Sehnsucht nach sozialer Marktwirtschaft
Stiftung Verantwortungseigentum legt Vorschlag für GmbH mit gebundenem Vermögen vor
Die Erfindung des Mikroskops durch Ernst Abbe machte das Unternehmen Zeiss erfolgreich und weltberühmt. Der Physiker war sich jedoch bewusst, dass dieser Erfolg ohne die Arbeit vieler weiterer Forscher nicht möglich gewesen wäre. Nach dem Tode des Firmengründers Carl Zeiss suchte er daher nach einem Modell, das dem Unternehmen eine langfristige, sinnvolle Perspektive geben und zugleich sicherstellen sollte, dass es der Gesellschaft und den Menschen gehört. Dabei erfand er etwas noch nie Dagewesenes: Er nutzte die Rechtsform einer Stiftung und gestaltete sie so, dass diese Trägerin des Unternehmens wurde. Die Idee des Verantwortungseigentums war geboren.
Noch heute ist die Carl-Zeiss-Stiftung Alleininhaberin der beiden Technologieunternehmen Carl Zeiss und Schott und stellt sicher, dass diese nicht verkauft und die Unternehmensgewinne entweder reinvestiert oder gespendet werden. Abbe führte zudem schon vor über 120 Jahren den Anspruch auf Kranken- und Rentenversicherung, bezahlten Urlaub und einen 8-Stunden-Tag für die Mitarbeiter ein. Außerdem gab er vor, dass das höchste Gehalt den geringsten Verdienst eines zwei Jahre lang im Unternehmen Beschäftigten nicht um mehr als das Zwölffache übersteigen darf.
„Allein in Deutschland wird Verantwortungseigentum
von etwa 200 Unternehmen umgesetzt,
die zusammen 270 Mrd. EUR Umsatz erzielen
und über 12,1 Mio. Mitarbeiter beschäftigen.“
Seit dem 19. Jahrhundert folgten viele Unternehmer Abbes Beispiel und entwickelten weitere innovative, rechtlichen Lösungen, um Verantwortungseigentum über Stiftungen abzubilden. Dazu zählen u. a. Bosch, das Pharmaunternehmen Novo Nordisk oder die Internetorganisation Mozilla (Firefox). Allein in Deutschland wird Verantwortungseigentum von etwa 200 Unternehmen umgesetzt, die zusammen 270 Mrd. EUR Umsatz erzielen und über 12,1 Mio. Mitarbeiter beschäftigen (vgl. Grafik letzte Seite). In Dänemark ist das Konzept noch verbreiteter. Dort stellen Unternehmen in Verantwortungseigentum über 60 % des Werts des dänischen Aktienindizes. 50 % aller Investitionen in Forschung und Entwicklung werden in unserem Nachbarland von Unternehmen im Verantwortungseigentum getätigt und Statistiken belegen, dass diese Unternehmen eine um sechsfach erhöhte Überlebenswahrscheinlichkeit im Vergleich zu anderen Gesellschaftsformen haben.
Abkehr vom Shareholder-Value-Prinzip
Viele Ideen des Sozialreformers Abbe haben auch nach über 130 Jahren nichts an Aktualität und Attraktivität verloren. Die Kritik an kurzfristigem, gewinnorientiertem Denken in Unternehmen steigt und die Debatte um das Shareholder-Value-Prinzip, das alles dem Interesse der Aktionäre unterordnet, gewinnt gerade in Zeiten der Krise nochmal an Fahrt. In diesem Umfeld wünschen sich immer mehr Unternehmer neue Eigentümerstrukturen mit Vermögensbindung, die sicherstellen soll, dass das Unternehmenskapital vorrangig dem Unternehmenszweck dient. Stiftungskonstrukte à la Bosch und Zeiss haben sich zwar für große Unternehmen bewährt, sind aber für viele kleine, junge oder auch mittelständische Firmen viel zu bürokratisch und zeitaufwändig umzusetzen. Die Transformation in Verantwortungseigentum kann sich über viele Jahren hinziehen; die Investitionen dafür 200.000 EUR überschreiten. Eine neue Rechtsform könnte hier Abhilfe schaffen.
Genau hier setzt die Stiftung Verantwortungseigentum an. Sie wurde 2019 von Unternehmern gegründet, um Verantwortungseigentum in Deutschland eine Stimme zu geben. Zu den 32 Gründungsunternehmen zählen Start-up-Gründer, wie der Kondomhersteller Einhorn oder der Suchmaschinenbetreiber Ecosia, aber auch der Bio-Produzent Alnatura, die GLS Gemeinschaftsbank, die Handelskette Globus, Weleda und die BMW Foundation Herbert Quandt.
