Stolpersteine auf dem Marathon zum Medikament
Für eine zukunftsfähige Pharmaindustrie in Österreich müssen Rahmenbedingungen geändert werden
https://www.chemanager-online.com/tags/oesterreichDie Verfassung, Ausrüstung und Strecke beeinflussen beim Marathonlauf, ob und wie schnell man ans Ziel kommt. Ähnlich verhält es sich beim Pharmastandort: Ob Unternehmen erfolgreich arbeiten, sich halten und – idealerweise – expandieren können, hängt hier genauso davon ab, auf welchem Boden sie gedeihen, welchen Spielraum sie zum Manövrieren haben, wie viel und gutes Personal sie finden usw. Anstatt hier unterstützt zu werden, machen immer mehr Regularien und schlechte Rahmenbedingungen aus einer Marathonstrecke auch noch einen Hürdenlauf.
So wird es für Pharmaunternehmen nahezu unmöglich, ihrem Anspruch gerecht zu werden: zu forschen, neue Produkte zu entwickeln, zu produzieren und damit die Patientenversorgung zu verbessern.
„Es ist kein Wunder, dass die Produktion in Länder abwandert, in denen die Bedingungen besser sind als in Europa.“
Langstreckenlauf bis zum Medikament
Arzneimittel zu entwickeln, ist ein Hochrisikogeschäft, das, ähnlich wie im Marathon, einen langen Atem erfordert. Durchschnittlich zehn bis zwölf Jahre dauert es, bis eine von 10.000 Anfangssubstanzen zu einem marktreifen Arzneimittel wird. Dafür müssen Unternehmen etwa 2,6 Mrd. USD investieren – unabhängig von der Aussicht auf Erfolg. Denn Forschung kann in zahlreiche Sackgassen geraten, bevor sie zu einem neuen Medikament führt. Deshalb braucht ein nachhaltiges Ökosystem für Forschung klare Anreize, damit Unternehmen diese Risiken auf sich nehmen. Obwohl Arzneimittelstudien hohen Nutzen für Gesundheit, Gesellschaft und Wirtschaft stiften, fehlen entsprechende Rahmenbedingungen, damit sie ihre Effekte voll entfalten können.
Barriere Bürokratie behindert Fortschritt
Ein im Vorjahr veröffentlichter Bericht von PricewaterhouseCoopers (PwC) hebt den wirtschaftlichen Beitrag der pharmazeutischen Industrie in Europa hervor und warnt vor einer wachsenden Investitionslücke bei Forschung & Entwicklung. So trug die Branche der EU-27 im Jahr 2022 mit einem Gesamtwert von 311 Mrd. EUR 2 % zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU bei und beschäftigte 2,3 Millionen Menschen. Anstatt alles dafür zu tun, dass diese Unternehmen weiterhin wichtige Beiträge dazu leisten, Europa als Forschungsstandort zu stärken, passiert das Gegenteil. Sie werden mit immer neuen Regularien konfrontiert. So sollen sie bspw. die Kosten für eine vierte Klärstufe im Rahmen der Abwasserreinigung übernehmen. Umweltschutz ist wichtig, sollte aber nicht zur Erosion der Pharmalandschaft führen. Doch genau das passiert, wenn die immensen Kosten des Ausbaus der kommunalen Abwasseranlagen hauptsächlich der Kosmetik- und der pharmazeutischen Industrie aufgebürdet werden. Abgesehen davon, dass mehrere Quellen für die Verunreinigung des Abwassers verantwortlich sind, handelt es sich um Milliardenbeträge, die irgendwie gestemmt werden müssen – und das ohne jedwede Preiserhöhung bei der Produktpalette. Fairness und Sorgfalt sehen anders aus.
Restriktive Preispolitik als zusätzliche Hürde
Dazu kommt: Die Preise von erstattungsfähigen Medikamenten, die auch einmal unter hohem wirtschaftlichem Risiko erforscht und entwickelt wurden, dürfen nicht einfach so erhöht werden. Der anhaltende Preisdruck wirkt sich, verglichen mit Stolpersteinen auf Laufstrecken, besonders negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit speziell Österreichs aus. Nachhaltig und zielführend wäre es dagegen, die Preise bei den Medikamenten unterhalb der Rezeptgebühr an die Inflation anzupassen, damit sie von den Unternehmen auch in der Versorgung gehalten werden können, insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Inflation und der generellen Kostensteigerungen. Diese Rechnung geht für viele Hersteller irgendwann nicht mehr auf, schon gar nicht bei extrem margenschwachen Produkten. Es ist daher kein Wunder, dass die Produktion in Länder abwandert, in denen die Bedingungen besser sind als in Europa.
„Die pharmazeutische Industrie ist ein treibender Motor für Innovation und Beschäftigung und spielt eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der öffentlichen Gesundheit.”
Patentschutz als Kraftschub für Innovationen
Wenn die pharmazeutische Industrie in Europa unter Preisdruck steht und in der Bürokratieflut zu versinken droht, bleibt der Schutz für Unternehmen, ihre Erfindungen nach jahrelanger Forschung vor Nachahmung zu schützen, als einer der letzten Rettungsanker übrig. Gerade der Patentschutz ist für viele Unternehmen bis heute ein wichtiger Anreiz, um sich auf dem schwierigen und risikoreichen Feld der Medikamentenforschung überhaupt zu engagieren.
