Wettbewerbsposition internationaler Chemiestandorte im Vergleich
Teil 3 von 3
Zukunftskonzepte einer wettbewerbsfähigen Chemie-Landschaft für die europäischen und insbesondere deutschen Chemiestandorte bedürfen einer ganzheitlichen Analyse und Bewertung der Rahmenbedingungen. Basierend auf den durchgeführten Benchmarking Analysen internationaler Standorte mit ihren Ausprägungen hinsichtlich der zugrunde gelegten Standorterfolgsfaktoren, lassen sich sechs Handlungsfelder zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und Steigerung der Attraktivität von europäischen und der im Fokus stehenden deutschen Chemieparks skizzieren. Ausgewählte Handlungsfelder zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Standorte in einem globalen Vergleich
Die skizzierten Handlungsfelder adressieren entscheidende Faktoren und Bereiche einer auch zukünftig erfolgreichen lokalen chemischen Produktion. Im Folgenden werden die Handlungsfelder einzeln beschrieben, um anschließend erste grundsätzliche Handlungsempfehlungen je Handlungsfeld zu formulieren:
1. Energiekosten und Verfügbarkeit
Chemieparks in Europa weisen deutliche Wettbewerbsnachteile hinsichtlich der Energiekosten im Vergleich zu den Produktionsstandorten im Mittleren Osten und anderen Regionen in unmittelbarer Nähe zu günstigen Energiequellen auf. Am Beispiel Deutschland wird es deutlich, dass produzierende Unternehmen vor allem durch hohe gesetzliche Auflagen belastet werden, welche im Rahmen der Energiewende beschlossen wurden. Die Befreiung der energieintensiven Unternehmen muss weiterhin gewährleistet sein um einer Abwanderung von gesamten Wertschöpfungssträngen im Rahmen von zukünftigen Großinvestitionsentscheidungen vorzubeugen. Auf der anderen Seite kann eine erfolgreich durchgeführte Energiewende in Deutschland große Vorteile (Kosten- und Innovationsvorteile) für die chemische Industrie in der Zukunft bereithalten und als erfolgreiches Konzept für andere Industrieländer vermarktet werden.
2. Demographie und Verfügbarkeit qualifizierter Mitarbeiter
Im internationalen Vergleich nehmen die europäischen Chemieparks bei der Frage nach Verfügbarkeit von Arbeitskräften mit notwendiger (hoher) Qualifikation eine führende Position ein, mit der allein die in den USA lokalisierten Produktionsstandorte mithalten können. Chemieparks in Asien weisen zwar niedrigere Personalkosten auf, allerdings ist der Markt für qualifizierte Arbeitnehmer sehr begrenzt. Aber auch in Europa müssen mehrere demographische Risiken in naher Zukunft durch konzertiertes Handeln von Seiten der Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik abgewandt werden. Die alternde Bevölkerung und die damit verbundene natürliche Verknappung von benötigten Arbeitnehmern mit Spezialqualifikation tragen dazu bei, dass Unternehmen durch eine genaue Demographie-Analyse der Arbeitnehmerstruktur ihre Schwachpunkte frühzeitig erkennen und mittels richtiger Maßnahmen einem hausinternen Informationsverlust vorbeugen müssen. Die Ausbildung von Spezialisten im Rahmen von Dualstudiengängen bietet den Unternehmen eine zusätzliche attraktive Option für eine zukunftssichere Aufstellung auf dem sich verknappenden Arbeitnehmermarkt.
