Siegel für die Sicherheit
Der EU-Richtlinienvorschlag zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen
Angesichts der stetig steigenden Zahl von gefälschten Arzneimitteln bildet ein EU-weit abgestimmtes Vorgehen gegen Arzneimittelfälschungen einen Schwerpunkt des „EU-Pharmapakets": Der Vorschlag der Kommission (2008) 668 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Ergreifung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen (Richtlinienvorschlag). Grund genug zu fragen, was auf die betroffenen Marktteilnehmer möglicherweise bereits im Herbst zukommt.
Der Richtlinienvorschlag setzt bereits bei der Definition von „gefälschten Arzneimitteln" an. Als „Fälschungen" kommen in Betracht „minderwertige oder gefälschte, überhaupt keine oder falsch dosierte Inhaltsstoffe, einschließlich Wirkstoffe" oder „falsche Angaben zu Eigenschaften, Herstellung oder Herkunft der Arzneimittel". Im Fokus der vorgesehenen Pflichten steht nicht nur der Bereich Herstellung. Umfasst werden auch das Inverkehrbringen sowie der Import und Export von Arzneimitteln und Wirkstoffen. Verpflichtete des Richtlinienvorschlags der Kommission sind Hersteller und Großhändler sowie Importeure.
Auftrag zur Überprüfung
Kern des Richtlinienvorschlags ist die Einführung von speziellen Sicherheitsmerkmalen für Arzneimittelverpackungen (Safety Features). Die Sicherheitsmerkmale sollen Aufschluss über die Identität, Echtheit und Rückverfolgbarkeit von Arzneimitteln geben. Nach dem derzeitigen Richtlinienvorschlag sind Sicherheitsmerkmale verpflichtend für Verpackungen von verschreibungspflichtigen Präparaten vorgesehen. Freiverkäufliche Arzneimittelverpackungen sind hingegen (noch) nicht erfasst. Die Europäische Kommission soll verpflichtet werden, in Abständen von zwei Jahren Berichte, insbesondere über die Erfahrungen mit den Sicherheitsmerkmalen, vorzulegen. Die Sicherheitsmerkmale sollen es Großhändlern, Apothekern oder Personen, die die Genehmigung oder Erlaubnis zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit haben, ermöglichen, die Echtheit zu überprüfen und Einzelpackungen zu identifizieren und dahingehend zu kontrollieren, ob die äußere Umhüllung verändert worden ist. Mit dieser Vorgabe wird der Standard, dem die „Safety Features" genügen müssen, festgelegt. Anhand der Sicherheitsmerkmale müssen Identifizierung, Verfolgbarkeit und Prüfung der Echtheit der verschreibungspflichtigen Arzneimittel vorgenommen werden können. Gleichzeitig wird konsequenterweise Großhändlern, Apothekern und Personen, die Arzneimittel an die Öffentlichkeit erlaubterweise abgeben, der Auftrag zur Überprüfung zugewiesen.
Ununterbrochene Rückverfolgbarkeit
Die Sicherheitsmerkmale sollen nur in Ausnahmefällen entfernt oder überdeckt werden dürfen. So wäre es Inhabern einer Herstellungserlaubnis gestattet, das Sicherheitsmerkmal von einer Arzneimittelverpackung zu entfernen, wenn sie sich zuvor von der Echtheit des Arzneimittels überzeugt haben und nach Entfernung des Sicherheitsmerkmals dieses durch ein „gleichwertiges" Merkmal ersetzen. Der Austausch des Sicherheitsmerkmals soll der Überwachung der zuständigen Behörde unterliegen. Das durch den Inhaber der Herstellungserlaubnis aufzubringende neue Sicherheitsmerkmal muss im gleichen Ausmaß Aufschluss über die Identität, Echtheit und ununterbrochene Rückverfolgbarkeit des Arzneimittels geben können, ohne dass dafür jedoch die Primärverpackung geöffnet werden muss. Welche konkreten Anforderungen an die Beschaffenheit der Sicherheitsmerkmale gestellt werden und unter welchen einzelnen Voraussetzungen die Sicherheitsmerkmale angebracht, entfernt und ersetzt werden dürfen, soll die Kommission im Einzelnen festlegen.
