Anlagenbau & Prozesstechnik

Ein Booster für die Standardisierung

Vom digitalen Produktpass über digitale Zwillinge bis zur Digital Data Chain

19.02.2025 - Um die zunehmend komplexen digitalen Infrastrukturen effizient zu integrieren und zu verwalten, wird eine standardisierte Infrastruktur für digitale Ökosysteme benötigt.

Die Digitalisierung hat in der Industrie bedeutende Fortschritte gebracht, indem sie zur Optimierung von Anlagen, zur Steigerung der Produktionskapazität und zur Senkung der Kosten beigetragen hat. Um die zunehmend komplexen digitalen Infrastrukturen effizient zu integrieren und zu verwalten, braucht es jedoch eine standardisierte Infrastruktur für digitale Ökosysteme.

Eine Standardisierung würde den strukturierten Austausch von Daten auf Anlagen-, Produkt- und System­ebene erleichtern, was wiederum die Entscheidungsfindung in Echtzeit und die Betriebssicherheit verbessert. Digitale Zwillinge, die physische und digitale Welten verknüpfen, könnten hier eine Schlüsselrolle spielen. Damit sich digitale Zwillinge indes indus­trieübergreifend vernetzen, bedarf es einer sehr viel umfassenderen Standardisierung als bislang.

Ein wesentlicher Schritt in Richtung dieser Standardisierung ist die Einführung des digitalen Produktpasses (DPP). Bis 2030 müssen diese sektorübergreifend eingeführt werden. Dadurch sollen zukünftig umfassende Produktinformationen mit nur wenigen Klicks über mobile Endgeräte wie Smartphones oder Tablets zur Verfügung stehen. Die neue EU-Batterieverordnung, die als erste den digitalen Produktpass vorschreibt, verdeutlicht die Notwendigkeit eines einheitlichen Standards. Obwohl Produktinformationen, Zertifikate und Bedienungsanleitungen bereits vorhanden sind, wird der sektorübergreifende Austausch heute noch durch die Vielzahl unterschiedlicher Akteure und fehlende Standardisierung erschwert.

 

„Statt Digitalisierung einzelner Prozesse rückt jetzt das gesamte digitale Ökosystem in den Fokus.“

 

Statt sich weiterhin auf die Digitalisierung einzelner Prozesse zu konzentrieren, rückt jetzt das gesamte digitale Ökosystem in den Fokus. Die Zusammenarbeit aller Beteiligten – von Anlagenbetreibern über Serviceanbieter bis hin zu Maschinenherstellern – wird unerlässlich, um die Effizienz und Automatisierung in der Prozessindustrie zu steigern. Die gemeinsame Nutzung von Daten über Maschinenleistungen und Wartungsbedarf in Echtzeit kann bspw.  Ausfallzeiten reduzieren und die Lebensdauer von Anlagen verlängern.

Um den Datenaustausch entlang der Wertschöpfungskette zu vereinfachen, ist der verstärkte Einsatz digitaler Zwillinge in Verbindung mit einem gemeinsamen Verständnis zwischen Industrie, Verbänden und Forschung von großer Bedeutung. Die Industrial Digital Twin Association (IDTA) spielt hierbei eine zentrale Rolle. Kerntechnologie ist die Verwaltungsschale oder Asset Administration Shell (AAS), eine standardisierte Beschreibung des Verhaltens und der Fähigkeiten eines Assets für Kommunikation und Interaktion, also der standardisierte Digitale Zwilling eines Assets. Diese AAS ermöglicht die Integration von Daten aus verschiedenen Quellen und bildet eine einheitliche Grundlage für die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Systemen und Akteuren.

Digital Data Chain: Der Weg zur standardisierten Zukunft

Um die vollständige digitale Datenkette von Herstellern bis zu Anlagenbetreibern zu etablieren, braucht es die Integration dreier wesentlicher Technologien: die automatische Identifikation physischer Objekte nach IEC 61406, digitale technische Dokumentation nach VDI 2770 und digitale Informationsaustauschplattformen (Information Exchange Platform, IEP). Diese Technologien bilden die Grundlage für einen harmonisierten Ansatz zur Identifikation und Verwaltung von Objekten und Daten, was die Implementierung von Innovationen beschleunigt und Skaleneffekte ermöglicht.