Die dafür nötigen Arzneimittelstudien sind im europäischen Wirtschaftsraum leider stark zurückgegangen. So ist gemäß dem Bericht „Assessing the clinical trial ecosystem in Europe“ die Anzahl der klinischen Forschungsprojekte im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zwischen 2013 und 2023 von 22 auf 12 % gesunken. Das bedeutet, dass heute um 60.000 Patienten weniger Zugang zu einer Medikamentenentwicklungsstudie in einem EWR-Land haben. Andere Regionen der Welt, wie die USA und China, bieten bessere Bedingungen für Forschung und Entwicklung. Als Folge ist die Anzahl an Medikamentenstudien dort weit höher und nimmt gerade in China enorm zu.
USA & China auf dem Vormarsch
So steigerte das Reich der Mitte seinen Anteil bei globalen Studienstarts von 8 % im Jahr 2013 auf 29 % im Jahr 2023 und konnte so seinen Innovationsmotor deutlich ankurbeln. Laut PwC-Bericht wurden zwischen 2018 und 2023 insgesamt 91 neue Wirkstoffmoleküle in Europa entdeckt, verglichen mit 187 in den USA und 75 in China. Davor wurde ihre geringe Anzahl kaum erfasst. Der Bericht unterstreicht die Notwendigkeit verstärkter Investitionen in F&E, um die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der europäischen pharmazeutischen Industrie zu sichern. Kam vor 25 Jahren noch rund die Hälfte aller neuen Therapien aus Europa, ist es heute nur noch ein Fünftel.
Die pharmazeutische Industrie ist ein treibender Motor für Innovation und Beschäftigung und spielt eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der öffentlichen Gesundheit. Sie ermöglicht den Zugang zu moderner Medizin, stärkt die Wirtschaftskraft und senkt langfristig die Kosten für das Gesundheitssystem. Um den Pharmastandort Europa zu stärken, sind jedoch faire und verlässliche Rahmenbedingungen erforderlich. Das scheitert bei 27 verschiedenen Gesundheitssystemen in der EU schon an den unterschiedlichen Regelungen beim Zugang. Dabei ist der Nutzen, den Arzneimittel stiften, vielfältig.
Wenig Wertschätzung für Innovationen
Einerseits sollen Unternehmen zwar brav neue Arzneimittel entwickeln, doch wird ihr Vorhaben, sie für die medizinische Versorgung bereitzustellen, von einer Lawine an Bürokratie begraben. In Österreich hat das Bundesministerium ein Medikamenten-Bewertungsboard ins Leben gerufen, um kostenintensive Therapien zu bewerten, die überwiegend in Spitälern verabreicht werden. Damit soll ein einheitlicher Zugang zu diesen Therapien ermöglicht werden, unabhängig vom Bundesland.
Fraglich ist jedoch, ob dieses Ziel mit diesem Board nicht eher erschwert wird. Der Bund hat hier eine bürokratische Stelle im Ministerium eingerichtet, und zwar ohne Patientenvertreter und mit schwacher Einbindung medizinischer Experten. Unter den 25 Mitgliedern des Boards ist nur ein Mitglied der Patientenanwaltschaft ohne Stimmrecht und lediglich drei Wissenschaftler aus pharmakologischen bzw. medizinischen Fachrichtungen. Diese mangelnde Fachexpertise in Fragen der Therapiebewertung ist erschreckend und stellt die ärztliche Therapiehoheit in Frage. Zudem wird die Verfügbarkeit lebenswichtiger Therapien verzögert, da das Board bis zu fünf Monate für Entscheidungen Zeit hat. Erst danach können Preisverhandlungen mit dem jeweiligen pharmazeutischen Unternehmen erfolgen. Die Folge: Patienten, bei denen jeder Behandlungstag zählt, müssen im schlimmsten Fall fünf zusätzliche Monate oder länger auf ihre Behandlung warten.
Laufstrecke sanieren
Die Aufgabe an die Politik in Österreich und Europa ist klar: Marathonstrecke bereinigen und Hürden beseitigen, damit der Forschungsbereich wieder konkurrenzfähig wird. Dazu zählen u. a. faire Preise für innovative Arzneimittel, genauso auch Förderungen für Unternehmensansiedlungen und Erweiterungen. Sonst fallen Österreich und Europa weiter im internationalen Wettbewerb zurück.
Dazu muss es der Politik bewusst sein, welche Tragweite ihre Entscheidungen haben. Je größer dieser Spielraum, desto größer auch der Beitrag der Branche zu einer bestmöglichen Versorgung, zu einer wachsenden und konkurrenzfähigen Wirtschaft, zu hoch qualitativen Arbeitsplätzen für Bürger in Österreich und Europa und insgesamt zu einer hohen Lebensqualität. Denn die pharmazeutische Industrie kann auf dem Weg zu neuen Medikamenten nur auf jener Strecke laufen, die ihr die Politik zur Verfügung stellt. Ohne Stolpersteine geht es schneller.
Alexander Herzog, Generalsekretär der Pharmig, Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs, Wien, Österreich
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Zur Person
Alexander Herzog, ist seit 2018 Generalsekretär der Pharmig, des Verbands der pharmazeutischen Industrie Österreichs. Nach seinem BWL-Studium arbeitete er in verschiedenen Positionen, bevor er 2003 zur Wiener Wirtschaftsagentur wechselte. Von 2007 bis 2018 war Herzog in leitenden Funktionen für die WGKK und SVA tätig. Er bekleidet Führungspositionen in nationalen Verbänden und Vereinen und vertritt Österreich im Pharmabereich auf internationaler Ebene.
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