Wirkzusammenhänge begreifen
Teil V – Kavitierende Strömungen
Kavitationserscheinungen verursachen erhöhte Geräuschpegel und können zu starkem, lebensdauerbegrenzendem Verschleiß von Bauteilen führen. Da es nicht „die“ Kavitation gibt, muss zwischen verschiedenen Kavitationsformen unterschieden werden.
In den ersten drei Teilen der Beitragsreihe (CITplus 12/2017, S. 14 ff., CITplus 5/2018, S. 42 ff. und CITplus 1-2/2019, S. 13 ff.) wurden die mit Druckschwingungen verbundenen Phänomene in Leitungssystemen vorgestellt. Da Druckschwingungen häufig durch diskontinuierlich arbeitende Pumpen und Motoren verursacht werden, wurde im vierten Teil (s. CITplus 3/2020, S. 30-32) eine Messmethode zur Bewertung der Förderstrompulsation von Verdrängereinheiten präsentiert. Der vorliegende Teil der Reihe beleuchtet den Phänomenkomplex „Kavitation“.
Kavitationserscheinungen können durch mehrere, teilweise völlig unabhängig voneinander auftretende Mechanismen ausgelöst werden, sodass zwischen verschiedenen Kavitationsformen unterschieden werden muss. Die sich jeweils einstellende Kavitationsform hängt stark von den Stoffeigenschaften der Flüssigkeit und der spezifischen Strömungssituation ab.
Kavitationsformen
Die Vorstellung der einzelnen Kavitationsformen erfolgt am Beispiel der Strömung durch einen generischen Widerstand. Zur Einführung wird zunächst die Situation ohne Kavitation diskutiert.
Kavitationsfreie Strömung
Die in den Widerstand einströmende Flüssigkeit besitzt eine bestimmte Gesamtenergie, die sich additiv aus den Beiträgen der potenziellen Energie (proportional zum statischen Druck p1) und der kinetischen Energie (proportional zum Quadrat der Strömungsgeschwindigkeit zusammensetzt. Nach dem Gesetz von Bernoulli ist die Gesamtenergie – bei verlustloser Strömung – entlang einer Stromlinie konstant. Da der Widerstand die durchströmte Querschnittsfläche reduziert, muss die Strömungsgeschwindigkeit hier gegenüber dem Wert vor dem Widerstand zunehmen, sodass die kinetische Energie steigt. Nach dem Gesetz von Bernoulli muss der statische Druck pVC entsprechend abnehmen. Der Querschnitt mit der höchsten Geschwindigkeit – die sog. „Vena contracta“ – entspricht daher der Stelle mit dem niedrigsten statischen Druck.
Nachdem die Flüssigkeit die Vena contracta passiert hat, sinkt die Strömungsgeschwindigkeit wieder und der statische Druck steigt an. Aufgrund von Strömungsverlusten wird der statische Druck p 2 hinter dem Widerstand jedoch geringer als der Vordruck p 1 ausfallen.
Im Allgemeinen führt eine Erhöhung des Volumenstroms durch den Widerstand zu einer Erhöhung des Druckverlusts Δp=p1–p2. Diese Regel gilt auch in umgekehrter Richtung: Vergrößert man die aufgeprägte Druckdifferenz, so wächst der Durchfluss. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass dieser Abhängigkeit eine obere Grenze gesetzt ist, d.h. eine Erhöhung der Druckdifferenz ab einem bestimmten Wert nicht mehr zu einem Anstieg des Volumenstroms führt. Wieso ist das so?
Höhere Volumenströme führen zu höheren Geschwindigkeiten und damit niedrigeren Drücken in der Vena contracta. Fällt der lokale Druck unter ein bestimmtes Niveau, treten Phänomene auf, die allgemein als „Kavitation“ bezeichnet werden. Abhängig vom physikalischen Mechanismus können drei Kavitationsarten unterschieden werden: Dampf-, Gas- und Pseudokavitation. Zunächst wird die Dampfkavitation vorgestellt.
Dampfkavitation
Wenn der lokale Druck in der Vena contracta unter den temperaturabhängigen Dampfdruck pD der Flüssigkeit fällt, bilden sich Dampfblasen. Nach Durchströmen des engsten Querschnitts kollabieren die Blasen fast augenblicklich, da der lokale Druck den Dampfdruck wieder übersteigt. Das Phänomen der druckabhängigen Bildung und des anschließenden Kollapses von Dampfblasen wird als Dampfkavitation (Kavitation im engeren Sinne) bezeichnet.
In den meisten Fällen ist Dampfkavitation ein unerwünschtes Ereignis, da sie die Durchflussrate durch Ventile und Widerstände begrenzt (engl. „Choking“, siehe im Abschnitt „Durchflussverhalten eines Widerstands“ weiter unten) sowie Lärm, erosive Komponentenschäden und Rohrvibrationen verursacht. Die direkten Auswirkungen von Dampfkavitation sind meistens auf die Gebiete mit p < pD und deren unmittelbares Umfeld begrenzt.