Gesellschaftsform soll Selbstständigkeit des Unternehmens sicherstellen
„Uns geht es um eine robuste, missbrauchssichere Rechtsform, die sicher kein Steuersparmodell ist, sondern jungen und mittelständischen Unternehmern hilft, ihr Unternehmen treuhänderisch zu führen“, erklärt Armin Steuernagel, Vorstand und Mitgründer der Stiftung. Hierfür hat die Stiftung gemeinsam mit Experten für Gesellschaftsrecht einen Gesetzesentwurf für eine GmbH in Verantwortungseigentum ausgearbeitet. Dabei handelt es ich um eine Variante der GmbH, die eine Vermögensbindung vorsieht und zudem erlaubt, Anteile treuhänderisch von Generation zu Generation zu übergeben und so die Selbstständigkeit des Unternehmens sicherstellt.
„Uns geht es um eine robuste, missbrauchssichere Rechtsform,
die sicher kein Steuersparmodell ist,
sondern jungen und mittelständischen Unternehmern hilft,
ihr Unternehmen treuhänderisch zu führen.“
Armin Steuernagel, Vorstand der Stiftung Verantwortungseigentum
Mehr als 600 Unternehmer und 100 Wirtschaftsexperten, darunter Michael Hüther vom Institut der Deutschen Wirtschaft, Multiaufsichtsrätin Ann-Kristin Achleitner, unterstützen das Anliegen der Stiftung und richteten sich in einem gemeinsamen Brief an die Bundesregierung, in dem sie die große Koalition auffordern „gemeinsam für die Stärkung der Sozialen Marktwirtschaft eine gesetzliche Innovation auf den Weg zu bringen: eine Rechtsform für Verantwortungseigentum“. Dieser wurde Anfang Oktober im Rahmen eine Info-Veranstaltung in der Berliner Repräsentanz der Robert-Bosch-Stiftung an die CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und den Generalsekretär der SPD, Lars Klingbeil, übergeben.
Die Rechtsform sei eine Chance, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Unternehmen zu verankern und die Soziale Marktwirtschaft stärker am Gemeinwohl auszurichten, sagte Klingbeil. Auch Kramp-Karrenbauer zeigte sich aufgeschlossen dafür, den Vorschlag noch in diese Legislaturperiode aufzunehmen und bewertete den Gesetzesentwurf als innovativ, zukunftsorientiert und wertegebunden.
Folgt man den Diskussionen der Wirtschaftspresse und in den Social Media, scheint die Initiative mit ihren Forderungen einen Nerv zu treffen. In allen etablierten Parteien finden sich Befürworter, aber auch Kritiker der neuen Gesellschaftsform. Dabei wird die Debatte zum Teil sehr kontrovers geführt. Während die einen vor einer Rückkehr zum Volkseigentum warnen, befürchten andere die Absicht, dass durch die neue GmbH Erbschaftssteuer umgangen werden soll. Vielfach kritisiert – insbesondere von Vertretern von Familienunternehmen – wurde der Name „GmbH in Verantwortungseigentum“. Er suggeriere, dass andere Unternehmensformen unverantwortlich wirtschaften, dabei handeln gerade viele Familienunternehmer höchst verantwortlich im Sinne ihres Unternehmens und dem Gemeinwohl. Die Initiative hat hierauf bereits regiert: Der überarbeitete Entwurf der Rechtsform soll den Namen „GmbH mit gebundenem Vermögen“ tragen.
Andrea Gruß, CHEManager
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Prinzipien des Verantwortungseigentums
Verantwortungseigentum beschreibt eine Form von Eigentum an einem Unternehmen, bei der unternehmerische Nachhaltigkeit generationenübergreifend sichergestellt werden kann und der Sinn und Zweck des Unternehmens höchste Priorität genießen. Dies kann bei gängigen Unternehmensformen wie der Aktiengesellschaft oder GmbH bislang rechtlich nicht garantiert werden. Denn im deutschen Gesellschaftsrecht gilt ein Unternehmen als eine Sache, kann also jederzeit von seinen Eigentümer zum persönlichen finanziellen Vorteil verkauft werden. Im Gegensatz dazu folgen Unternehmen in Verantwortungseigentum zwei zentralen Prinzipien:
Sinnprinzip: Gewinne sind Mittel zum Zweck: Die Unternehmenseigentümer haben keinen Anspruch auf Gewinnausschüttungen und Vermögensanteile an ihrem Unternehmen. Erwirtschaftete Gewinne dienen primär dem Unternehmenszweck: Sie werden reinvestiert, zurückgelegt, für bessere Löhne genutzt oder gespendet, aber nicht ausgeschüttet.
Selbstbestimmungsprinzip: Unternehmerschaft = Eigentümerschaft
Das Unternehmen kann zudem nicht zur persönlichen Bereicherung verkauft werden und somit sozusagen in „Fremdeigentum“ geraten, zum Beispiel in die Hände eines Hedgefonds. Vermögensanteile verbleiben grundsätzlich im Unternehmen – und die Eigentümerschaft und die Kontrolle über das Unternehmen immer bei Menschen, die mit dem Unternehmen verbunden sind.