Evonik Degussa verstärkt Marktorientierung bei Aerosil
12.11.2011 -
Evonik Degussa verstärkt Marktorientierung bei Aerosil. Bereits seit dem Jahr 1942 entwickelt und vertreibt Evonik Degussa pyrogene Kieselsäuren unter dem Markennamen Aerosil. Ohne diese Produkte wären viele Dinge des täglichen Lebens undenkbar, von Silikondichtungen für Badewannen bis zu erdbebensicheren Fundamenten von Gebäuden. Durch gezielte Forschung und Entwicklung werden die Einsatzmöglichkeiten ständig erweitert. Evonik Degussa unterstützt dies durch eine verstärkte Marktorientierung der Business Unit Inorganic Materials und durch strategisches Innovationsmanagement. Dr. Michael Reubold sprach darüber mit Dr. Thomas Hennig, Vice President Innovation Management New Business Development, Dr. Peter Nagler, Senior Vice President Innovation Management und Alexander Elbrechter, Senior Vice President und General Manager der Business Line Specialty Inorganics.
CHEManager: Welches sind die wichtigsten traditionellen Anwendungsgebiete für Aerosil?
Thomas Hennig: Pyrogene Kieselsäuren bewirken sehr unterschiedliche Effekte, und so sind Aerosil-Produkte im Laufe der Zeit in mehr als 25 verschiedenen Industrien zur Anwendungen gekommen. Die wichtigsten Anwendungsgebiete resultieren aus den wesentlichen Produkteigenschaften. Als Verstärkungsfüllstoff kommen die Produkte in Kautschuk- und Silikonformulierungen zum Einsatz, aber auch in Kleb- und Dichtstoffen sowie auch in vielen technischen Kunststoffen. Als Additiv zur Rheologiesteuerung verhindert es in Lacken und Farben die Nasenbildung. Daneben steuern Aerosil-Produkte aber auch wesentliche Eigenschaften von Schmierstoffen.
Alexander Elbrechter: Die Feinteiligkeit der Pulver nutzen wir für hochpräzise Schleifmittel für die Elektronikindustrie. Gerade die Feinteiligkeit verbessert aber auch die Fließfähigkeit von Pulvern, was bei der industriellen Pulverbeschichtung genauso genutzt wird wie bei der Herstellung von Gemüsepulver und bei der Herstellung von Tabletten.
Gibt es hier noch Innovationspotential?
Peter Nagler: Die Vielseitigkeit der Einsatzgebiete verlangt ständig verbesserte Produkteigenschaften. Innovationspotentiale ergeben sich somit aus den Anwendungen selbst. Hier sind sämtliche Hochtechnologietreiber zu nennen. Die Elektronikindustrie fordert ständige Verbesserungen, die Materialwissenschaftler entwickeln hochfeste Keramiken, und es gibt kaum einen chemischen Prozess, der nicht durch optimierte katalytische Techniken effizienter gestaltet werden soll.
Welche Aufgaben erfüllen Aerosil- Produkte in solchen Hightech- Anwendungen?
Thomas Hennig: Das ist wieder sehr verschieden. Eine der Anwendungen ist z. B. das Planarisieren von Mikrochips. Elektronische Leiterplatten haben einen sandwichartigen Aufbau und jede einzelne Schicht, auf der Sie Leiterbahnen aufbringen, muss gegen die nächste isoliert und entsprechend planarisiert werden. Wir liefern hier mit unseren Aerosil-Typen im Prinzip die abrasiven Komponenten für hochpräzise Schleifmittel.
Alexander Elbrechter: Aerosil-Produkte werden aber auch als Katalysatorträgermaterialien eingesetzt, und zusammen mit Glasfasern dienen die Produkte zur Rheologiesteuerung in den Laminierharzen.
Thomas Hennig: Eine interessante Anwendung in jüngster Zeit sind Inkjet-Papiere, wo wir mit speziellen Aluminiumoxiden eine Papierbeschichtung herstellen, die die Farben ganz oben auf dem Papier hält, während die wässrige Komponente der Inkjet-Tinte nach unten gesogen wird. Auf diesem wie auf anderen Gebieten schreitet die Technologie rasch voran und wir versuchen, mit entsprechenden Optimierungen unsere Kunden zu unterstützen. Gerade wenn unsere Problemlösungen helfen, ein neues Produkt zum Patent anzumelden, werden sie für unsere Kunden attraktiv.
In solchen nicht traditionellen Anwendungen müssen Sie sicher mehr sein als ein reiner Produktlieferant.
Dr. Thomas Hennig: Das ist richtig und der Grund dafür, dass wir einen Paradigmenwechsel vollzogen haben: Weg von der klassischen Chemikalie, hin zu den Effekten. So schnüren wir Servicepakete mit Anwendungstechnik und versetzen uns in die Lage, Systemlösungen anzubieten, indem wir uns peu à peu in die Kundenprozesse vorwärts integrieren, um die Probleme unserer Kunden und möglicher neuer Anwendungsindustrien besser zu verstehen. Dabei stellen wir uns die Frage, was wir als Beitrag leisten können, um für eine ganze Industriebranche oder ausgewählte Kunden eine wirklich intelligente Problemlösung zu entwickeln.