Ausnahme-Regelungen
Bedeutend ist, dass nach dem derzeitigen Wortlaut des Richtlinienvorschlags die Kommission bei der Festlegung der Maßnahmen die mit den Arzneimitteln oder Arzneimittelkategorien verbundenen Gefahren zu berücksichtigen hat. Hier steht also eine „Muss-Vorschrift" im Raum, die die Kommission bei Bestimmung der Maßnahmen dazu anhält, ggf. auch Ausnahmen u.a. von der Verpflichtung zur Aufbringung eines Sicherheitsmerkmals vorzusehen. Bei der Entscheidung, ob Ausnahmen eingeräumt werden können, sind insbesondere folgende Aspekte von der Kommission in die Entscheidungsfindung einzubeziehen: „Preis und Absatzvolumen des Arzneimittels, Zahl der Fälschungen in Drittländern und in der Gemeinschaft, Entwicklung derartiger Fälle in der Vergangenheit, spezifische Merkmale des betreffenden Arzneimittels sowie Schweregrades der zu behandelnden Erkrankungen". Dabei sollte auch erwogen werden, ob die Gefahr besteht, dass es auf Grund des Preises zu Fälschungen kommt, ob derartige Fälle innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft bereits aufgetreten sind und welche Folgen Fälschungen für die öffentliche Gesundheit angesichts der spezifischen Merkmale der betreffenden Arzneimittel und des Schweregrads der zu behandelnden Erkrankungen hätten. Folgerichtig kann bei bestimmten Arzneimitteln oder Kategorien von Arzneimitteln auf Sicherheitsmerkmale verzichtet werden. Vor diesem Hintergrund würde es nahe liegen, OTC-Produkte direkt aus der Regelung zur Erhöhung der Fälschungssicherheit auszunehmen, da hier das Fälschungsaufkommen verschwindend gering ist. Auch bei homöopathischen Präparaten mag eine Ausnahme zu erwägen sein.
Die Arzneimittelverpackung der Zukunft
Die Verpflichtung zur Aufbringung von Sicherheitsmerkmalen für jede einzelne Verpackung eines Arzneimittels wird kommen. Wie eine Etikettierung mit Sicherheitsmerkmalen konkret ausgestaltet werden soll, ist jedoch noch nicht geklärt. Zur Wahl stehen beispielsweise serialisierte Nummern oder Siegel sowie ein Data-Matrix-Code, ggf. mit Artikel- bzw. Herstellernummer (global trade item number) oder Pharmazentralnummer (PZN). Der Gemeinschaftsgesetzgeber scheint den Fokus bei den Sicherheitsmerkmalen weniger auf eine vollumfängliche Rückverfolgbarkeit von Arzneimittelverpackungen (traceability) als vielmehr auf den Originalverschluss zu legen. Auf Grund des erfolgreich abgeschlossenen Pilotprojekts der EFPIA in Schweden spricht Vieles für den 2D-Data-Matrix-Code. Es bleibt jedoch spannend: Neben der konkreten Ausgestaltung der Sicherheitsmerkmale sind auch die Ausnahmen noch nicht endgültig festgelegt. Zudem ist offen, ob die Mitgliedstaaten bereits existierende Systeme zur Verhinderung von Arzneimittelfälschungen beibehalten können.
Die Antworten können schon im Herbst 2010 fallen, nach den Abstimmungen im federführenden EU-Umweltausschuss (ENVI). Einigen sich Kommission, EU-Parlament und EU-Rat über die Inhalte, kann es bereits in Kürze zu einer Verabschiedung der Richtlinie zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen kommen. Hersteller und Großhändler sollten sich daher weiterhin intensiv mit den EU-Vorgaben zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen auseinandersetzen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Richtlinie auch Änderungen im Hinblick auf Arzneimittelwirkstoffe mit sich bringen wird. Deren Herstellung und Import müssen zukünftig der „Guten Herstellungspraxis" und „Guten Vertriebspraxis" entsprechen. Hierzu werden „Grundsätze und Leitlinien" der Kommission erwartet. Weiterhin gibt es Änderungen im Hinblick auf den Import von Wirkstoffen aus Drittstaaten sowie umfangreiche Prüf- und Meldepflichten, die auf Inhaber einer Herstellungserlaubnis zukommen. Nicht zuletzt die Tatsache, dass der Inhaber einer Herstellungserlaubnis zukünftig für jeden Schaden haftet, der dadurch entsteht, dass ein von ihm in Verkehr gebrachtes Arzneimittel in Bezug auf seine Eigenschaften gefälscht ist, verlangt genaue Kenntnis der Bestimmungen. Auf etwaige Kontrollen durch die zuständigen Behörden betreffend die Einhaltung der „Grundsätze und Leitlinien" sollten die Marktteilnehmer vorbereitet sein. Viel Neues also für die betroffenen Marktteilnehmer - im Dienste der Sicherheit.
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