Wacker ist mehr als Chemie und Halbleiter
Der bayerische Chemiekonzern baut an den Standorten Halle und Jena die Biotechfertigung aus
Wacker hat sich vor allem durch seine Chemieaktivitäten, die Spezialisierung auf Silicone und Polysilicon sowie sein Halbleitergeschäft einen Namen gemacht. Weniger bekannt ist, dass der bayerische Chemiekonzern seit Jahren unter der Bezeichnung Biosolutions auch ein Dienstleistungsgeschäft für die Pharmaindustrie betreibt. Mit der Auftragsherstellung therapeutischer Pharmaproteine unterstützt Wacker Arzneimittelhersteller bei der Entwicklung und Produktion komplexer Biopharmazeutika.
Wacker ist Chemie, keine Frage. 22 % des Umsatzes entfallen auf Polymere, weitere 74 % auf die Bereiche Silicone, Polysilicone und die Halbleitertochter Siltronic. Doch innerhalb dieses Chemieuniversums wächst weitgehend unbeobachtet ein noch junger Geschäftsbereich heran. Zu besichtigen ist dieser in Jena. Im Südwesten der Stadt befindet sich Wacker Biotech, eine 100%ige Tochtergesellschaft der Wacker-Gruppe. Rund 90 Mitarbeiter arbeiten hier im Auftrag von Pharmaunternehmen an der Produktion therapeutischer Proteine. Die Firma gehört zum Geschäftsbereich Biosolutions, den das Unternehmen selbst auch als seine Life-Science-Sparte bezeichnet. Die steht zwar mit 197 Mio. EUR bislang nur für 4 % des Konzernumsatzes, hat nach Meinung der Verantwortlichen aber eine große Zukunft vor sich.
Lukrativer Markt
Dr. Sebastian Schuck ist einer der führenden Mitarbeiter des Auftragsherstellers. Der Molekularbiologe leitet seit 2014 den Bereich Business Development von Wacker Biotech. Dessen Pharmaproteine werden zur Herstellung von Biopharmazeutika bzw. sogenannten „Biologics“ benötigt. Dabei handelt es sich um Arzneimittel, die mithilfe von Biotechnologie in lebenden Organismen hergestellt werden, etwa mittels Bakterien, Hefezellen oder Säugerzellkulturen. Sie stellen relativ neue Waffen vor allem im Kampf gegen Krebs und Autoimmunerkrankungen dar, wo chemisch-synthetische Wirkstoffe an ihre Grenzen stoßen.
Schuck sieht in der Proteinproduktion für Pharmaunternehmen einen lukrativen Markt. Pharmaproteine seien aktuell der am schnellsten wachsenden Markt für Therapeutika und machten bereits 20 % des gesamten Pharmamarkts aus. Branchenkenner schätzen, dass der globale Markt für Biopharmazeutika bis 2020 mit durchschnittlich 9 % wachsen und dabei ein Umsatzvolumen von knapp 280 MRD. USD erreichen wird.
Wacker selbst kalkuliert für sein Pharmaproteingeschäft mit durchschnittlichen Steigerungsraten von 8 % für die nächsten Jahre. Insbesondere die Tendenz einiger großer Pharmaunternehmen, nicht nur Forschungsaktivitäten, sondern teilweise auch Produktionsprozesse nach außen zu vergeben, komme Wacker Biotech zugute. Mittlerweile betrachtet sich die Wacker-Tochter als größter spezialisierter mikrobieller Auftragshersteller in Europa. Allerdings sind die Bayern hier nicht alleine unterwegs. Zu den Wettbewerbern zählen Branchengrößen wie Lonza, Boehringer Ingelheim, Sandoz, FujiFilm, Diosynth oder Synco.
Auftragshersteller mit DDR-Historie
Die Ursprünge der Wacker Biotech reichen bis in die DDR zurück. 1988 wurde am Beutenberg-Campus in Jena die staatliche Gentechnische Pilotanlage (GPA) gegründet. 1999 firmierte diese in ProThera um, seit 2005 ist sie eine 100%ige Tochtergesellschaft der Wacker Chemie. Seitdem hat der Konzern seine Aktivitäten auf dem Gebiet der Auftragsfertigung von Pharmawirkstoffen nach den Worten Schucks Schritt für Schritt erweitert – von der Molekularbiologie und Analytik über die Prozessentwicklung bis hin zur Herstellung von Pharmawirkstoffen für klinische Studien.
