Wo die Sonne geerntet wird
Dachser unterstützt BASF mit Gefahrguttransport für Thermo-Solar-Kraftwerk in Marokko
Ein guter Film braucht Spannung, eine Portion Dramatik, Helden und ein Happyend. All das ist geboten in Marokko beim Bau des größten Thermo-Solar-Kraftwerks der Welt. BASF und Dachser haben dazu die Logistik zur Hauptdarstellerin einer Erfolgsstory im CinemaScope-Format gemacht.
Die Geschichte beginnt mit einem Rückschlag. Das Solarprojekt Desertec nährte die Hoffnung, dass mit Strom aus der nordafrikanischen Wüste die Energieprobleme Europas ein für alle Mal ein Ende finden. Daraus wurde nichts. Interessen änderten sich, große Investoren stiegen aus, hinzu kamen politische Umbrüche und terroristische Bedrohungsszenarien in Nordafrika. Dramatische Entwicklungen mögen sich gut in einem Hollywood-Film machen, in der Geschäftswelt haben sie schon manche mit großer Zuversicht gestartete Zusammenarbeit beendet. So auch bei Desertec. Der marokkanische König Mohammed VI wollte sich mit dem Aus des Wüstenstroms nicht abfinden und trieb Marokkos eigene ambitionierte Energiestrategie voran: Bis 2020 will das Land die Kapazitäten von Sonnenenergie, Windkraft- und Wasserkraft auf jeweils 2.000 Megawatt ausbauen.
Die Kulisse für das Projekt Noor (arabisch für Licht) steht in der Nähe der Stadt Ouarzazate im Süden Marokkos. Sie ist Schauplatz eines großen Zukunftsabenteuers, bei dem Dachser eine maßgebliche Rolle spielt. Die Kulisse dafür könnte spektakulärer kaum sein: Sie ist bestimmt von schroffen Felsformationen und rotsandigen festungsähnlichen Städten. Aus gutem Grund wurden hier schon Monumentalklassiker wie „Lawrence von Arabien“, „Gladiator“, „Die Päpstin“ und „Der Medicus“ sowie die US-Fantasy-Fernsehserie „Game of Thrones“ und zahlreiche Bibelfilme gedreht.
Geht es der Filmbranche um Fiktion, ist die Energiewirtschaft allerdings an harten Fakten interessiert. „Noor“ steht für das größte Thermo-Solar-Kraftwerk der Welt. Auf einer Fläche von 3.000 ha werden vier einzelne Kraftwerke gebaut, die schon in zwei Jahren jährlich bis zu 560 MW Leistung liefern sollen. Noor 1 soll noch in diesem Jahr in Betrieb gehen. Nach der Fertigstellung erzeugt der Kraftwerkskomplex umweltschonende Energie für über 1,2 Mio. Menschen und spart jährlich bis zu 800.000 t CO2 ein.
Sonnenenergie speichern
Möglich machen dies moderne Thermo-Solar-Kraftwerke. Dort kommt neben Parabolspiegeln ein Gemisch aus Natriumnitrat und Kaliumnitrat zum Einsatz. Die Sonnenwärme hebt die Temperatur der Schmelze an und wird auf diese Weise gespeichert. Ähnlich wie bei einem Wasserbad wird die Energie wieder abgegeben, wenn sich die Schmelze abkühlt. Dadurch erzeugt das Kraftwerk auch Strom, wenn die Sonne nicht scheint. Das Natriumnitrat liefert der Chemiekonzern BASF aus Ludwigshafen. Die Zwischenlagerung, die im Mai 2014 begann, sowie die Lieferung an die Baustelle koordiniert Dachser in Marokko.
„Dem Auftrag ging eine mehrjährige Überzeugungsarbeit voraus“, erinnert sich Rüdiger Erb, Business Development Manager Chem-Logistics bei Dachser in Kempten. Die Geschichte des Projekts ist annähernd filmreif. Schon 2012 erkundigte sich BASF über die Möglichkeiten, Gefahrstoffe einlagern und zustellen zu lassen. Doch gleich mehrfach änderten sich die Rahmenbedingungen.
