Über Trends und Herausforderungen am Markt für Spezialchemie
James Berwick von Oqema über die Entwicklung vom Zwischenhändler zum Serviceanbieter
Der Markt für Spezialchemie steht unter Druck. Um Wertschöpfung zu erzielen, müssen Hersteller und Anwender ihre Lieferketten kontinuierlich optimieren. Damit gewinnt die Rolle des Distributeurs in der chemischen Industrie zunehmend an Bedeutung. Die Oqema-Gruppe treibt den Rollenwechsel vom Zwischenhändler zum Serviceanbieter voran und hat jüngst eine beratungs- und dienstleistungsorientierte Strategie für ihr Spezialitätengeschäft vorgelegt. Dabei beruft sich die Unternehmensgruppe auf ihre ausgeprägte Marktnähe und langjährige Erfahrung als Industriepartner. James Berwick, der seit 2017 als Group Director Specialities für Oqema tätig ist, spricht darüber, welche Trends und Entwicklungen künftig den Markt bestimmen werden und wie Oqema in diesem Szenario für Kunden und Hersteller Mehrwert schafft.
CHEManager: Herr Berwick, wie gestaltet sich der Markt für Spezialchemie momentan?
James Berwick: Der globale Markt wächst – in Europa nach wie vor um circa zwei Prozent, in Asien um annähernd sechs. Die höchsten Wachstumsraten gibt es in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Dort steigt mit dem Bedarf an hochfunktionalen Produkten auch die Nachfrage nach Spezialchemie. Innerhalb Europas ist das Wachstum in den östlichen Ländern ausgeprägter, während der Westen annähernd stabil bleibt.
Auf dem Weltmarkt spielt China als günstig produzierender Exporteur von Spezialchemie mittlerweile eine weniger große Rolle, resultierend aus der verstärkten Binnennachfrage und der Schließung vieler Standorte in den letzten beiden Jahren. Davon profitieren europäische Produzenten, auf die sich die Nachfrage verlagert und die zur Schaffung neuer Kapazitäten angetrieben werden. Ebenso ist diese Entwicklung für Indien von Vorteil, aber auch für Japan und Korea.
Was die Industriesektoren angeht, so werden auch künftig die Bereiche Beschichtungen, Kunststoffe, Bau etc. den Ton angeben und die Produktentwicklung in diesen Bereichen forcieren. Der Markt wird jedoch auch von Innovationen insbesondere im Bereich der Nanotechnologie getrieben. Sie ermöglicht Anwendungen und Produkteigenschaften, die vor ein paar Jahren noch schier undenkbar waren und vor allem für die Bereiche Pharma, Kosmetik und Körperpflege interessant sind. Viele dieser Neuheiten stammen spannenderweise aus Asien, was zeigt, wie reif der dortige Spezialitätenmarkt ist.
Welche generellen Trends lassen sich beobachten?
J. Berwick: Der marktbestimmende Trend ist weiterhin der grundlegende Wandel von Spezialitäten zu Halbspezialitäten und schließlich zu Basischemikalien. Dieser Übergang vollzieht sich bildlich gesprochen in einer abklingenden Kurve.
An ihrem oberen Ende stehen Neuentwicklungen innovativer Produkte, die die wachsende Nachfrage nach neuen Life-Style-Produkten decken. Lag der Fokus bei Neuentwicklungen bisher auf chemischer Funktionalität und Komplexität, verstärkt der Konsumententrend zu bewusstem und nachhaltigem Konsum zunehmend die Anforderungen nach Umweltverträglichkeit, Sicherheit und Produktethik. In diesem Bereich sind auch schon seit Jahren Universitäten und Institute mit Innovationen erfolgreich, besonders im Bereich der Nanoprodukte. Interessanterweise haben sich hier Länder aus dem Fernen Osten als besonders innovationsfreudig gezeigt, da dort vermehrt Umweltgesetze die traditionellen Produktionsprofile dieser Länder ausdünnen und durch Innovationen neue Märkte geschaffen werden.
In der Mitte der Marktkurve befinden sich etablierte Produkte. Entwicklungen in diesem Bereich unterliegen ebenfalls stark dem Einfluss der aktuellen Konsumententrends. Die Entwicklungsarbeit konzentriert sich überwiegend auf die Verbesserung der bestehenden Produkteigenschaften. Bei nicht regulierten Produkten konzentriert man sich in dieser Phase des Lebenszyklus auf Kostenverbesserungen sowie Erweiterungen der Produktfunktionalität durch Mischungen, Derivate oder Reformulierungen. So können Produzenten den Umstieg auf Basischemikalien durch das Kreieren von Produktreihen hinauszögern und dadurch mögliche Margen neu definieren. Seit China als Konkurrent im Export solcher Produkte nachgelassen hat, könnte eine Produktionssteigerung von EU-Produzenten sogar für einen steigenden Export nach China sorgen.