Gaskavitation
Auch wenn die lokalen Drücke nicht auf Werte unterhalb des Dampfdrucks abfallen, kann oft ein ähnliches Strömungsbild wie bei der Dampfkavitation beobachtet werden.
Flüssigkeiten, die Luft oder anderen Gasen ausgesetzt sind, können einen bestimmten Anteil des jeweiligen Gases absorbieren. Die Fähigkeit, Gase zu lösen, sinkt mit abnehmendem Druck (Henry-Gesetz). Wenn eine mit gelöstem Gas beladene Flüssigkeit den Widerstand durchläuft und der Druck in der Vena contracta unter einen bestimmten Druck (hier mit pα bezeichnet) fällt, wird ein Teil des gelösten Gases freigesetzt („Desorption“).
Im Gegensatz zur Dampfkavitation bleibt die Strömung stromabwärts des Widerstandes allerdings zunächst mit Gasblasen beladen, da die Rücklösung in die Flüssigkeit typischerweise deutlich mehr Zeit erfordert als das Ausgasen. Dies kann zu Problemen führen, da bereits kleine Mengen ungelösten Gases die Fluideigenschaften erheblich verändern, wie in Abschnitt „Schallgeschwindigkeit & Resonanzfrequenzen“ gezeigt wird. Da die Blasen mit der Flüssigkeitsströmung weitertransportiert werden, können sogar nicht kavitationsgefährdete Bereiche unter den Auswirkungen der Kavitation leiden.
Pseudokavitation
Auch ohne die Freisetzung von vormals gelöstem Gas kann ein kavitationsähnliches Phänomen auftreten. Wenn die einströmende Flüssigkeit bereits Gasblasen enthält, vergrößert sich ihr Volumen mit abnehmendem Druck innerhalb des Widerstandes (oder an einer anderen Stelle im Strömungsfeld) fast augenblicklich.
Nach Erreichen von Zonen mit höherem Druck schrumpft ihr Volumen wieder schlagartig zusammen. Das Phänomen des druckabhängigen Blasenwachstums und -schrumpfens ohne Absorption oder Desorption wird als Pseudokavitation bezeichnet.
Gemischte Kavitation
In praktischen Anwendungen treten typischerweise alle drei Kavitationsmechanismen gleichzeitig auf. Bei Mineralölen dominiert im Allgemeinen die Gaskavitation, während bei Anwendungen mit wasserbasierten Druckmedien aufgrund des vergleichsweise geringen Luftlösevermögens häufig die Dampfkavitation am ausgeprägtesten ist.
Die meisten Hydraulikflüssigkeiten sind mit einer bestimmten Menge an gelöstem und ungelöstem Gas beladen. Aufgrund niedrigerer Drücke an der Vena contracta (oder an anderen Engstellen im System) wird das Volumen des ungelösten Gases zunehmen (Pseudokavitation). Wenn zusätzlich Dampfkavitation auftritt, enthalten die neu gebildeten Blasen neben dem Dampf der Flüssigkeit bestimmte Mengen des zuvor gelösten Gases. Nach Erreichen von Drücken p > pD verschwindet der Dampfgehalt der Blasen schnell, die Gasblasen bleiben jedoch erhalten – wie bei reiner Gaskavitation erfordert das Rücklösen des Gases in die Flüssigkeit einige Zeit. Die Blasen wandern mit der Strömung weiter stromabwärts, was aufgrund der veränderten Stoffeigenschaften zu Problemen führen kann, wie im nachfolgenden Abschnitt beschrieben wird.
Konsequenzen für das Systemverhalten
Die verschiedenen Kavitationsmechanismen können sowohl einzeln als auch im Zusammenspiel miteinander die Eigenschaften einer hydraulischen Anlage stark beeinträchtigen. Zwei besonders folgenreiche Auswirkungen werden in diesem Abschnitt vorgestellt.
Schallgeschwindigkeit & Resonanzfrequenzen
Wo Gasblasen auftreten, erfahren die Eigenschaften der hydraulischen Flüssigkeit (genauer: des Flüssigkeits-Gas-Gemischs) starke Änderungen. Da sich die Gasphase wesentlich leichter als die flüssige Phase komprimieren lässt, fällt die Steifigkeit des Gemischs – charakterisiert durch den effektiven Kompressionsmodul Keff oder die effektive Schallgeschwindigkeit αeff – deutlich geringer als die der „reinen“ Flüssigkeit aus.
Selbst geringste Volumenanteile vermögen αG0 von ungelöster Luft (R≈287 J · kg-1 · K-1, n=1,4) die Schallgeschwindigkeit in Hydraulikölen drastisch zu reduzieren. Mit zunehmendem Druckniveau nimmt der Einfluss der ungelösten Luft ab, da die Blasensteifigkeit proportional zum Druck ansteigt.
