WVIS-Kolumne Neues aus dem Industrieservice
Das gesuchte Produkt ist nicht mehr verfügbar
Spülmaschinen sind ein Segen der Technik. Wenn sie allerdings am Sonntagnachmittag völlig überraschend ein Teil des „guten Porzellans“ sprengen, wird aus dem Segen ein Fluch. Letzterer begleitete mich dann am Montag auch noch ins Büro, wo ich im Auftrag meiner Frau den Nachkauf der zerstörten Teile organisieren sollte. Weshalb sie nicht selbst ein Fachgeschäft aufsuchte und drei neue Tassen kaufte, erfuhr ich als mein PC nach Eingabe der Eckdaten des Produkts meldete: „Das gesuchte Produkt ist nicht mehr verfügbar“. Ein Anruf beim Kundenservice klärte mich anschließend darüber auf, dass die Nachkaufgarantie für die von uns genutzte Porzellanserie nur zehn Jahre andauert, danach müsse man sich eben über Porzellanbörse, ebay, Sammlerbörsen oder Outlets versorgen. In der Konsumgüterindustrie ist Nachhaltigkeit, zumindest beim Porzellan, also streng limitiert. In der Modeindustrie ist die Verfügbarkeit von Produkten sogar noch kurzlebiger. Ist die aktuelle Saison vorbei, ist der Nachkauf so gut wie unmöglich. Neuheiten lösen die bisherigen Produkte vollständig ab, Ersatzteile sind nur in Einzelfällen verfügbar, Reparaturen nicht vorgesehen.
Wenn man nun nicht gerade auf ein vollständiges Meißner Porzellanservice aus ist, einigt man sich mit der Gattin schnell auf ein neues Komplettservice und degradiert das dezimierte aus dem Spülmaschinendesaster eben zum Alltagsgeschirr. Als ich dann jedoch einen Mitarbeiter aus dem Einkauf mit ähnlichen Seufzern am PC erlebte, die ich zuvor gegenüber dem Porzellanportal ausgestoßen hatte, wurde mir klar, dass die Vorgehensweise der eingeschränkten Verfügbarkeit von Produkten auch in unserer Branche Anlagenbau und Industrieservice zum Tagesgeschäft gehört.
Der rasante Fortschritt der Technik und die Umstellungen im Zuge der Digitalisierung führen dazu, dass Produktveränderungen und Produktankündigungen in immer kürzeren Abständen erfolgen. Der Anlagen- und Maschinenbau wird turnusmäßig von Innovationen überschwemmt und von Updates heimgesucht. Kompatibel ist spätestens nach dem zweiten Relaunch nichts mehr so wirklich. Wer jetzt keinen pfiffigen Alleskönner im Team hat, der irgendwie noch eine Verbindung zwischen Alt und Neu unter Zuhilfenahme von neuen oder irgendwann mal zu viel gekauften und fast schon vergessenen Ersatzteilen aus dem Fundus hinbekommt , ist verloren. Dieser Zustand der Hilflosigkeit hat einen Namen: Obsoleszenz.
Während das Porzellanservice auch mit einer Tasse weniger noch brauchbar ist, geht bei einer Anlage ohne das richtige Ersatzteil nichts mehr. Wirtschaftlich gesprochen bedeutet dies, dass der Lebenszyklus einer Anlage maßgeblich eingeschränkt wird und die Rentabilität des Investments drastisch abnimmt. Von den Folgekosten für die Aktualisierung der Schnittstellen und die Anpassung der Software ganz zu schweigen.
Alles immer nur „neu“ zu machen, ist nicht die Lösung.
Moderner Industrieservice hält für diese Nebenwirkungen der Industrie 4.0-Welle intelligente Lösungen bereit. Die Fachleute des Obsoleszenzmanagements zeichnen sich dadurch aus, Produktänderungen oder -abkündigungen, die sog. Product Change Notifications (PCN) nahezu vollständig zu erfassen, zu dokumentieren und zur Kommunikation in Nutzerkreis zur Verfügung zu stellen. Die einheitliche Erfassung von Beständen, Restbeständen und das Wissen um die Kompatibilität mit neuen Produkten, bietet einen maßgeblichen Vorteil für den Anlagenbetreiber. Reparaturen werden möglich, Neuanschaffungen können besser an die vorhandene Substanz angepasst werden, Schnittstellen schneller wieder geschlossen werden. Die Verfügbarkeit der Anlage wird schnellstmöglich wiederhergestellt beziehungsweise Stillstände werden sogar gänzlich vermieden. Durch den einheitlichen Standard in der Kommunikation wird erreicht, die weltweit noch verfügbare PCN weitgehend automatisch zu verarbeiten und bereitzustellen. Von Fall zu Fall werden dann Lösungen aus diesem Baukasten generiert, die den Betreibern dann anstelle einer Absage den schönen Satz beschert: „Es gibt sie noch, die guten alten Dinge!“
Die erste deutsche Obsoleszenz-Tagung plant der Verband WVIS im April 2018!
Herzlichst Ihr
Reinhard Maaß
Kontakt
WVIS Wirtschaftsverb. f. Industrieservice e.V.
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