3. Rohstoffverfügbarkeit und Kostenlevel
Die Analyse der aktuellen Situation der europäischen Chemieparks hinsichtlich der Rohstoffverfügbarkeit und Rohstoffpreise zeigt eine effiziente Vernetzung einzelner Chemieparks unter anderem durch Pipelinenetze, welche die permanente Rohstoffverfügbarkeit garantieren. Europa gerät allerdings zunehmend unter Druck hinsichtlich der Preisentwicklung für fossile Rohstoffe. Die aktuelle Entwicklung in den USA bezüglich der Erschließung von Schiefergas-Vorkommen zeigt bereits deutliche Auswirkungen auf die Investitionsentscheidungen von Chemiekonzernen über den Aufbau von zusätzlichen Produktionskapazitäten an amerikanischen Standorten. Für die europäischen Chemieparks ist die mittelfristige Sicherung der Rohstoffversorgung ein entscheidendes Handlungsfeld, um einem permanenten Wettbewerbsnachteil vorzubeugen.
4. Chemiestandortstrategie
Das Erfolgsmodell Chemiepark mit seinem umfassenden Angebot von Service- und Infrastrukturleistungen ist weiterhin elementar für eine hohe Wettbewerbsfähigkeit der Chemieproduktion an den europäischen und insbesondere deutschen Standorten. Klar definierte Standortstrategien und Positionierung mit entsprechenden Plänen zur weiteren Standortentwicklung sind an den teilweise schon mit sehr langer Produktionshistorie versehen europäischen Standorten nicht flächendeckend vorzufinden.
5. Innovationskraft und innovative Wertschöpfungsketten
Eine enge Vernetzung von universitären Einrichtungen, Forschungszentren und industriellen Forschungslaboren in Europa ist seit Jahrzehnten für einen hohen Innovationsstandard verantwortlich. Förderung und Erschließung von innovativen Technologien (Power-to-Gas, CO2 als Synthesebaustein, etc.) sind direkt mit dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Region auf dem globalen Markt verbunden. Aktuell ist der Trend zu einer Verflechtung von unterschiedlichen Wertschöpfungsketten an einem Standort zur Hebung von vorhandenen Synergien zu erkennen. In der Zukunft werden diese entstehenden „innovativen Wertschöpfungsketten" maßgebend für eine wettbewerbsfähige Produktion in Europa im Vergleich zu Regionen wie Mittlerer Osten oder Asien sein, da die Qualität und das notwendige Know-how für die Produktion chemischer Erzeugnisse verstärkt in den Vordergrund bei der Kaufentscheidung der Groß- und Kleinabnehmer rücken wird.
6. Investitionsanreize und Steuern
Die gegebenen steuerlichen Belastungen sowie insbesondere die im Vergleich zu asiatischen und arabischen Standorten wenig ausgeprägten steuerlichen Investitionsanreize schaffen eine nachteilige Wettbewerbssituation insbesondere deutscher aber auch anderer europäischer Standorte. Anlageninvestitionen zum Beispiel an deutschen Standorten müssen sich mit einer nahezu doppelt so hohen Steuerbelastung und ohne weitere steuerliche Investitionsanreize rechnen lassen.
Handlungsempfehlungen je Handlungsfeld
1. Energiekosten und Verfügbarkeit
Bei der Suche nach Antworten auf die hohen Energiekosten an den europäischen Produktionsstandorten richtet sich der europäische Blick auf Deutschland und auf das Management der Energiewende durch die Bundesregierung. Das Gelingen des ambitionierten Vorhabens wird wesentliche Wettbewerbsvorteile für Deutschland und auch für Europa in der Zukunft bringen, welche nicht nur auf der Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern aufgrund des hohen Anteils der Erneuerbaren Energien sondern auch auf dem im Rahmen der Energiewende generierten Innovationsvorsprung auf dem Gebiet der Energieerzeugung basieren werden. Allerdings ist ein ständiges Nachjustieren während der erfolgskritischen Phase der Umsetzung der ambitionierten Ziele der Bundesregierung notwendig und kann nur durch eine klare Linie der Bundesregierung realisiert werden. Energieintensive Unternehmen verlangen vor allem nach Planungssicherheit bezüglich der anfallenden Kosten im Energiesektor, welche nur im Rahmen eines Dialogs zwischen der Politik und der Wirtschaft gewährleistet werden kann.
