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Forschung: Evonik will Innovationskraft weiter stärken

Interview mit Dr. Peter Nagler, Chief Innovation Officer bei Evonik

17.08.2011 -

Zum 1. Juli hat Dr. Peter Nagler die Funktion des Chief Innovation Officer bei Evonik übernommen. Mit dieser neugeschaffenen Position will das Spezialchemieunternehmen seine Innovationskraft weiter stärken. Nagler ist bereits seit 25 Jahren im Konzern; der Chemiker begann seine Karriere 1986 bei der damaligen Degussa.

In seiner neuen Tätigkeit wird Nagler die Wachstumspläne von Evonik insbesondere durch eine adäquate Innovationsstrategie und -kultur für den Gesamtkonzern unterstützen. Dr. Michael Reubold sprach mit ihm darüber, wie aus Ideen Innovationen entstehen und welche Möglichkeiten Evonik zur Verfügung stehen, diesen Prozess zu beschleunigen.


CHEManager: Herr Dr. Nagler, wozu wurde die Position des Chief Innovation Officer bei Evonik geschaffen, was werden Ihre Aufgaben sein?

Dr. Peter Nagler: Für Evonik als ein führendes Spezialchemieunternehmen sind Innovationen unverzichtbar. Dass wollen wir durch diese Position noch klarer hervorheben und daher gehört es unter anderem zu meinen Aufgaben, unsere Innovationskraft weiter zu stärken und so dazu beizutragen, die Wachstumspläne von Evonik zu unterstützen.

Um welche Themen werden Sie sich dabei vorrangig kümmern und mit welchen Konzerneinheiten werden Sie zusammenarbeiten?

Dr. Peter Nagler: Es gibt bei Evonik eine Vielzahl von Innovationsthemen und eine Vielzahl von Innovationspartnern. Für den Erfolg von Innovation ist die enge Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Funktionen in den Geschäftsbereichen, in der strategischen Forschung, in der Verfahrensentwicklung und in Serviceeinheiten unerlässlich. Wir benötigen ein ausgezeichnetes Netzwerk, mit dem Evonik marktgerechte Innovationen realisieren kann.

Netzwerk ist ein gutes Stichwort. Können Sie dieses Netzwerk skizzieren?

Dr. Peter Nagler: Lassen Sie uns das Thema Netzwerk von verschiedenen Seiten betrachten. Wir benötigen zum einen interne Netzwerke: Das heißt, Experten der Produktentwicklung, der Anwendungstechnik, der Prozessentwicklung, des Engineerings sowie des Marketings und bei Bedarf weitere müssen - etwa in interdisziplinären Projektteams - eng zusammen arbeiten.

Außerdem brauchen wir einen regelmäßigen übergreifenden Austausch der verschiedenen Bereiche und Regionen im Konzern. Dieser ist auch deshalb wichtig, weil Evonik eine dezentrale Struktur hat. Um diesen Austausch zu strukturieren und zu fördern, haben wir zum Beispiel sechs „Areas of Competence" definiert. Inorganic Particle Design, Coating & Bonding Technologies, Interfacial Technologies, Designing with Polymers, Biotechnology sowie Catalytic Processes. Diese bereichsübergreifenden Kompetenzfelder bilden einen großen Teil unserer Märkte ab. Dazu kommen marktorientierte Industrieteams etwa für die Automobil und die Solarindustrie.

Denn eins ist auch klar: Letztendlich wird unsere Innovation durch die Kunden- bzw. Marktbedürfnisse gesteuert. Wir betreiben Innovation nicht zum Selbstzweck, sondern um ein Marktbedürfnis oder ein Kundenbedürfnis zu erfüllen. Die enge und vertrauensvolle Kooperation mit den Kunden ist dafür essentiell.

Wie würden Sie die Innovationskultur im Evonik-Konzern beschreiben?

Dr. Peter Nagler: Evonik hat eine gute Innovationskultur - wir sind bereit, auch vollkommen neue Wege zu beschreiten. Wir lernen aus unseren Fehlern, wir fördern eigenverantwortliches, unternehmerisches Handeln, wir räumen unseren Forschern Freiräume ein, wir suchen Querdenker und wir fördern Diversität sowie interdisziplinäres und interkulturelles Zusammenarbeiten. Kurzum, wir haben „Mut zum Neuen" und betrachten die Zukunft als eine Chance. Gleichzeitig managen wir unsere definierten Projekte stringent für maximale Effizienz.

Auch unsere Innovationsorganisation ist modern aufgestellt mit dezidierten Einheiten: Zum einen haben wir die dezentrale, markt- und kundennahe F&E in den Geschäftsbereichen. Zum anderen haben wir mit der Creavis eine Einheit geschaffen, die sich mit strategischer Forschung beschäftigt und die Aufgabe hat, über den Tellerrand hinweg zu schauen. Ziel ist es, neue Märkte, neue Anwendungen, neue Produkte - also neues Wachstumspotential für Evonik - zu identifizieren.

