Start-ups für mehr disruptive Innovationen
Start-ups gewinnen an Bedeutung für die Chemieindustrie / Bürokratie hemmt junge Unternehmen
Große Mittelständler und Konzerne der Chemie- und Pharmaindustrie sehen die Beteiligung an Start-up-Unternehmen als eine wichtige Säule ihrer Strategie, um zu einem ausgewogeneren, stärker disruptiv ausgerichteten Innovationsportfolio zu gelangen. So lautet ein zentrales Ergebnis der aktuellen Studie „Innovationen den Weg ebnen“, die im Auftrag des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) von IW Consult und der Unternehmensberatung Santiago erstellt wurde.
Demnach schaffen es viele Großunternehmen nicht, die Entwicklung von Durchbruchsinnovationen in der eigenen Organisation zu systematisieren. Nach zahlreichen Versuchen mit internen Start-ups und Inkubatoren kommen immer mehr Unternehmen zu der Überzeugung, dass wirklich disruptive Innovation zunehmend außerhalb des Unternehmens passieren muss. Dies gilt umso mehr, je eher die disruptiven Neuentwicklungen zu einer Kannibalisierung des bestehenden Geschäfts führen könnten. Genau in diese „Lücke“, so die Strategie einer Vielzahl der befragten Unternehmen, sollen technologieorientierte Start-up-Unternehmen springen. Umso wichtiger ist es, dass die Rahmenbedingungen in Deutschland eine regelrechte Gründeroffensive ermöglichen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, mit welchen Innovationshemmnissen sich junge Unternehmen in Deutschland konfrontiert sehen.
„Die chemisch-pharmazeutische Industrie hat die strategische Bedeutung von Start-ups für die eigene Innovationsarbeit neu entdeckt. Sie sind kompetent und agil und stellen oftmals die tradierten Wege der eigenen Forschung und Entwicklung in Frage. Will sie hiervon profitieren, muss sie vielfältige und attraktive Plattformen zum Andocken schaffen“, fasst Dr. Juan Rigall, einer der Studienleiter, die Meinungen der befragten Experten und Branchenvertreter zusammen.
Regulatorisches Umfeld hemmt junge Unternehmen
Bei genauerer Betrachtung der externen Innovationshemmnisse fällt auf, dass die Innovationskraft junger Unternehmen im Bereich Regulierung/Bürokratie besonders negativ beeinträchtigt wird. Am stärksten belasten Zulassungs- und Genehmigungsverfahren: Hier treten viele Probleme aufgrund zeitlicher Verzögerungen der behördlichen Verfahren auf, was zu zusätzlicher Planungsunsicherheit führt. Hinzu kommt, dass Notifizierungs- und Zulassungsverfahren, Berichtspflichten und die Vielzahl von Institutionen und Entscheidungsebenen mittlerweile ein kritisches Ausmaß erreicht haben. Gerade junge Unternehmen betrifft dies, da entsprechende Erfahrungen über den Umgang mit und die Vorbereitung auf die komplexen Verfahren sowie Ressourcen fehlen – größere Unternehmen können zumindest die Abläufe aufgrund ihrer Erfahrungen internalisieren.
Folgerichtig fordert die Studie, mehr Planungssicherheit im regulatorischen Umfeld zu gewährleisten und eine innovationsfreundliche Regulierung sicherzustellen. Eine aktive Einbindung der Industrie in die Weiterentwicklung der regulatorischen Rahmenbedingungen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene ist zukünftig unabdingbar. Zudem ist es notwendig, die Gründung und Vertiefung von Dialogformaten zwischen Politik und Industrie für jede Teilindustrie und für neue Technologien zu forcieren.