2. Demographie und Verfügbarkeit qualifizierter Mitarbeiter
Die Vernetzung der Ausbildungseinrichtungen mit den produzierenden Unternehmen in der Chemie-, Automobil und Schwermetall-Branche in Europa garantiert den hohen Qualifizierungsgrad der potenziellen Arbeitnehmer in der Zukunft. Diese Stärke muss weiterhin auf nationaler und internationaler Ebene in Europa ausgebaut werden. Auf der anderen Seite müssen vor allem mittelständische Unternehmen auf die Risiken der demographischen Veränderung des Arbeitnehmermarktes aufmerksam gemacht werden. Hierbei übernehmen die Gewerkschaften die entscheidende Rolle zur Sensibilisierung der KMUs und leisten Hilfestellung bei der Durchführung von demographischen Analysen und Erarbeitung von unternehmensspezifischen Konzepten für einen erfolgreichen Informationstransfer. Europa wird zudem auch in der Zukunft ein attraktives Ziel für ausländische hochqualifizierte Arbeitskräfte bleiben, wodurch einer Verknappung des Arbeitnehmermarktes durch gezielte Maßnahmen in der Einwanderungspolitik für qualifizierte Arbeitskräfte des jeweiligen Landes entgegengewirkt werden kann.
3. Rohstoffversorgung und Kostenlevel
Im Europa gibt es aktuell viele nationale Initiativen zur Verbesserung der Rohstoffbeschaffung. Diese konzentrieren sich primär auf einer lokalen Verbesserung der Kriterien für die Beschaffung und Zugang zu den Rohstoffquellen zu wettbewerbsfähigen Preisen. Chemieparks organisieren sich in nationalen Verbunden zum Ausbau von vorhandenen Pipelinenetzen für eine bessere Anbindung an vorhandene Rohstoffressourcen. Diese Maßnahmen verlaufen allerdings ohne eine konzertierte Steuerung auf einer europäischen Ebene. Ein gemeinsames länderübergreifendes Vorgehen bei den dringenden Fragen im Rohstoffsektor unterschiedlicher Branchen würde bestehende Nachteile gegenüber anderen Regionen, insbesondere USA und Mittlerer Osten, weitestgehend entgegen wirken können. Einer der dringenden Handlungsfelder besteht in der Verringerung des bereits vorhandenen Rückstands bei der Förderung von innovativen Technologien zur langfristigen Rohstoffsicherung (z.B. „Fracking" Technologie zur Erschließung von Schiefergas-Vorkommen).
4. Chemiestandortstrategie
Die Positionierung und Spezialisierung einzelner Chemieparks mit Wertschöpfungskettenabschnitten im regional ausgebildeten Verbund mit einem entsprechenden Pipeline Netzwerk sind weiter zu forcieren. Die unternehmensübergreifende Integration von Wertschöpfungsketten in einem Chemiepark aber auch in den sich regional ausgebildeten Produktionsclustern erfordert ein hohes Maß an Moderation unternehmensindividueller aber auch landespolitischer Interessen. Insbesondere deutsche Chemieparks mit ihrem Engagement im Rahmen von Regionalinitiativen wie ChemCologne, CeChemNet, ChemDelta Bavaria und ChemSite sowie durch die Fachvereinigung Chemieparks/Chemiestandorte im Verband der Chemischen Industrie (VCI) liefern einen entscheidenden Beitrag für die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Chemieproduktion. Dieses sollte als Rollenmodell an vielen weiteren europäische Standorten bzw. in den jeweiligen Regionen fungieren, um hier eine wirksame Bündelung von Interessen und abgestimmter Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Chemieproduktion in Europa.