Dazu gehören auch die verschiedenen Science-to-Business Center. Welche gibt es?

Dr. Peter Nagler: Die Science-to-Business Center sind das Rückgrat der Creavis. Der Name „Science-to-Business" steht für das, was wir unter Innovation verstehen: Nur wenn eine Idee zu einem vermarktbaren Produkt führt, haben wir eine Innovation. Mit unserer strategischen Forschung möchten wir neue wissenschaftliche Erkenntnisse in Geschäft umsetzen, was neben technologischen Entwicklungen auch neue Geschäftsmodelle beinhalten kann. Dazu haben wir zurzeit drei Science-to-Business Center.

Eines beschäftigt sich mit „Nanotronics", also einer Kombination von Nanotechnologie und Elektronik, wir haben eines zum Thema „Biotechnologie" und eines zum Thema „Ökologie und Ökonomie", welches wir „Eco2" (Eco Square, Anm. d. Red.) nennen.

Wie laufen die Ideenfindungsprozesse bei Evonik ab und wie unterstützen Sie die Abläufe in Ihrer neuen Funktion?

Dr. Peter Nagler: Ideenfindungsprozesse werden häufig durch unsere Kunden oder Partner angestoßen und auch unterstützt. Und natürlich beobachten wir den Markt und haben alle Augen und Ohren offen, um die Marktbedürfnisse zu erkennen. Für den langfristigen Blick in die Zukunft haben wir innerhalb der Creavis eine Gruppe gegründet, die sich mit dem Thema Corporate Foresight beschäftigt.

Wir wollen verstehen, welche Anforderungen in einem 10- bis 15-Jahreszeitraum an den Märkten entstehen könnten und welche Möglichkeiten sich für neue Geschäfte daraus ableiten lassen. Es geht uns hierbei darum ein Verständnis für künftige Bedürfnisse zu entwickeln. Daraus können neue Forschungsprojekte, ein neues Science-to-Business-Center oder auch völlig neue ungewöhnliche Strukturen und Vorgehensweisen entstehen, mit denen wir Sprunginnovationen anstreben.

Außerdem unterstützen wir den gesamten Innovationsprozess und die Ideenfindung auch systematisch. Im Innovationsmanagement gibt es eine kleine hocheffiziente Inhouse-Consulting-Gruppe, die sich mit dem Thema Innovationsprozesse beschäftigt. Sie berät alle mit Innovation befassten Einheiten, um systematisch Prozesse aufzusetzen, Innovationsstrategien zu entwickeln, unsere Produktpipeline zu steuern etc. Ideen haben wir sehr viele, man muss nur die besten herausfinden und sie systematisch vorantreiben, um den ganzen Prozess effektiv und effizient zu gestalten. Denn die Kunden möchten die Lösungen eher früher als später.

Kundennähe ist charakteristisch für Spezialchemieunternehmen. Welche Bedeutung hat Innovation für die Spezialchemie?

Dr. Peter Nagler: Unsere Kunden erwarten, dass wir ihnen ständig neue Ansätze bieten, um ihre Wettbewerbsfähigkeit am Markt mit neuen Produkten mit verbesserten Eigenschaften zu erhöhen. Nach meiner Einschätzung haben wir hier einen guten Track Record. Die Bedeutung von Innovationen für die Spezialchemie und damit für uns ist außerordentlich hoch. Wir bei Evonik konzentrieren uns auf die weltweiten Megatrends Gesundheit und Ernährung, Ressourceneffizienz und Globalisierung.

Stichworte sind z.B. Klimaschutz, Elektromobilität, Leichtbau und Biotechnologie. Die Megatrends zeigen auch, dass die Welt vor großen Herausforderungen steht, für die wir Lösungen finden müssen. Die Chemie generell, insbesondere die Spezialchemie, kann und muss hier enorme Beiträge leisten. Und die Lösungen müssen nachhaltig sein, also die Themen Ökologie, Ökonomie und soziale Anforderungen in Gleichklang bringen.

Wo sind denn die wichtigsten Innovationszentren von Evonik?

Dr. Peter Nagler: Wir sind global aufgestellt und betreiben Innovation an 35 Standorten auf der Welt. Damit sind wir schon sehr dezentral und in den bedeutenden Märkten nahe bei unseren Kunden. Nichtsdestotrotz, unsere wichtigsten Kompetenzzentren stehen nach wie vor in Deutschland. Und das wird sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern, denn Deutschland bietet hervorragende Voraussetzungen für Innovationen. Nach meiner Einschätzung ist einer unserer großen Vorteile in Deutschland die enge Vernetzung von universitärer und außeruniversitärer Forschung mit der Industrie und hier wiederum zwischen kleinen und mittelständischen sowie großen Unternehmen. Das ist die Basis für den Erfolg, den wir bisher als Innovationsstandort hatten.

