Umsetzungsallianz für industrielle Digitalisierung
Open Industry 4.0 Alliance für eine durchgehende Interoperabilitätsplattform
Welche besonderen Herausforderungen dabei auftreten, wie sie gemeistert werden und wo der Nutzen liegt, erklärt Hans-Jürgen Huber, der seit 2017 die Niederlassung von Endress+Hauser Digital Solutions in Freiburg leitet und das Unternehmen im Vorstand der Open Industry 4.0 Alliance vertritt. Die Fragen stellte Volker Oestreich.
CHEManager: Herr Huber, welche Ziele verfolgt die Open Industry 4.0 Alliance?
Hans-Jürgen Huber: Eine der Herausforderungen bei der Umsetzung von Projekten im Bereich Digitalisierung und Industrie 4.0 ist aus Sicht der produzierenden Industrie – zum Beispiel Pharma und Chemie – der aktuell hohe Fragmentierungsgrad der auf dem Markt angebotenen Lösungen. In einem typischen Chemiewerk werden Automatisierungskomponenten unterschiedlicher Geräteklassen von unterschiedlichen Herstellern eingesetzt. Viele dieser Hersteller arbeiten an Digitalisierungslösungen aus der Sicht ihrer jeweiligen Produktewelt, oftmals mit Fokusthemen wie Asset Management, Condition Monitoring und Predictive Maintenance. Für die Anwender ergibt sich nun das Problem, dass die Lösungen der unterschiedlichen Hersteller meist nicht zusammenarbeiten. Dies führt einerseits dazu, dass ein Betreiber zum heutigen Stand verschiedene technische Komponenten benötigt, die einerseits alle ihren Preis haben und andererseits in ein Betriebs- und Sicherheitskonzept integriert werden müssen. Außerdem ist es oft so, dass aus Sicht des verfahrenstechnischen Prozesses der wahre Werttreiber dieser Lösungen in der Kombination der unterschiedlichen Geräteklassen liegt. Genau hier setzt die Open Industry 4.0 Alliance an. Die Allianzpartner möchten gemeinsam Mehrwert für die Betreiber von Industrieanlagen schaffen, indem sie funktionsfähige Ökosysteme entwickeln, eine gemeinsame Plattform und Semantik etablieren und nicht zuletzt auch die Betreiber- und Herstellerkollaboration ermöglichen.
Sie treiben mit Ihrem Team bei Endress+Hauser die Entwicklung neuer Produkte und Lösungen für das industrielle Internet der Dinge voran. Warum engagiert sich Ihr Unternehmen als Gründungsmitglied der Allianz?
H-J. Huber: Wir sind der Meinung, dass Digitalisierungsprojekte dann am meisten Mehrwert für die Betreiber erzeugen, wenn sie über die Grenzen der einzelnen Hersteller und Domänen hinweg betrieben werden. Das Kernversprechen der Industrie 4.0, nämlich Effizienzsteigerung durch Vernetzung von Produktionsprozessen und Lieferketten über Firmengrenzen hinweg, lässt sich nur durch starke und relevante Geschäftsnetzwerke erreichen.
Was unterscheidet die Allianz dann vom Endress+Hauser-Partnerprogramm Open Integration – und welche Ziele hat das Partnerprogramm?
H-J. Huber: Das Open Integration Partnerprogramm wurde bereits 2014 ins Leben gerufen. Es hat im Wesentlichen zum Ziel, die Interoperabilität zwischen Instrumenten, Feldbuskomponenten und Steuerungen herzustellen und durch Tests zu überprüfen. Open Integration ist sehr viel stärker auf die Feldbuskommunikation ausgerichtet, während die Open Industry 4.0 Alliance auf die gesamte Wertschöpfung ausgerichtet ist. Im ISA-95-Modell fokussiert sich das Partnerprogramm Open Integration hauptsächlich auf die Level 0 und 1 – die Allianz hingegen adressiert das Zusammenspiel von Anwendungen über alle Ebenen hinweg. Die beiden Aktivitäten ergänzen sich daher ideal.
Worin liegt der Anwendernutzen der Open Industry 4.0 Alliance, insbesondere für die Chemie- und Pharmaindustrie?
H-J. Huber: Sie erlaubt die herstellerübergreifende und holistische Umsetzung von Industrie-4.0-Projekten mit Fokus auf Effizienzsteigerung, etwa entsprechend dem Konzept der Overall Equipment Effectiveness. Sie bietet damit einen Schutz für getätigte Investitionen und stellt sicher, dass die Lösungen erweiterbar und skalierbar sind. Außerdem ist die Architektur der Gesamtlösung betriebssicher. Die Allianz setzt dabei auf relevante Konzepte und Standards aus der Chemie- und Pharmaindustrie wie zum Beispiel die NAMUR Open Architecture oder PA-DIM als standardisiertes Informationsmodell.
…und der Anwendernutzen des Partnerprogramms Open Integration?
H-J. Huber: Open Integration gibt Anwendern die Sicherheit, dass das Zusammenspiel der getesteten Sensorik- und Aktorik-Komponenten mit dem jeweiligen Leitsystem reibungslos funktioniert. Gemeinsam mit den Partnern testet Endress+Hauser komplette Referenztopologien, die für spezifische Anwendungen und Aufgaben definiert werden, mit Leittechnik, Feldbusinfrastruktur, Messtechnik und Aktorik.
Open Industry 4.0 Alliance
Auf der Hannover Messe 2019 formierte sich mit der Open Industry 4.0 Alliance eine Gemeinschaft von Automatisierungs- und Digitalisierungsanbietern zur praktischen Förderung der digitalen Transformation in der Industrie. Mit inzwischen 55 Mitgliedern – darunter Firmen wie Aucotec, Endress+Hauser, Festo, itelligence, Kaeser Kompressoren, Pepperl+Fuchs, Samson, SAP, Sick oder Vega – will sie eine durchgehende Interoperabilitätsplattform mit existierenden Standards schaffen. Automatisierungssilos sollen aufgebrochen werden – wobei das Hauptaugenmerk auf der Digitalisierung und Transformation von Brownfield-Anlagen liegt, also bereits bestehender Anlagen mit Komponenten, die auch zum Teil aus der Zeit vor IIoT stammen. Die Open Industry 4.0 Alliance wurde nicht ins Leben gerufen, um dazu eigene Standards zu definieren. Es geht darum, eine durchgehende Interoperabilitätsplattform mit existierenden Standards zu schaffen.
„Die Open Industry 4.0 Alliance wird auch nicht an der Entwicklung oder dem direkten Verkauf von Lösungen beteiligt sein. Sie dient der praktischen Förderung der digitalen Transformation und strebt an, dass bis zu 80 % der Maschinen in einer Smart Factory miteinander kommunizieren können.“
Nils Herzberg, Sprecher des Vorstands der Open Industry 4.0 Alliance und Global Head Strategic Partnerships for Digital Supply Chain and Industry 4.0 bei SAP
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