Mittlerweile versteht sich Wackers Biotech-Tochter als Full-Service-Auftragshersteller von Biologics. Mit den Aufgaben wuchs auch der Platzbedarf der Firma. In den vergangenen Jahren errichtete das Unternehmen am Standort Jena ein neues Laborgebäude für die Prozessentwicklung und Qualitätskontrolle. Die bestehende und nach internationalen Qualitätsstandards zertifizierte Anlage wurde auf die doppelte Produktionsfläche erweitert. 2014 hat Wacker außerdem am Standort Halle an der Saale die Produktionsanlagen der Scil Proteins Production erworben, einer Firma, die sich mit ihrer Technologieplattform auf die Produktion rekombinanter Proteine konzentriert. Dadurch verfügt Wacker im Biotechbereich nach eigenen Angaben nun über Fermenterkapazitäten von 300 L bis 1.500 L und beschäftigt an den beiden Standorten Jena und Halle zusammen rund 180 Mitarbeiter, vor allem Biologen, Chemiker und Bioverfahrensingenieure.
Höhere Ausbeuten, niedrigere Kosten
Seine Stärke sieht Wacker Biosolutions u.a. in der kostengünstigen Antikörperherstellung. Rund zwei Drittel der therapeutischen Proteine auf dem Markt würden heute noch von Säugetierzellkulturen gewonnen. Doch die Herstellung vielversprechender Wirkstoffe wie zum Beispiel Antikörperfragmente sei aus Säugetierzellen aufwändig, zeit- und kostenintensiv. Daher werde die Nutzung mikrobieller Systeme zunehmend wichtiger. Für einen breiten therapeutischen Einsatz sei eine kostengünstige Herstellung eine wichtige Voraussetzung, argumentiert das Unternehmen.
Esetec heißt eine der Wacker-Technologien zur Herstellung von Pharmaproteinen. Dabei handelt es sich nach Firmenangaben um eine effiziente und kostengünstige Methode zur Sekretierung von Proteinen. Mit dem mittlerweile weiterentwickelten Esetec-System ließen sich außerdem komplexe Moleküle wie Antikörperfragmente in hohen Ausbeuten herstellen und in aktiver Form ins Kulturmedium sekretieren. Unter dem Strich sei diese Technologie einfacher, die Ausbeuten seien höher und die Kosten niedriger als bei bisherigen Fertigungsprozessen.
Als erfolgreiches Beispiel für die Leistungsfähigkeit des Systems nennt der 36jährige Biologe Schuck die Zusammenarbeit mit dem US-Unternehmen MedImmune, der globalen Entwicklungs- und Forschungssparte für Biologics von AstraZeneca. Innerhalb weniger Wochen nach Vorliegen der Gene habe Wacker das gewünschte Antikörperfragment produzieren können.
Rückfaltungstechnologie für schwer herstellbare Proteine
Während sich lösliche Proteine und Antikörperfragmente mit Esetec bereits effizient herstellen ließen, bilden manche Proteinklassen laut Schuck innerhalb der Zelle Einschlusskörper, in denen die Zielmoleküle fehlerhaft oder unvollständig gefaltet vorliegen. Für diese Fälle habe Wacker eine sogenannte Rückfaltungstechnologie entwickelt.
Im Rahmen eines Baukastensystems biete Wacker darüber hinaus Expertise in der Hochzelldichtefermentation und der Entwicklung industrieller Rückfaltungsprozesse an. Auf diese Weise ließen sich hohe Produkt- und Faltungsausbeuten von Proteinwirkstoffen erreichen, wie das Beispiel einer Machbarkeitsstudie zur Herstellung von Thrombin, einem Schlüsselenzym bei der Blutgerinnung, zeige. Mit der Wacker-Technologie habe die Produktivität um das 20-fache erhöht werden können.
Mittlerweile stellt Wacker in Halle und Jena zwei zugelassene Medikamente her - Rapilysin bzw. Retavase gegen akuten Herzinfarkt sowie Spectrila gegen akute lymphatische Leukämie.
Auch außerhalb der Wacker-Grenzen wecken die Technologien des Chemiekonzerns zur Herstellung von Biotherapeutika Aufmerksamkeit. So zählte das das Unternehmen jüngst beim „Innovationspreis der deutschen Wirtschaft“ zu den Finalisten. Auch wenn der Konzern letztlich nicht gewann, so zeigte sich die Jury interessiert daran, dass mit Wackers Technologie Biopharmazeutika schneller und zu einem Bruchteil der heute üblichen Kosten hergestellt werden können.