Aber wir wissen, dass das Wachstum nicht nur in Deutschland stattfinden wird, sondern auch in anderen Regionen der Welt, beispielsweise in China, Indien oder Südamerika. Und wir werden uns überlegen müssen, wie wir die Kompetenzen, das Wissen und letztendlich auch die Menschen, in den Wachstumsregionen besser für die Realisierung der Wachstumspläne von Evonik gewinnen können, d.h. wir werden weitere Kompetenzzentren in den Regionen aufbauen müssen.

Wenn Sie diese Verzahnung zwischen Industrie und Lehre in Deutschland mit anderen Ländern vergleichen, wie würden Sie Deutschland da einstufen?

Dr. Peter Nagler: Die Vernetzung der Industrie mit Forschungseinrichtungen ist in Deutschland generell sehr gut. Es gibt hier beispielsweise Kompetenznetzwerke, in denen mehrere Partner - Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen - zusammenarbeiten. Das ist eine unserer Stärken, die wir in Deutschland haben. Wir haben mit solchen Forschungsclustern sehr gute Erfahrungen gemacht.

Auch wenn wir meiner Meinung nach sehr gut positioniert sind müssen wir klar sehen: Es gibt auch in anderen Ländern hervorragende Wissenschaftler und große Kompetenzen. Wir werden in Deutschland weiter daran arbeiten müssen, unseren Vorsprung - da wo wir ihn noch haben - zu halten.

Plädieren Sie wie viele Ihrer Kollegen und Wirtschaftsverbände für eine steuerliche Forschungsförderung?

Dr. Peter Nagler: Wir müssen über Strukturen und Anreize nachdenken und insofern ist eine staatliche Forschungsförderung ein Thema, über das wir sehr intensiv diskutieren sollten. In anderen Ländern gibt es das. Ich glaube, eine steuerliche Forschungsförderung würde dem Forschungsstandort Deutschland gut tun.

Wir - und das gilt sicher auch für viele andere insbesondere kleinere Unternehmen - würden jeden Euro, den die Unternehmen dadurch als Vorteil hätten, wieder in Forschung reinvestieren. Der Standort Deutschland würde insgesamt attraktiver, um F&E in Deutschland zu betreiben; dies gilt auch für die Ansiedlung von Unternehmen aus dem Ausland.

Wir haben viel über Innovation und Wissen gesprochen. Wie schützt man denn sein Wissen und seine Innovationen vor dem Zugriff von außen?

Dr. Peter Nagler: Wir verfolgen dabei im Prinzip zwei Ansätze. Zum einen haben wir eine sehr effiziente Patentabteilung. Diese versteht sich nicht nur darauf, Patente zu schreiben, sondern sie kennt auch die Geschäftsstrategien und die Anforderungen des Geschäfts an den Schutz des Wissens. So kann sie entsprechende Patentstrategien entwickeln, die das erarbeitete Wissen absichern.

Es ist aber auch sehr viel Wissen in den Köpfen unserer Mitarbeiter vorhanden, welches man nicht in Patente gießen kann. Daher beschäftigen wir uns zum anderen auch mit dem Know-how-Schutz. Hier sind wir gerade dabei, unsere Mitarbeiter zu sensibilisieren und eine Richtlinie zu erarbeiten, um den Mitarbeitern eine Anleitung an die Hand zu geben, wie sie ihr Know-how am besten schützen können. Know-how-Schutz ist für ein innovatives Spezialchemieunternehmen ein wichtiges Thema.

Spielt dabei auch Open Innovation eine Rolle?

Dr. Peter Nagler: Wir sind absolut nicht der Meinung, dass Evonik alles alleine entwickeln müsste, sondern wir wollen zusammen mit strategischen Partnern arbeiten. Das können Kunden sein, das können Lieferanten sein, das können Hochschulen und andere Forschungseinrichtungen sein. Durch die Vernetzung können wir Kompetenzen zusammenbringen, die wir alleine nicht haben. Deswegen ist das Thema auch für uns absolut essentiell. Hier wollen wir noch besser werden, insbesondere international. Eine meiner Aufgaben wird sein, zusammen mit den Geschäftsbereichen die Internationalität von Forschung und Entwicklung auszubauen.

Wir haben z.B. Forschungszentren in Indien und in Japan und ein Technologiezentrum in Shanghai und bauen gerade ein weiteres Kompetenzzentrum in Taiwan auf. Darüber hinaus machen wir uns intensiv Gedanken, wie die Evonik-Innovationslandschaft in einigen Jahren aussehen soll. Wir werden auf den Kompetenzen in Deutschland aufbauen, aber so wie das Wachstum in anderen Regionen erfolgen wird, werden wir in diesen Regionen ebenfalls Kompetenzzentren aufbauen müssen. Internationalität der Forschung ist ein extrem wichtiges Thema. 

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