Die dargestellten Kurvenverläufe sind nur für langsam ablaufende Prozesse gültig. Bei hochdynamischen Vorgängen (z.B. Druckstößen) muss zusätzlich die Frequenzabhängigkeit der Gasblasensteifigkeit berücksichtigt werden. Diese kann – je nach Frequenzlage – die Steifigkeit des Gemischs weiter absenken oder sogar erhöhen.
Die starke Veränderung der Schallgeschwindigkeit resultiert in einer Verschiebung der Lage der Resonanzfrequenzen eines Hydrauliksystems. Vernachlässigung von Kavitationseffekten und Blasentransport bei der Auslegung einer Anlage kann daher dazu führen, dass sich ein in der Handrechnung unkritischer Betriebspunkt in der Praxis als gefährliche Resonanzsituation entpuppt.
Neben Schwingungsphänomenen wird auch die Stärke von Druckstößen von Veränderungen der Schallgeschwindigkeit beeinflusst. Da diese häufig den dimensionierenden Lastfall von Leitungen darstellen, ist eine frühzeitige Berücksichtigung dieser Effekte während des Konstruktionsprozesses unerlässlich. Beispielhaft wird dazu im kommenden Teil VII der Reihe die 1D-Simulation eines Druckstoßes mit Dampfkavitation behandelt.
Durchflussverhalten eines Widerstands
Wie zuvor ausgeführt nimmt der Volumenstrom über den Widerstand mit steigender Druckdifferenz zu. Dies gilt jedoch nur, solange keine Kavitation in der Strömung auftritt. Wird der Dampfdruck unterschritten, kommt es zur Dampfbildung – je mehr Dampf entsteht, umso stärker wird der Durchfluss durch den Widerstand behindert. Es kommt zu einer „Sättigung“ des Volumenstroms – eine größere Druckdifferenz führt nicht mehr zu einer Zunahme des Durchflusses.
Man könnte vermuten, dass die Druckdifferenz über den Widerstand der einzige Parameter ist, der Beginn und Ausmaß der Kavitation bestimmt. Da sich jedoch durch Erhöhung des Vordrucks p1 das Auftreten von Kavitation verzögern lässt, kann diese Größe nicht der einzig relevante Parameter sein [1]. Die kombinierten Auswirkungen dieser beiden „Stellschrauben“ werden in der Praxis daher durch den Kavitationsindex C (oder dessen Kehrwert) erfasst [1]:
Kleinere Werte des Kavitationsindexes C machen das Auftreten von Kavitation wahrscheinlicher. Kavitation tritt dann auf, wenn der Kavitationsindex unter einen komponentenspezifischen kritischen Wert Ckrit fällt.
Typische Werte von Ckrit sind für verschiedene Arten von Widerständen und Ventilen in der Literatur zu finden, die Tabelle zeigt eine kleine Auswahl:
Die von Ebrahimi et al. veröffentlichten Messwerte lassen sich mit einem für die verwendete Ventilart typischen Wert Ckrit=2 in der 1D-Simulation mit hoher Genauigkeit reproduzieren. Das entsprechende Simulationsmodell wird im folgenden Teil VI der Reihe vorgestellt.
Zusammenfassung und Ausblick
Am Beispiel der Strömung durch einen Widerstand wurden die verschiedenen Formen von Kavitation vorgestellt. Neben Dampfkavitation (Unterschreiten des Dampfdrucks) können Gaskavitation (Ausgasen durch druckabhängiges Lösevermögen) und Pseudokavitation (druckabhängiges Wachstum bereits vorhandener Gasblasen) auftreten. Während Dampf- und Pseudokavitation typischerweise nur die unmittelbare Nähe der Bereiche niedriger Drücke beeinflussen, können sich die Auswirkungen der Gaskavitation infolge des Gastransports praktisch überall bemerkbar machen.
Am Beispiel der Schallgeschwindigkeit wurde gezeigt, wie stark die Anwesenheit von Gasblasen die Resonanzlage eines Hydrauliksystems beeinflussen kann. Anhand des Durchflussverhaltens eines Widerstands wurde demonstriert, wie sehr sich Kavitationserscheinungen auf die Betriebscharakteristik hydraulischer Bauteile auswirken können.
In den kommenden Teilen der Reihe wird gezeigt, wie sich die verschiedenen Kavitationsphänomene in der 1D-Simulation abbilden lassen.
Literatur
[1] B. Ebrahimi et al. „Characterization of high-pressure cavitating flow through a thick orifice plate in a pipe of constant cross section.“ International Journal of Thermal Sciences 114 (2017): 229-240.
[2] N. N. „Neutrium – Cavitation in Restriction Orifices and Valves“. URL: https://neutrium.net/fluid_flow/cavitation-in-restriction-orifices/ (Abgerufen am 24. Juni 2020, 15:50 UTC).
Der Autor
Dr. Heiko Baum, Geschäftsführer Fluidon Gesellschaft für Fluidtechnik
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