Steuervergünstigungen für Investoren von Risikokapital
Im Bereich der Finanzierungs- und Förderungsmöglichkeiten für junge Unternehmen zeigen sich erhebliche Verbesserungspotenziale: Hohe Kredithürden und unterentwickelte Risikokapitalmärkte werden bemängelt. Auch sollten Förderprogramme stärker die Bedürfnisse von Start-ups berücksichtigen. Heutige Programme sind mit unverhältnismäßig hohem administrativem Aufwand verbunden, welcher von jungen und kleinen Unternehmen häufig nicht zu leisten ist. Diese Anforderungen müssen reduziert und die Programme entbürokratisiert werden. Die Summe dieser Problemfelder führt dazu, dass sich in Deutschland keine erfolgreiche Start-up-Kultur entfalten kann.
Nach wie vor problematisch ist der Umgang mit Wagniskapitalinvestitionen in Deutschland: Trotz des hohen Risikos für den Finanzierer ist diese Finanzierungsform in Deutschland rechtlich und steuerlich nicht attraktiv genug ausgestaltet. Hier besteht schneller Handlungsbedarf. Beispiele hierfür sind verbesserte Abschreibungsbedingungen für Risikokapital und beim Erwerb von Anteilen an Start-ups sowie „Steuerpausen“ für Investoren, die Gewinne direkt reinvestieren.
Mehr Unternehmertum an deutschen Universitäten
Als weiteres Problemfeld identifiziert die Studie den Umgang mit Start-ups im universitären Umfeld. Auch wenn in den vergangenen Jahren erste Schritte zur Verbesserung der Situation für Start-ups gemacht wurden – bspw. über die EXIST-Förderprogramme des Bundeswirtschaftsministeriums – hinkt Deutschland weiterhin hinterher. Dies betrifft die Vermittlung von grundlegendem Gründungswissen, Unterstützungsangeboten für Gründer sowie die Verknüpfung von (potenziellen) Gründern mit der Wirtschaft. Ausländische Hochschulen, wie die ETH Zürich und die Wirtschaftsuniversität Wien, zeigen, dass Unternehmertum an Universitäten erfolgreich gefördert werden kann. Technion, die Technische Universität Israels in Haifa, gilt aufgrund von Verbindungsbüros zur Industrie und einem besonderen Fokus auf Kooperationsforschungen als Best Practice bei der Verbindung von Wirtschaft und Wissenschaft.
Hier gilt es für deutsche Hochschulen anzusetzen: Betriebswirtschaftliche Kenntnisse müssen stärker in der universitären Ausbildung verankert werden, die Begleitung und Entwicklung neuer Produkte durch die Universität sowie Kooperationsforschungen müssen forciert werden.
Deutschland muss attraktiver werden für Start-ups
Die VCI-Studie zeigt, Deutschland bietet keine günstigen Bedingungen für Start-ups – es besteht dringender Handlungsbedarf auf verschiedenen Ebenen: Das regulatorische Umfeld muss jungen Unternehmen ausreichend Freiraum zur Entfaltung geben. Finanzierungs- und Förderungsmöglichkeiten müssen verstärkt die Bedürfnisse von jungen Unternehmen berücksichtigen – insbesondere im Bereich des Wagniskapitals. Aber auch die Sensibilisierung für die gesellschaftliche Relevanz von Start-ups muss verbessert werden, vor allem im universitären Umfeld. (ag)
VCI-Studie zu Innovationshemmnissen in der Chemie
Die Studie „Innovationen den Weg ebnen“ wurde Mitte September 2015 vom Verband der Chemischen Industrie veröffentlicht (vgl. CHEManager 19/2015). Sie untersuchte erstmals die internen und externen Innovationshemmnisse in der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Deutschland und gibt Handlungsvorschläge zur Stärkung der Innovationskraft. Die Ergebnisse basieren auf einer schriftlichen Umfrage, an der sich fast 200 Unternehmen beteiligten. Zusätzlich wurden rund 70 Branchenexperten und Wissenschaftler persönlich befragt. Die Studie kann auf den Internetseiten des VCI kostenfrei heruntergeladen werden.
Kontakt
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