Am unteren Ende der Kurve befinden sich Produkte, die zu Basischemikalien geworden sind, wenngleich sie bei manchen Kunden nach wie vor als Spezialitäten behandelt werden. Auch wenn diese Produkte sich am unteren Ende befinden, bilden sie nach wie vor die Basis für die gesamte Kurve. Für einige Produzenten ist diese Basis die Voraussetzung, teure R&D-Projekte als innovative Entwicklungen, die am oberen Ende der Kurve angesiedelt sind, durchführen zu können.
Was bedeutet das für Hersteller und Kunden?
J. Berwick: Die wachsende Nachfrage nach noch komplexeren und funktionaleren Life-Style-Produkten stellt Produzenten, Kunden und Lieferanten hinsichtlich der Wertschöpfung vor große Herausforderungen. Der Produzent als Erfinder und Eigentümer der Produkt-IP ist immer höheren Anforderungen hinsichtlich Qualität, Regulierung und permanentem Wettbewerb unterworfen, wenn er im Geschäft bleiben will. Kunden im Bereich Spezialitäten haben immer höhere Qualitätsanforderungen, müssen aber gleichzeitig in der Produktion effizient bleiben. Das versuchen sie durch Optimierung des Betriebs und Produktkonsolidierungen zu erreichen.
Wie positioniert sich Oqema in diesem Szenario?
J. Berwick: Das Spezialitätenportfolio von Oqema ist in der Vergangenheit dadurch gewachsen, dass wir über Jahre die Anforderungen der einzelnen Märkte ermittelt haben, die wir bedienen. Das machen wir auch heute noch so. Seit 2017 sind wir dabei, unser Spezialitätengeschäft zu vergrößern, weiterzuentwickeln und länderübergreifend zu vereinheitlichen.
Viele Kunden verbinden Oqema, ehemals Overlack, mit unserer starken Infrastruktur in Osteuropa, einem etablierten Geschäft in Deutschland und viel Flexibilität an beiden Enden der Lieferkette. Dafür stehen wir auch nach wie vor. Künftig geht es uns allerdings auch darum, unsere starke technische Expertise und unser umfangreiches Marktwissen gruppenweit noch mehr zu bündeln.
Was ist das langfristige Ziel dabei?
J. Berwick: Bis 2022 konzentrieren wir uns im Spezialitätengeschäft auf die Bereiche Food, Cosmetics & Personal Care sowie Paints & Coatings – Branchen, in denen wir bereits langjährige Expertise vorweisen können.
Der Kern unserer Strategie ist die Entwicklung einer optimalen Lieferkette: Entscheidend dafür sind passgenau gestaltete Produktportfolios, unsere moderne, umfangreiche und vernetzte Lagerhaltung sowie unsere eigene Logistikflotte. Wir bieten umfangreiche Portfolios in insgesamt 21 Branchen und können damit alle komplementären Wirtschaftszweige abdecken. Und natürlich spielen unsere Mitarbeiter mit ihrer Erfahrung, Expertise und Flexibilität eine wichtige Rolle.
Auch erweitern wir unsere Expertise im Bereich Beschaffung auf immer mehr Regionen weltweit, um hier optimal aufgestellt zu sein. Besonderen Fokus hat unser Standort in Asien, den wir Stück für Stück ausbauen.
Welcher Mehrwert entsteht daraus für den Kunden? Und welcher für den Produzenten?
J. Berwick: Die Zeiten, in denen Distributionsunternehmen nur Zwischenhändler waren, sind vorbei. Produzenten erwarten von uns zunehmend, dass wir die Vertriebsorganisation übernehmen und gemeinsam mit dem Kunden das Produktportfolio entwickeln. Der Kunde wiederum braucht uns für das Management von Logistik, Verpackung und Qualität. Außerdem erwartet er von uns zunehmend Lösungen bei neuem Produktbedarf. Synergien und die Ausschöpfung von Effizienzpotenzialen bei der Beschaffung sollen ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden – sprich, sie wollen alles aus einer Hand. Das werden wir ihnen liefern. Wir arbeiten in unseren drei ausgewählten Fokus-Segmenten an einem großen und überzeugenden Portfolio. Mit diesem dienstleistungsorientierten Ansatz wollen wir zum europäischen Distributeur der Zukunft werden.