VCI fordert Modernisierungskurs für Innovationsstandort Deutschland
F&E-Ausgaben der Chemieindustrie erreichen neuen Höchststand, 2018 voraussichtlich erstmals 11 Mrd. EUR
Die deutsche chemisch-pharmazeutische Industrie wird im laufenden Jahr mit ihren Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) erstmals die 11-Mrd.-EUR-Grenze erreichen. Das prognostizierte Thomas Wessel, Vorsitzender des Ausschusses Forschung, Wissenschaft und Bildung im Verband der Chemischen Industrie (VCI). 2017 stiegen die F&E-Budgets mit 10,8 Mrd. EUR auf einen Rekordwert. Das ist ein Plus von 3% gegenüber dem Vorjahr. Damit hat die Branche zum siebten Mal in Folge ihre F&E-Etats angehoben.
„Wir setzen aber nicht nur auf Euros, sondern auch auf Bit und Bytes: Die Digitalisierung ebnet durch das systematische Erheben großer Datenmengen neue Wege, um unsere Innovationsfähigkeit zu stärken“, sagte Wessel. Die exponentiell gestiegene Rechnerleistung beschleunigt die Forschung zu neuen Chemikalien enorm. So kann die aktuelle Hardware eine erheblich größere Variantenvielfalt für chemische Reaktionen und Produktformulierungen berechnen als noch vor fünf Jahren. „Und künstliche Intelligenz findet relevante Fundstellen bei Literatur- und Patentrecherchen schneller als der Mensch und trägt zur Konzentration auf geeignete Lösungsansätze bei“, unterstrich Wessel die Bedeutung der digitalen Entwicklung für die Forschung.
Im Branchenvergleich hat die chemisch-pharmazeutische Industrie die höchste Innovationsorientierung. 63% aller Chemie- und Pharmaunternehmen forschen. Damit rangiert die Branche deutlich über dem Durchschnitt von 28% der gesamten deutschen Industrie. Mit rund 41.100 Mitarbeitern (2016) ist die Zahl der Beschäftigten in den Forschungslaboren der chemischen Industrie auf hohem Niveau stabil geblieben. Über 5% ihrer Umsätze stecken die Unternehmen der Branche jährlich in ihre Forschung. Nur im Fahrzeugbau und in der Elektroindustrie ist die FuE-Intensität höher.
Druck auf Forscher und Entwickler steigt
Trotz vieler Stärken bei F&E bereitet Wessel vor allem der internationale Innovationsdruck Sorgen: „Der Wettbewerbsvorsprung des Chemie-Forschungsstandorts Deutschland schmilzt. Staaten wie die USA, China und andere asiatische Länder nehmen viel Geld für die Forschung in die Hand, gestalten die Rahmenbedingungen für Innovationen günstig und verschaffen sich so Wettbewerbsvorteile.“ Wessel fordert von der großen Koalition „einen beherzten Modernisierungskurs, da nur so Deutschland im globalen Innovationswettlauf gegen Forschungsgroßmächte wie USA, China oder Südkorea mithalten kann.“
Als ein zentrales Instrument, um die Standortqualität für Innovationen hierzulande zu verbessern, bezeichnete Wessel die steuerliche F&E-Förderung. Sie sei entscheidend, damit die gesamtwirtschaftlichen Forschungsinvestitionen auf 3,5% steigen. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland hier zurzeit nur auf Rang 7. Dabei zeigt sich, dass fast alle OECD-Staaten diese Anreize nutzen, um ihre Forschung zu fördern. Wessel verwies auf das erfolgreiche Beispiel Österreich: Dort sind die Bruttoinlandsausgaben für F&E am Volkseinkommen deutlich gestiegen. Weit über die Hälfte der industriellen F&E-Ausgaben in Österreich stammt von ausländischen Konzernen. „Investitionen, die uns in Deutschland ebenfalls gut zu Gesicht stünden“, so Wessel. Auch für den Haushalt des Nachbarlandes habe dieses Förderinstrument positive Effekte: Allein die Lohnsteuerzahlungen der zusätzlich eingestellten Forscher können die Kosten der österreichischen Forschungsförderung etwa zur Hälfte decken.