Alexander Elbrechter: Wir haben vor nicht allzu langer Zeit entschieden, uns marktorientiert aufzustellen und uns nicht nur mit unseren eigenen Produkten, sondern auch mit den Anwendungen der Kunden zu beschäftigen. Wir haben auch unsere Anwendungstechnik neu strukturiert, um noch kundenspezifischer vorgehen und die Kundenanwendungen und –probleme noch besser verstehen zu können.
Die nanoskaligen Teilchen, aus denen die Aerosil-Typen bestehen, sind auch für Anwendungen interessant, die mit dem Begriff Nanotechnologie verbunden werden. Eines Ihrer Forscherteams erhielt z. B. einen Innovationspreis für neuartige Beschichtungen aus Indiumzinnoxid. Was steckt hinter dieser Anwendung?
Thomas Hennig: Beschichtungen von Gläsern oder Kunststoffen, die dieses unter dem Namen AdNano ITO vertriebene Indiumzinnoxid enthalten, sind hochtransparent und zeichnen sich durch elektrische Leitfähigkeit, Antistatik und IR-Absorption aus. Die hohe Kratzfestigkeit, die solche Beschichtungen mit sich bringen, rundet das Eigenschaftsprofil ab. Damit eröffnen sich zahlreiche Einsatzgebiete z. B. in optoelektronischen Bauteilen wie Touch Panels, Flat Panel Displays, Solarzellen oder Elektroden für LCDs. Weitere Anwendungsfelder sind Antistatikbeschichtungen, IR-Strahlung reflektierende oder absorbierende Beschichtungen, für Flugzeug- oder Automobilverscheibungen und Gassensoren.
Auch in der Anwendung bietet AdNano ITO Vorteile gegenüber herkömmlichen Indiumzinnoxiden.
Thomas Hennig: Ja. Traditionell werden transparente, elektrisch leitfähige Beschichtungen durch Verdampfen oder Sputtern von Indiumzinnoxid- Targets hergestellt. Der Vorteil von nanostrukturiertem ITO liegt darin, dass diese Schichten über wässerige oder lösemittelbasierte Dispersionen mit AdNano ITO aufgebaut werden können. Hierzu werden die Dispersionen zu thermisch oder UV-härtenden Lacken weiterverarbeitet, die mit konventionellen Beschichtungsmethoden appliziert werden können. Diese Techniken sind preiswerter und einfacher zu handhaben als die Sputtertechnik und minimieren den ITO-Verlust im Applikationsschritt.
Wo spielt dies z. B. eine Rolle?
Thomas Hennig: Ein Beispiel sind transparente antistatische Beschichtungen und Folien für Flachbildschirme und Reinraumverglasungen. Der Einsatz von Folien und Kunststoffgläsern nimmt immer mehr den Platz von typischen Glasanwendungen ein. Gläser jedoch zeigen kaum Probleme mit statischer Aufladung. Kunststoffe hingegen laden sich in trockenen oder klimatisierten Bereichen stark auf. Entladungen, die elektronische Bauteile oder Anzeigen zerstören sind die Folge. Ein deutlich stärkeres Verschmutzen der Kunststoffoberflächen ist ebenfalls zu beobachten. Lackformulierungen auf der Basis von AdNano ITO haben diese Nachteile nicht und sind in ihrer Funktion beständig und qualitativ hochwertig.
Peter Nagler: Ein weiteres Beispiel sind transparente, wärmestrahlungaufnehmende Schichten zum Lasermarkieren und für die Nachrüstung von wärmestrahlungsdurchlässigen Verglasungen im Automobil und in Gebäuden.
Lenkt der Begriff Nanotechnologie mehr Aufmerksamkeit auf ein Produkt?
Dr. Thomas Hennig: Obwohl wir nun wirklich nanostrukturierte Produkte haben, wollen wir mit der entsprechenden Leistung und den Produkteigenschaften überzeugen, und dafür muss nicht unbedingt das Wort „Nano“ hervorgehoben werden.
Peter Nagler: Wir haben in dem Sinne auch keine freien Nanopartikel, sondern wie Herr Hennig sagte, nanostrukturierte Teilchen. Freie Nanopartikel entstehen im Prozess nur in den ersten Millisekunden und diese bilden dann durch Aggregation und Agglomeration größere Teilchen.
Wie managen Sie denn Innovation?
Peter Nagler: Wir versuchen bei allen Mitarbeitern das Bewusstsein zu etablieren, dass Innovationen wesentlich dazu beitragen, dass wir erfolgreich und nachhaltig wachsen. So geben wir zunächst allen Mitarbeitern die Möglichkeit, Ideen einzubringen. Und wenn diese Ideen bewertet sind, können daraus Projekte entstehen, welche dann in einem effizienten Projektmanagementsystem bearbeitet werden. Viele Ideen entstehen aber auch durch die intensive Kooperation mit Kunden, denn wie bereits erwähnt, sind wir markt- bzw. kundenorientiert aufgestellt.