Von Anfang an war das größte Problem, ein geeignetes Gefahrstofflager in dem nordafrikanischen Land zu finden. „Denn BASF hat klare Vorstellungen, die hohen Sicherheitsstandards des Unternehmens gelten schließlich weltweit“, erklärt Erb. Das betreffe naheliegende Punkte wie eine Sprinkleranlage, die allerdings in Marokko auch nicht immer selbstverständlich ist. Zu den BASF-Anforderungen gehört zudem, dass die Brandschutzwände und -tore einem Feuer mindestens 90 Min. standhalten müssen und die Gabelstapler explosionsgeschützt sind. Verpflichtend sind auch Löschwasserauffangbecken, eine sieben-Tage-rund-um-die-Uhr-Überwachung mit Kameras sowie ein umfassend eingezäuntes Gelände. „Das Ergebnis der Suche im Land war zunächst – schlicht gesagt –vernichtend“, erklärt Erb. Anfangs entsprachen nicht viele der dortigen Lager den Anforderungen der BASF. Niedrige Decken, wasserdurchlässige Böden oder gar verrostete Leitungen waren selbst in den besseren Lagern vorhanden.
Casablanca bringt die Wende
Als sich der Desertec-Nachfolger Noor abzeichnete und Dachser für BASF erneut auf die Suche ging, wurden die Chem-Logistics-Experten schließlich in Casablanca fündig. „Ein marokkanisches Unternehmen hatte erkannt, dass Gefahrstoff-Lagerstandorte künftig ein vielversprechendes Geschäft sein könnten, und bot ein Lager mit zehn brandgesicherten Compartements und einer Fläche von über 100.000 m²“, erklärt M’hamed Chraibi, General Manager, South Marocco, der das Projekt bei Dachser Marokko begleitet. Die Ausstattung für die Lagerung entspricht dabei den hohen Standards von BASF und Dachser. Seit Mitte vergangenen Jahres lagert das Chemieunternehmen nun in zwei dieser Compartements Bigbags mit Natriumnitrat auf 8.000 m² ein. Seit Juli ist es die Aufgabe von Dachser, diese Bigbags zeitgenau auf die Baustelle in Ouarzazate zu bringen. Drei Monate hat der Logistikdienstleister dafür Zeit.
Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn seit dem Terroranschlag auf ein Hotel im tunesischen Sousse hat sich die Sicherheitslage in Nordafrika dramatisch verschärft. „Wir mussten zunächst zuverlässige Unternehmer finden, die uns schon zwei Jahre im Voraus garantieren konnten, innerhalb von drei Monaten täglich bis zu 15 LKW zur Verfügung zu stellen“, erklärt Erb. Außerdem müssen Fahrer bereitstehen, die nicht nur die entsprechende ADR-Ausrüstung und Schulung zur internationalen Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße haben, sondern auch täglich kleine Heldentaten vollbringen können.
„Nach dem Terroranschlag dürfen wir nur noch mit einer Polizeieskorte fahren. Das ist eine ganz neue Herausforderung für die Logistik“, erläutert Erb. „Damit brauchen wir für den 450 km langen Weg zwischen Casablanca und Ouarzazate doppelt so lang wie geplant. Zwischen 12 und 13 Std. ist der Konvoi nun bis zu seinem Bestimmungsort unterwegs.“ Im Atlasgebirge gebe es keine Autobahn und die Straßen seien teilweise eng und kurvenreich. So führt der Weg u.a. über den Tizi n’Tichka-Pass. Mit 2.260 m ist das eine der höchstgelegenen Gebirgsstraßen in Marokko. Insgesamt müssen rund 1.100 LKW auf diesem Weg nach Ouarzazate kommen. Da ist nicht nur viel fahrerisches Geschick im Konvoi, sondern auch eine „Logistik in CinemaScope-Format“ gefragt.
Insgesamt werden bis zur Fertigstellung des ersten Thermo-Solar-Kraftwerks rund 24.000 t Chemikalien über den Hauptkamm des Hohen Atlas transportiert und dabei 1.134.000 km zurückgelegt. Das erste Etappenziel ist der offizielle Start für die Phase 1 am 1. Januar 2016. Und wie im Kino heißt es dann eventuell: Fortsetzung folgt. (sa)