoSmithKline aus Großbritannien vertreiben beispielsweise moderne HIV-Präparate der Marke Selzentry über ihr Joint Venture ViiV Healthcare. In Indien kostet eine solche Behandlung mehr als 60.000 Rupien im Monat, das sind rund 1200 Dollar. Der Preis für das Krebsmedikament Nexavar von Bayer liegt bei rund 5500 Dollar im Monat. Nach dem Beschluss des Patentamts ist das Präparat damit für die Bevölkerung nicht zu einem vernünftigen, erschwinglichen Preis erhältlich.

Nach Einschätzung von Siddhant Khandekar, Analyst bei ICICI Direct, könnten nach dem Bayer-Urteil möglicherweise auch andere Generika-Hersteller künftig Kopien von patentgeschützten Arzneien herstellen. "Die globalen Pharmariesen werden das wohl nicht mögen, aber die Generikafirmen und die Bevölkerung werden davon profitieren." Der Analyst schätzt, dass der indische Markt für Krebsmedikamente aktuell etwa 600 Millionen Dollar groß ist. Von dem Fall Bayer könnte unter anderem der indische Generikahersteller Cipla profitieren. Cipla liegt mit dem Leverkusener Konzern schon seit einiger Zeit juristisch im Clinch. Denn Cipla hatte im April 2010 in Indien eine Generika-Version von Nexavar auf den Markt gebracht. Bayer hatte Cipla wegen Patentverletzung verklagt.

 

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