Steuerliche Forschungsförderung
Wessel erläuterte: "Erfolgreiche Staaten haben eines gemeinsam: Sie nehmen viel Geld für Investitionen in die Forschung in die Hand, gestalten die Rahmenbedingungen für Innovationen günstig und verschaffen sich so Wettbewerbsvorteile. Die USA und China setzen vermehrt Instrumente ein, um ihre heimischen Unternehmen im Innovationswettbewerb zu stärken. Andere asiatische Staaten tun es ihnen gleich." Mit Blick auf die sprudelnden Steuereinnahmen in Deutschland betonte Wessel: „Unser Staat kann sich eine steuerliche Forschungsförderung leisten.“ Darüber hinaus sprach sich Wessel für eine bessere Unterstützung privater Wagniskapitalgeber für Start-ups aus. So sollten steuerliche Verlustvorträge zeitlich und in der Höhe unbeschränkt erhalten bleiben. Mit ihrer schlanken Organisationsform ermöglichen Start-ups eine hohe Geschwindigkeit im Innovationswettlauf.
Einen weiteren Aspekt der „Innovationsfähigkeit“ sei die Finanzierung von Start-ups. Im Koalitionsvertrag würden zwar die Begriffe „Start-up“ und „gründen“ erwähnt, aber jetzt müsse die Bundesregierung auch liefern. "Für junge innovative Unternehmen ist Wagniskapital eine wichtige Finanzierungsquelle. In Deutschland fehlt es oftmals an der nötigen Anschubfinanzierung." Bessere Anreize für private Wagniskapitalgeber könnten hier relativ leicht Abhilfe schaffen, so der Forschungssprecher des VCI. Sinnvoll wäre es auch, die steuerlichen Verlustvorträge zeitlich und in der Höhe unbeschränkt zu erhalten.
Für notwendig hält Wessel auch einen Innovations-Check. Damit sollen bestehende und künftige Gesetze überprüft werden, wie sie sich auf die Innovationskraft auswirken. Das gelte vor allem bei der Regulierung neuer Technologien wie Gene-Editing. In diesem Zusammenhang bedauerte er auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs: „Es basiert nicht auf heutigen wissenschaftlichen Fakten, sondern blockiert das Potenzial von CRISPR/Cas und Co.“ Damit Innovationen in Deutschland besser gedeihen können, warb Wessel für mehr Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem. Dazu sei es wichtig, faktenbasierte Erkenntnisse stärker als bisher zu berücksichtigen.
Bildungsniveau anheben
Deutschland müsse sich spürbar anstrengen, das allgemeine Bildungsniveau weiterzuentwickeln. Das gelte ganz besonders für die MINT-Fächer und die Vermittlung der benötigten Fertigkeiten in Schulen und Hochschulen, um die Herausforderungen der Digitalisierung zu bewältigen. Wessels sagte: "Nur, wenn wir bestens ausgebildeten Nachwuchs haben, können wir technischen Fortschritt als Zugpferd für eine gute Zukunft nutzen." Der VCI empfiehlt u.a. zusätzliche Bildungsangebote, um das Verständnis für Naturwissenschaften und Technik zu fördern.
Auch müssten digitale und informationstechnische Inhalte an den Hochschulen in den Lehrplänen von Chemikern/Chemieingenieuren sowie von MINT-Lehrern verankert werden. Deshalb handelt auch der Fonds der Chemischen Industrie. Dessen Geschäftsführer Gerd Romanowski erläuterte: "In diesem Jahr werden wir mit 200.000 EUR die Lehre an Hochschulen fördern, die sich für den Einsatz moderner Software-Werkzeuge und digitaler Methoden in der Chemieausbildung an Hochschulen engagiert."
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