Wassergefährdungsklassen und ihre Herausforderungen
Umsetzung der Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV) birgt Probleme
Beispielhaft soll anhand des neuen Begriffs „allgemein nicht wassergefährdend“ nachfolgend kritisch darauf eingegangen werden, wie sich Änderungen auswirken können. Die Auswahl des angesprochenen Beispiels ist nicht zufällig und beruht auf den Erfahrungen der letzten Monate im Rahmen von Genehmigungsvorhaben, Auditierungen oder sonstigen betrieblich relevanten Projekten aus der Kundenbetreuung.
Es hat sich gezeigt, dass es spätestens bei der betrieblichen und/oder verwaltungsrechtlichen Umsetzung zu Missverständnissen oder (Über-)Interpretationen kommt und dass das seitens der Behörden Geforderte nicht unbedingt das ursprünglich vom Gesetzgeber Gewollte ist.
Die Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen gilt nun seit über einen halben Jahr und es gab und gibt keine Übergangsfristen für Ihre Anwendung. Das ist sicherlich auch nachvollziehbar, zumal die ersten Entwürfe für eine bundeseinheitliche Anlagenverordnung bereits mehrere Jahre zurückliegen und insofern die betroffenen Betriebe wussten, dass etwas Neues kommt.
Verschiedene Wassergefährdungsklassen
Es stellt sich die Frage, warum es verschiedene Wassergefährdungsklassen (WKG) gibt. Seit Einführung der „Verwaltungsvorschrift wassergefährdende Stoffe“ im Jahre 1999 ist ein großer Markt und sicherheitstechnisches Regelwerk über die organisatorischen und technischen Maßnahmen zur Umsetzung der Sicherheits- und Rückhalteanforderungen entstanden.
Die Einstufung eines Stoffes in eine WGK oder eine Änderung dieser Einstufung kann über mehrere tausend Euro hinsichtlich notwendiger Investitionen entscheiden. Allein die Änderung einer WGK von 1 auf 2 oder sogar 3 kann den genehmigungsrechtlichen Betrieb eines Lagers oder eines Lagerbereichs eines Unternehmens in Frage stellen, ohne dass sich etwas an der Menge oder dem Umgang mit dem Stoff geändert hätte.
In den letzten Jahrzehnten sind durch die Anwendung der WGK-Systematik unterschiedliche Sicherheitsstandards und Anforderungsebenen entstanden. Inzwischen wird auf Basis der neuen AwSV über fünf mögliche verschiedene Kategorien geredet:
- Nicht wassergefährdend (nwg)
- Allgemein wassergefährdend (awg)
- Schwach wassergefährdend (WGK 1)
- Deutlich Wassergefährdend (WGK 2)
- Stark wassergefährdend (WGK 3)
Was sich auf einem ersten Blick als eine eindeutige und hilfreiche Klassifizierung darstellt, erweist sich in der betrieblichen Umsetzung immer wieder und zunehmend als Herausforderung.
Nicht wassergefährdend sind alle im Bundesanzeiger veröffentlichten Stoffe mit der Zuordnung als nicht wassergefährdende Stoffe. Dazu zählen generell auch alle Stoffe, von denen angenommen werden kann, dass sie als Lebensmittel aufgenommen oder auch in Tierfutter Verwendung finden. Das schließt aber nicht aus, dass z.B. Hersteller bestimmter Zusatzstoffe für Lebensmittel (Additive, Aromen etc.) ihre Lagerung sehr wohl nach der AwSV ausrichten müssen, solange ihre Produkte nicht eindeutig schon dem Lebensmittelrecht zuzuordnen sind. Das Thema ist aber keine neue Herausforderung, das gab es auch bereits schon zu Zeiten der ländereigenen Verordnungen.
Grundsätzlich bekannt aus den alten Regelungen ist auch der Vorbehalt, dass bei Nichtkenntnis der Wassergefährdung immer die WGK 3 als Handlungsmaßnahme anzunehmen ist.
Was „allgemein wassergefährdend“ heißt
Feste Gemische müssen nicht in eine Wassergefährdungsklasse eingestuft werden. Diese gelten kraft gesetzlicher Fiktion als „allgemein wassergefährdend“. Dabei besteht ein Gemisch immer aus zwei oder mehreren Stoffen. Sinn der neuen Kategorie ist, eine vereinfachte Einstufung der Stoffe zu ermöglichen, die unstrittig wassergefährdend sind, deren Einstufung jedoch aufgrund komplexer und/oder variierender Zusammensetzung nur schwer möglich ist (bspw. Abfälle).
