Standortbetreibern kann die Digitalisierung helfen Umsätze zu erhöhen
Unternehmensberater Carsten Suntrop über den Nutzen eines digitalen Zielbildes für Chemieparkbetreiber
Viele Chemiestandortbetreiber, so wie die meisten Unternehmen heutzutage, setzen sich das Ziel „digitaler“ zu werden. Unter den verschiedenen Stakeholdern eines Standortbetreibers herrscht jedoch oftmals Unklarheit darüber, was Digitalisierung bedeutet und welche tatsächlichen Ziele damit verfolgt werden sollen: Digitalisierung der Prozesse, um die Arbeit der Mitarbeiter zu vereinfachen; Begleitung der Kunden in der Kaufentscheidung und -abwicklung durch digitale Services; Zukauf von Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen mit dem Ziel der Diversifikation abseits oder Verstärkung des Kerngeschäfts; Digitalisieren der Instandhaltungs-, Ver- und Entsorgungsaufgaben und Verknüpfen all dieser Daten, um daraus neue Services zu entwickeln; Einsparung von Kosten in den kommenden Jahren; dem Anteilseigner aufzeigen, welche Investitionen durch die Digitalisierung erforderlich werden – dies sind alles mögliche Ziele bzw. Aufgaben, die mit der Digitalisierung eines Standortbetreibers einhergehen. Daher muss vor einer digitalen Umsetzungsstrategie aus den unterschiedlichen Vorstellungen ein gemeinsames digitales Zielbild entwickelt werden.
Ansätze der Digitalisierung können in verschiedene Zielkategorien unterteilt werden. Zum einen können digitale Ansätze für die Stützung des Kerngeschäfts genutzt werden, also bspw. um interne Prozesse zu optimieren, ein digitales Dokumentenmanagement einzuführen oder einen automatisierten Angebots- bzw. Auftragsabwicklungsprozess einzuführen. Zum anderen können nach außen, auf den Kunden ausgerichtete, digitale Geschäftsmodelle und Dienstleistungen entwickelt werden. Als Beispiele für bereits bekannte digitale Services sind neben Predictive Maintenance auch digitales Retail Management zu nennen.
Bei der Zielbildentwicklung ist es darüber hinaus wesentlich, sich konkrete und realistische digitale Ziele zu setzen. Dies kann ein definierter Anteil am Umsatz sein, der in einer gewissen Zeitspanne mit digitalen Leistungen erwirtschaftet werden soll. Auch die Anzahl der digitalen Leistungen zu einem gewissen Zeitpunkt kann als Zielgröße dienen, ebenso wie der Anteil der Investitionen in Digitalisierung. Wenn diese Zielgrößen festgelegt wurden, ist der nächste Schritt die Identifizierung von konkreten Ansätzen, die für eine Umsetzung in Frage kommen.
Hierfür ist zunächst eine Betrachtung von allgemeinen (Industrie- und Unternehmens-unabhängigen) Trends sinnvoll. Neben technologischen Entwicklungen sollten dabei auch politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Treiber identifiziert werden. Dieser Schritt ist wesentlich, um einen ungefähren Eindruck von zukünftigen Entwicklungen zu erhalten. In einem nächsten Schritt können dann daraus Rückschlüsse gezogen werden, welche Auswirkungen die beobachteten Trends auf den Standortbetreiber haben.
Relevante gesellschaftliche Trends, die auch die Chemiestandorte zunehmend betreffen werden, sind Änderungen im Arbeitsmarkt. In einzelnen Branchen und Berufszweigen ist der Fachkräftemangel bereits spürbar und die Personalsuche wird zunehmend schwerer – eine optimierte und digitale Personalsuche kann hierbei unterstützen. Gleichzeitig wachsen auch die Anforderungen an die potenziellen und aktuellen Arbeitnehmer im Zuge der Digitalisierung – Mitarbeiter haben ganz unterschiedliche digitale Kompetenzen und Unternehmen müssen sich zunehmend darauf einstellen, diese aktiv und für unterschiedliche Kompetenzniveaus zu schulen.
