Total Raffinerie mit selbstverordneter Quarantäne
Notfallplan der Total Raffinerie in Leuna zum Schutz vor Coronavirus-Infektionen hat funktioniert
Die Coronakrise setzt auch die Kraftstoffhersteller unter Druck: Einerseits müssen sie als kritische Infrastruktur ihre Betriebsbereitschaft auf jeden Fall aufrechterhalten, andererseits kämpfen die Unternehmen mit Absatzrückgängen. Aus Sorge, größere Teile der Belegschaft könnten sich mit SARS-CoV-2 anstecken und damit die Produktion gefährdet sein, hatte sich die Total Raffinerie Mitteldeutschland für einen ungewöhnlichen Schritt entschieden: Vom 22. März bis zum 20. April begaben sich Produktionsteams zeitweise auf dem Firmengelände in Isolation. Konkret heißt das: Jeweils 120 Mitarbeiter hielten sich für fünf bis zwölf Tage ununterbrochen auf dem Firmengelände auf. Raffinerie-Geschäftsführer Willi Frantz spricht von freiwilliger Klausur. „Man stelle sich beispielsweise einen Versorgungsengpass in der Kraftstoffversorgung vor, dies würde nicht nur den Personen- und Güterverkehr treffen, sondern auch Krankentransporte“, sagt Frantz rückblickend.
„Wir wurden etwa fünf Tage vorher gefragt, ob wir zu einer Kasernierung bereit sind“, berichtet Schichtleiter Kevin Walloch, der auch Betriebsrat ist, in einem Schreiben, das die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) veröffentlicht hat. „Uns war klar: In dieser Situation muss einfach jeder seinen Beitrag leisten.“ Laut Raffinerie-Chef wurden in Abstimmung mit dem Betriebsrat Produktionsmitarbeiter, Mitarbeiter der technischen Serviceabteilungen sowie der Feuerwehr am Standort isoliert. Diese seien zur unmittelbaren Absicherung des Betriebs der Anlagen nötig.
Für Schichtleiter Walloch bedeutete das: Er fuhr mit der Reisetasche zur Arbeit. Fünf Tage am Stück arbeiten, zwölf Stunden pro Schicht. Danach hatte er zehn Tage frei. In großen Containerburgen auf dem Firmengelände haben die Mitarbeiter geschlafen – für den Zeitvertreib wurden Tischtennisplatten, Spielkonsolen und Fernseher aufgestellt. Schnell umsetzbar war dies, da die Raffinerie eine größere Wartung und Installation von neuen Anlagen geplant hatte. „Die Container dienten und dienen der Unterbringung von geplantem Zusatzpersonal“, erläutert Frantz. „Sie standen also bereits zur Verfügung und mussten nur der Nutzung angepasst werden.“
Die Isolierung war nicht die einzige Vorsichtsmaßnahme: Alle Mitarbeiter mussten sich laut Betriebsrat bei Betreten des Betriebsgeländes einem Corona-Test unterziehen. Das Ergebnis lag innerhalb weniger Stunden vor. Auch mussten die Total-Mitarbeiter einen Fragebogen ausfüllen, mit wem sie in der Freizeit Kontakt hatten. Frantz berichtet, dass der medizinische Dienst der Chemieparkgesellschaft Infra-Leuna geholfen habe, „die Risiken für die Mitarbeiter zu minimieren und eine Ansteckungsgefahr weitgehend auszuschließen“. Zudem habe es eine enge Abstimmung mit den Behörden des Landkreises und des Landes gegeben.
„Jeweils 120 Mitarbeiter hielten sich für fünf bis zwölf Tage ununterbrochen auf dem Firmengelände auf.“
Wertvolle Erfahrungen
Da durch staatlich angeordnete Kontaktbeschränkungen und das Herunterfahren der Wirtschaft die Zahl der Neuinfektionen gesunken ist, entschloss sich die Firmenführung, die Isolierung nach vier Wochen zu beenden. Die Erfahrungen sind laut Frantz für die weitere Verbesserung des Krisenmanagements unschätzbar. „Das Wichtigste allerdings bleibt die Feststellung, eine Mannschaft zu haben, auf die man sich verlassen kann“, sagt der Raffinerie-Chef. Auch auf eine Verschlechterung der Situation sei man noch besser vorbereitet.
Nach Angaben von IG-BCE-Bezirksleiterin Sylke Teichfuß ist Total bisher das einzige Chemieunternehmen im Bezirk Halle-Magdeburg gewesen, das eine solche Mitarbeiter-Isolierung vornahm. Pläne dafür hätten auch das Kohlekraftwerk Schkopau und das Chemieunternehmen Dow in Schkopau (Saalekreis) ausgearbeitet. Falls notwendig, würden sie auch umgesetzt. Für Teichfuß ist wichtig, „dass diese Maßnahmen auf freiwilliger Basis erfolgen“. Es könne niemand gezwungen werden. In der Raffinerie hätten Mitarbeiter aus familiären Gründen auch nicht mitgemacht.
Die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Nordostchemie, Nora Schmidt-Kesseler, sagt: Es gebe einige Chemieunternehmen in Ostdeutschland, die eine Isolierung vorbereitet hätten. „Es geht vor allem um die Werksfeuerwehr in den Chemieparks. In der chemischen Industrie brauchen wir die speziell ausgerüstete und ausgebildete Werksfeuerwehr, die für den Betrieb unerlässlich ist“, so Schmidt-Kesseler. Die Verbandschefin lobt, dass „die Einsatzbereitschaft der Beschäftigten in der chemischen Industrie in der Corona-Krise extrem hoch ist“.
Gesicherte Versorgung
Die Total-Raffinerie versorgt von Leuna aus 1.300 Tankstellen in Mitteldeutschland mit Kraftstoff. Zudem werden Kerosin für Flugzeuge und Grundstoffe für die Chemie hergestellt. Die Raffinerie kämpft mit Absatzrückgängen, da bspw. wichtige Kunden aus der Luftfahrt als Abnehmer ausfallen. „Im europäischen Vergleich stehen wir aber noch recht gut da“, sagt Raffinerie-Chef Frantz. Konkrete Zahlen nennt er aber nicht.
Nach seinen Angaben verfügen die Produktionsanlagen über eine gewisse Flexibilität in der Produktpalette. „Derzeit stellt uns die Absatzsituation nicht vor technische Probleme“, so Frantz. Hintergrund ist: Die verschiedenen Kraftstoffarten können nicht in unabhängigen Mengen voneinander hergestellt werden. Die Produktion von Benzin bedingt immer auch die Herstellung von Diesel. Nach Angaben von Frantz ist die Versorgung der Tankstellen abgesichert. „Ein Absatzrückgang lässt sich ohnehin leichter bewältigen als unerwartete Spitzen im Verbrauch“, sagt er. „Allerdings werde uns die Krise in wirtschaftlicher Hinsicht noch lange begleiten.“ Insofern kommt es nach seiner Ansicht auf das Durchhaltevermögen an: „Dieses zeigt sich bekanntermaßen erst langfristig.“