All dies macht deutlich: Geht es um den Einsatz standardisierter digitaler Infrastrukturen, spielen DPP und AAS eine entscheidende Rolle, um einen effizienten und transparenten Datenaustausch entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu ermöglichen.


Autor: Michael Riester, Head of Research & Development, Endress+Hauser Digital Solutions GmbH, Freiburg

Nachgefragt

Mehrwert durch Zusammenarbeit

Wie wichtig ist es, alle Stakeholder bei den Digitalisierungsvorhaben zu aktivieren? Volker Oestreich fragte bei Michael Riester, Head of Research & Development, Endress+Hauser Digital Solutions, nach.

CHEManager: Herr Riester, welche Rolle spielt die Zusammenarbeit zwischen Industrie, Verbänden und Forschung bei der Etablierung des digitalen Produktpasses als sektorübergreifenden Standard?

Michael Riester: Die Zusammenarbeit zwischen Industrie, Verbänden und Forschung ist aus meiner Sicht unverzichtbar, um Standards zu etablieren, die nachhaltig und praxisnah umgesetzt werden können. Besonders, wenn ein Standard entwickelt werden soll, der unternehmensübergreifende Interoperabilität ermöglicht oder verbessert, ist es entscheidend, die Zusammenarbeit auf Partner und sogar Mitbewerber auszuweiten. Unsere Erfahrungen zeigen, dass die vollen Potenziale – wie höhere Effektivität, gesteigerte Effizienz, reduzierte Kosten und andere Mehrwerte – nur dann realisiert werden können, wenn alle relevanten Akteure entlang der Wertschöpfungskette in den Entwicklungsprozess eingebunden sind. Diese Ergebnisse lassen sich ausschließlich durch gemeinsam erarbeitete und breit akzeptierte Standards erreichen.

Wie kann der digitale Produktpass DPP dazu beitragen, den Datenaustausch über Maschinenleistungen und Wartungsbedarf effizienter zu gestalten?

M. Riester: Hierbei ist es wichtig zu differenzieren: Der DPP ist ein umfassender Datensatz, der alle relevanten Informationen über ein Produkt enthält. Allerdings definiert er weder das Datenformat noch die Technologie für den Austausch dieser Informationen entlang der Lieferketten. Hier setzt die Asset Administration Shell oder AAS an, die als Standard für den standardisierten digitalen Zwilling dient. Sie bietet ein umfassendes Informationsmodell, das die strukturierte Abbildung und den Austausch der im DPP enthaltenen Daten sowie vieler weiterer Informationen ermöglicht. Sie standardisiert Datenformat, Schnittstelle und Semantik und sorgt somit für die notwendige Interoperabilität. Während der DPP also die relevanten Inhalte definiert, liefert die AAS die technische Grundlage für deren standardisierten Austausch. In diesem Zusammenhang kann der DPP als logische Untermenge der Daten betrachtet werden, die mit der AAS abgebildet und übertragen werden können.

Im Hinblick auf den Datenaustausch ermöglicht diese Kombination aus DPP und AAS eine deutlich effizientere Gestaltung der Prozesse. Der DPP kann als Treiber fungieren, indem er die relevanten Informationen strukturiert bereitstellt. Die AAS stellt sicher, dass diese Informationen in einem einheitlichen und interoperablen Format entlang der gesamten Lieferkette ausgetauscht werden können. Durch die Etablierung der AAS entfallen zudem viele Unsicherheiten bezüglich der Wirtschaftlichkeit von Investitionen in Standards, da sie eine Grundlage für zahlreiche weitere Anwendungsfälle schafft. So wird der Datenaustausch nicht nur erleichtert, sondern auch standardisiert und nachhaltig verbessert.

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