Insbesondere technologisch gesehen sind viele weitere Trends zu beobachten: Eine zunehmende Integration und Vernetzung unterschiedlichster Akteure am Standort und über ganze Supply Chains hinweg entwickelt sich. Wenn alle Akteure die gleiche Plattform nutzen, können Warenflüsse entlang der gesamten Lieferkette digital kartographiert werden. Dies hat das Potenzial, Prozesse zu vereinfachen, Zeit einzusparen und die Verlässlichkeit zu erhöhen. Die Digitalisierung von Daten bietet allein sehr viele Möglichkeiten – papierloser Handel, digitales Dokumentenmanagement und natürlich Big Data Analytics können z.B. für Vorhersagen im Rahmen von Produktions-Planungsprozessen eingesetzt werden. Auch die Sensortechnologie und Telematik wird immer häufiger eingesetzt und findet im Engineering, Instandhaltung und Logistik ihren Einsatz, kann aber ebenso Vorteile im Bereich der Ver-und Entsorgung bieten, um durch Tracking und Tracing frühzeitig Zu- und Ablaufströme zu kontrollieren. Darüber hinaus sollten konkrete Ansätze und digitale Projekte aus anderen Branchen gesammelt werden, um eine Horizont-Erweiterung zu erreichen und um aufzuzeigen, was bereits heute in anderen Branchen umgesetzt wird.
Schließlich müssen die bereits umgesetzten, in Umsetzung befindlichen oder geplanten einzelnen Digitalisierungsmaßnahmen des Standortbetreibers aufgezeigt werden. Zudem sollten weitere Ideen aus dem Unternehmen aufgenommen werden. Die Mitarbeiter kennen ihr Unternehmen am besten und haben in aller Regel gute Vorstellungen davon, an welcher Stelle Potentiale (intern oder kundengetrieben) die Digitalisierung bietet. Hierzu eignen sich im Einsatz von Kreativ-Workshops kundenzentrierte Werkzeuge wie das Value Proposition Canvas. Hier werden konkrete Personas in den Fokus genommen, wie digitale Ansätze dem Kunden-Ansprechpartner Schmerzen abnehmen oder ihn begeistern können.
Aus diesen gesammelten Informationen lässt sich ein gutes Bild davon entwickeln, wohin sich der Standortbetreiber in Bezug auf die Digitalisierung entwickeln möchte. Auch hier verändern sich die grundlegenden betriebswirtschaftlichen Annahmen nicht – Digitalisierung soll helfen, Umsätze zu erhöhen oder Kosten zu senken, Investitionen in die digitale Veränderung machen nur Sinn, wenn diese sich amortisieren oder existenzgefährdende Risiken abwehren können.
All diese Ansätze müssen schließlich bewertet und priorisiert werden, so dass eine Digitalisierungs-Roadmap abgeleitet werden kann (vgl. Abbildung). Die Roadmap ist zum einem im Portfolio oder auch auf der Zeitachse abzutragen. Daraus entsteht eine konkrete Handlungsanweisung, welche Digitalisierungsansätze in den nächsten Jahren verfolgt werden sollen. Erst wenn dieses strategische Zielbild klar ist, können die künftigen Anforderungen an die Organisation, die Prozesse, die Technik und die Menschen im Unternehmen definiert werden. Es muss geklärt werden, welche Voraussetzungen für das Erreichen des digitalen Zielbilds erfüllt werden müssen, also bspw. welche Daten, Systeme und konkreten Kompetenzen erforderlich sind. Daraus ergibt sich schließlich ein Organisations- und technologisches Zielbild. Zudem ist eine qualitative Bewertung von Kosten und Nutzen notwendig, ebenso wie die Bildung einer „Shortlist“, die erste, schnell umsetzbare „Leuchtturm-Projekte“ enthält. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Digitalisierung sehr pragmatisch und strukturell übersichtlich einführen bzw. weiterentwickeln lässt.