So erleichternd im weiteren betrieblichen Handeln diese Neuerung erscheinen mag, gibt es aber eine Besonderheit zu beachten: Sobald solch ein „allgemein wassergefährdendes“ Gemisch, in einem weiteren Prozessschritt (z.B. Herstellung eines anderen flüssigen Gemisches) verwendet werden soll, muss eben diese erleichterte Einstufung nun auf einmal als WGK 3 angesetzt werden. Dieser Hinweis ergibt sich grundsätzlich aus dem Besorgnisgrundsatz des Wasserrechts, ist aber nicht sofort jedem ersichtlich. In einer Anlage zur AwSV wird darauf hingewiesen. Der durchaus wichtige Aspekt, der also maßgeblich für die korrekte Einstufung zu beachten ist, wird in einem Unterpunkt der Anlage zur Verordnung regelrecht versteckt und kann dadurch leicht übersehen werden.
Problematik in der Umsetzung
Selbstverständlich ist es jedem Betreiber freigestellt, seine „awg-Stoffe oder -Gemische“ einer Einstufung in eine der drei Wassergefährdungsklassen zu unterziehen, um eine höhere Handlungssicherheit zu erreichen. Da dieses Verfahren nicht immer einfach und ohne Analytik oder sonstige Untersuchungen durchzuführen ist, nutzen viele Betreiber einer AwSV-Anlage diesen scheinbaren Vorteil.
In der betrieblichen Umsetzung ist jedoch festzustellen, dass das Vorhandensein von awg-Stoffen oder -Gemischen auf behördlicher und auch gutachterlicher Seite zu Missverständnissen und Ungläubigkeit führt. Problematisch ist, dass awg-Gemische keiner Anlagengefährdungsstufe zuzuordnen sind, aus denen sich die konkreten Anforderungen an die Anlagen ablesen lassen. Bedeutet dies nun, dass für den Umgang mit awg-Stoffen keine Anforderungen an Anlagen gestellt werden? Zum Teil wird dies so verstanden. Erfahrungen aus der Praxis haben gezeigt, dass bei Überprüfungen oder behördlichen Inspektionen nicht akzeptiert wird, dass es für awg-Stoffe keine betrieblichen Anforderungen gibt und der Anlagenbetreiber eben auch keine Rückhalteeinrichtungen sowie alle weiteren notwendigen Maßnahmen vorgesehen hat. Grundsätzlich gelten die allgemeinen Anforderungen – an die Dichtheit, Rückhaltung und Kontrolle – für alle Anlagen, in denen mit wassergefährdenden Stoffen umgegangen wird. Und zu den wassergefährdenden Stoffen zählen neben den in eine Wassergefährdungsklasse eingestuften Stoffen und Gemischen auch die awg-Stoffe und –Gemische; dies ergibt sich allein aus der Begriffsbestimmung. Das bedeutet, dass eine angemessene Rückhaltung und ein sorgfältiger Umgang auf jeden Fall auch bei awg-Stoffen notwendig sind. Hier sollte der Fokus auf einem pragmatischen Augenmaß liegen. Welche Gefährdung geht tatsächlich von festen Stoffen und Gemischen aus, welche Rückhaltung – auch Löschwasserrückhaltung – ist sinnvoll?
Diese Erkenntnis wirft letztlich eine grundlegende Frage auf: Warum gibt es eigentlich diese Vielzahl an verschiedenen Kategorien? Ist es wirklich lösungsorientiert, solch eine Unterscheidung vorzunehmen? In anderen europäischen Ländern wurde die Problematik auch erkannt und – zumindest aus der Ferne betrachtet – pragmatischer und zielführender umgesetzt. Das Ziel, Gewässer und den Boden vor Verunreinigungen und Belastungen durch wassergefährdende Stoffe zu schützen, ist auch einfacher zu lösen.
Beispiel Schweiz: Schlicht und praktisch
Ein anschauliches Beispiel dafür liefert die Schweiz, die ebenfalls mit wassergefährdenden Stoffen arbeitet und seit 2009 die „Klassierung wassergefährdender Flüssigkeiten“ eingeführt hat. Dort werden allerdings nur zwei Klassen unterschieden: Die Klasse A bezeichnet Stoffe, die in kleinen Mengen Wasser verunreinigen können und die Klasse B Stoffe, die in großen Mengen Wasser verunreinigen können.
Hier wird zwar auch Stoffunterscheidung vorgenommen, aber auch ein direkter Bezug zum Volumen bzw. der Menge hergestellt. Das heißt nicht, dass damit alles besser oder einfacher wäre. Allein die Überlegung, ob eine Vereinfachung der Einstufungsklassen aufgrund der zumeist gleichbleibenden Sicherheit möglich wäre, kann Kosten und Aufwand (auf betrieblicher und behördlicher Seite) reduzieren. Das Beispiel der Wassergefährdungsklassen verdeutlicht, dass beim Entwurf der AwSV weniger auf praktikable, für die betriebliche Praxis leicht umsetzbare Lösungen Rücksicht genommen wurde.