Wie entscheiden Sie, welche Ideen weiterverfolgt werden?
Peter Nagler: Entscheidend ist, dass sich Innovation nicht auf eine Idee oder Erfindung alleine beschränkt. Eine Erfindung ist erst dann eine Innovation, wenn das zuvor investierte Geld wieder zurückfließt, also wenn wir eine Idee erfolgreich umgesetzt haben und vermarkten können. Ein wichtiger Aspekt des Innovationsmanagements ist daher die Markteinführung eines neuen Produkts oder Anwendungssystems. Die Marketingseite ist immer integraler Bestandteil eines solchen Projekts. Innovation muss sich rentieren.
Ist das immer mit einer Problemlösung für einen bestimmten Kunden verbunden?
Peter Nagler: Nicht nur, denn daneben haben wir auch einen Prozess, in dem wir uns Gedanken machen, wie sich ganze Abnehmerindustrien entwickeln, und welchen Einfluss Makrotrends auf die Märkte haben, in denen wir tätig sind. Diese Gedanken werden dann natürlich mit den Kunden diskutiert. Innovationen sind aber nicht nur neue Produkte oder neue Anwendungen, sondern wir arbeiten auch an technologischen Innovationen. Wenn wir einen Prozess substantiell verbessern können, ist das eine genauso fantastische Innovation, wie ein neues Produkt. Und darüber hinaus kann fast alles, was wir irgendwie in Zusammenhang mit Produkten, Verfahren und Anwendungen und unseren Kunden tun, sehr innovative Elemente liefern. Innovation ist nicht nur ein rein technisches Problem.
Alexander Elbrechter: Aber gerade was die Herstellung von Teilchen anbetrifft, ist eine Prozessinnovation sicherlich extrem notwendig, denn auch daraus ergeben sich Möglichkeiten, wie man die Produkteigenschaften oder die Produktionskosten noch optimieren kann.
Produktgruppe Aerosil – pyrogene Kieselsäuren und mehr
Kieselsäuren bestehen chemisch aus Siliziumdioxid. Hydrophile Typen sind mit Wasser oder anderen polaren Lösungsmitteln benetzbar. Hydrophobe Typen können nicht von Wasser benetzt werden, sie tragen organische Gruppen auf ihrer Oberfläche, die zuvor über chemische Reaktionen auf ihr verankert wurden. Spezielle hydrophobe Kieselsäuren unterscheiden sich von den regulären durch organische Gruppen, die eine noch stärkere Hydrophobie zeigen. Zur Herstellung von Mischoxiden wie z. B. MOX- oder Silizium/Titan-Typen werden unterschiedliche Rohstoffe über einen speziellen Herstellprozess direkt in der Flamme umgesetzt und somit schon auf molekularer Ebene gemischt. Pyrogene Metalloxide basieren meist auf Titandioxid oder Aluminiumoxid, aber auch Ceroxid, Zirkonoxid oder Zinkoxid kommen zum Einsatz. Als Basis für hydrophobe Metalloxide werden ebenfalls z. B. Titandioxid oder Aluminiumoxid verwendet, auf denen die organischen Gruppen durch chemische Reaktion aufgebracht werden. Bei Dispersionen handelt es sich um entsprechende oxidische Partikel, die über ein Rühraggregat je nach Anwendung mehr oder weniger intensiv in der flüssigen Phase dispergiert werden.
Die Herstellung dieser unterschiedlichen Typen erfolgt mit hochspeziellen Technologien. Die Flammenhydrolyse ist für alle hydrophilen Kieselsäuren und Metalloxide die mit Abstand wichtigste Technologie. Hier wird ein meist dampfförmiger Rohstoff wie z. B. Silizium- oder Titantetrachlorid in einer Knallgasflamme bei Temperaturen von bis zu 2000°C umgesetzt und reagiert mit dem aus Wasserstoff und Luftsauerstoff gebildeten Wasser zu Salzsäuregas und feinst verteiltem, hochdispersem Silizium- bzw. Titandioxid. Aluminiumoxid wird analog hergestellt, wobei hier mit Aluminiumtrichlorid ein Feststoff verdampft wird. Bei der Herstellung von Mischoxiden erfolgt die Mischung der dampfförmigen Rohstoffe schon vor der Hydrolyse. Zunächst erhält man stets die hydrophile Komponente. Alle hydrophoben Typen werden entweder in einem der Hydrolyse nachgelagerten Prozessschritt mit dampfförmigen Silanen zur Reaktion gebracht oder die hydrophilen Ausgangsprodukte werden isoliert und in einen separaten Prozessschritt mit flüssigen Silanen benetzt, um dann in einer speziellen thermischen Nachbehandlung umgesetzt zu werden.
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