5. Innovationskraft und innovative Wertschöpfungsketten
Die Analyse der Forschungslandschaft im Europäischen Raum hat ergeben, dass viele Kooperationsvorhaben zwischen der Industrie und akademischen Einrichtungen an der wesentlichen Diskrepanz zwischen den formulierten Erwartungen der Forschungseinrichtungen und den Zielen der produzierenden Unternehmen scheitern. Diese Lücke soll durch einen offenen Dialog beider Seiten und der Politik in der Vermittlerrolle geschlossen werden. Es gilt ein fruchtbares Kooperationsfundament bestehend aus vertrauensvollem Umgang und Unvoreingenommenheit zu errichten, auf welchem eine starke Partnerschaft einen wesentlichen Beitrag zu Steigerung der Innovationskraft der beteiligten Parteien und der Verbesserung der wirtschaftlichen Gesamtlage der Region leistet. Des Weiteren ist eine Finanzierung von gezieltem Aufbau von innovativen Verbundstrukturen an den Standorten für eine effiziente Vernetzung angesiedelter Unternehmen durch staatliche Mitteln einer kostenträchtigen Alimentierung von Forschungsinstituten vorzuziehen, welche sich mit ihren Forschungsaktivitäten primär der „reinen" Erkenntnisgewinnung auf selbst gewählten Gebieten verschreiben.
6. Investitionsanreize und Steuern
Um den steuerlich sehr günstigen Rahmenbedingungen an den insbesondere asiatischen Chemiestandorten entgegenwirken zu können bedarf es abgestimmter Initiativen auf regionaler als auch lokaler Ebenen mit zielgerichteten Investitionsanreizen. Hier ist auch insbesondere die Politik gefordert, im Rahmen einer langfristigen und ganzheitlichen Industriepolitik für die jeweiligen Regionen und Standorte Investitionen zu fördern und optimale Bedingungen bereitzustellen. Kreative Fördermaßnahmen und steuerliche Begünstigungen zum Beispiel im Bereich der Aus- und Weiterbildung stellen alternative Mechanismen dar, um den Unternehmen im Rahmen einer ganzheitlichen Industriepolitik auch finanzielle Anreize bieten zu können.
Fazit und Ausblick
Im Rahmen des Vergleichs der Wettbewerbsfähigkeit führender internationaler Chemieparks zeigen sich unterschiedliche Handlungsfelder für eine gezielte und nachhaltige Entwicklung der Chemiestandorte und der grundsätzlichen Rahmenbedingungen für eine wert schaffende Chemieproduktion. Die Varietät der Handlungsfelder ist auf die Vielzahl der verschiedenen Standorterfolgsfaktoren zurückzuführen, die im Rahmen von Investitionsentscheidungen durch das investierende Unternehmen abgeprüft werden. Diese Vielfalt ist es dann auch, die im Rahmen der Umsetzung konzertierte Initiativen zwischen den wirtschaftenden Unternehmen, den politischen Vertretern aber auch den unterschiedlichen Interessensvereinigungen auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite bedarf. Es bedarf hier einer europäischen Perspektive, die über die individuelle unternehmensbezogene aber auch regionale Betrachtung hinausgeht, um die mittel- bis langfristige Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Chemieproduktion im internationalen Wettbewerb zu stärken.
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Diese Beitragsserie basiert auf einer durch das Beratungsunternehmen Scopein Management Consultants durchgeführten Benchmarking Studie zur Wettbewerbsfähigkeit internationaler Chemieparks.
Im ersten Beitrag in der CHEManager Sites & Services Ausgabe Mai 2012 wurde die Vorgehensweise und Methodik des Standortbenchmarking vorgestellt.
Der aktuelle zweite Beitrag präsentiert nun ausgewählte Ergebnisse und Erfahrungen aus der Analyse von Chemieparks in Europa, Nord-/ Südamerika, Südostasien, China und dem Mittleren Osten.
Im abschließenden dritten Beitrag werden unterschiedliche Erfahrungen und Möglichkeiten zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und Steigerung der Attraktivität von Chemieparks mit Schwerpunkt auf den europäischen Standorten im internationalen Vergleich dargelegt.
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