Logistik & Supply Chain

Riskante Schnittstellen

Interview mit Qualitäts-Experte Jürgen Ortlepp über Compliance-Anforderungen

07.06.2013 -

Im Umgang mit Gefahrstoffen haben Unternehmen eine Vielzahl von Regularien zu erfüllen. Bei Missachtung drohen empfindliche Strafen. Jürgen Ortlepp, Bereichsleiter für Qualitätsmanagement, Sicherheit und Gefahrgut sowie für Schulung und Beratung beim Logistikdienstleister Infraserv Logistics, erklärt im Gespräch, wie Firmen ihren Compliance-Anforderungen nachkommen und Haftungsrisiken vermeiden können.

CHEManager: Bei der Lagerhaltung und beim Handling von Gefahrstoffen gilt es zahlreiche Gesetze und Verordnungen einzuhalten. Welche sind das und wer muss sie beachten?

Jürgen Ortlepp: Hersteller, Logistiker, Zwischenhändler oder industrielle Abnehmer unterliegen in Deutschland etwa der Gefahrstoffverordnung, dem Chemikaliengesetz sowie auf europäischer und internationaler Ebene zum Beispiel der REACH-Verordnung. Allein in unsere internen Regelwerke fließen über 500 relevante Regularien ein.

Haben Sie ein Beispiel dafür, wo und wann solche Verordnungen greifen?

Jürgen Ortlepp: Essigsäureanhydrid ist eine gängige Chemikalie, die als Grundstoff für Arzneien, Farbstoffe, Kosmetika oder Klebstoffe dient. Weil man sie aber auch benutzt, um aus Opium Heroin herzustellen, unterliegt sie dem Grundstoffüberwachungsgesetz. Wer also mit Essigsäureanhydrid umgeht, muss prüfen, ob er beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) anzeigepflichtig ist. Dort würden dann Angaben zu Mengen, Anwendungszwecken und zur Bilanzierung erwartet.

Was passiert, wenn Unternehmen solchen Compliance-Pflichten nicht nachkommen?

Jürgen Ortlepp: Im schlimmsten Fall könnte ein Organisationsverschulden unterstellt werden, für das die Geschäftsführung persönlich haftbar gemacht werden kann. Es drohen empfindliche Geld- oder sogar Haftstrafen.

Wie kann sich die Firmenleitung vor solchen Risiken schützen?

Jürgen Ortlepp: Die Geschäftsführung, respektive das Unternehmen hat ein System mit Regelkreisen zu implementieren. Dabei spielt Delegation eine entscheidende Rolle. Es reicht aber nicht, einem Verantwortlichen die Pflichten nur zu übertragen. Dieser muss auch über die nötige Sachkunde, Methodenkompetenz und vor allem über die Ressourcen und Befugnisse verfügen, seine Aufgaben zu erfüllen. Zudem müssen die Pflichtübertragung dokumentiert und der Pflichtnehmer regelmäßig überwacht werden.

Logistikketten haben oft viele Beteiligte. Was muss hier jeweils bei der Verantwortungsübergabe beachtet werden?

Jürgen Ortlepp: Jede Schnittstelle ist ein Ansatzpunkt für Risiken. Deshalb müssen die Gefahrenübergänge sehr klar definiert und vertraglich geregelt sein. Im Zweifel kann dies bis auf die Ebene von Rohrleitungen oder Ventilen führen. Entscheidend ist, die Anforderung an Umfang und Güte der Dokumentation eindeutig festzulegen, um ein „Handshaking" der Dokumente zu gewährleisten.

Wie können sich die Beteiligten absichern?

Jürgen Ortlepp: Sinnvoll ist in jedem Fall eine Risikoanalyse der gesamten Supply Chain. In diesen Prozess sollten alle Stakeholder einbezogen sein. In einem zweiten Schritt sollte ein Vollständigkeitscheck der relevanten Regularien erfolgen. Das heißt, alle Beteiligten eruieren, welche Gesetze und Verordnungen sie erfüllen müssen. Ist am Ende alles zusammengetragen und jeder weiß, was er zu tun hat, können angemessene Maßnahmen zur Umsetzung definiert werden. Wenn die Umsetzung der Maßnahmen wirksam erfolgt und verifiziert wurde, kann eine Logistikkette hinsichtlich der Einhaltung der Compliance-Anforderungen als ausreichend sicher angesehen werden.

Macht es Sinn, sich bei solchen Prozessen externe Hilfe zu holen?

Jürgen Ortlepp: Unbedingt. Wenn sich die Stakeholder ein Gesamtbild ihrer Risiken machen und dabei sukzessive ins Detail gehen, ist es hilfreich einen Moderator an der Seite zu haben. Ich empfehle in solchen Fällen, einen möglichst neutralen Begleiter zu wählen. Zahlreiche Beratungshäuser bieten solche Dienste an - auch unser Unternehmen, wobei unser Fokus nicht auf der Rechtsberatung, sondern ausschließlich auf der operativen Prozessanalyse in der Chemielogistik liegt

Welchen Unternehmen raten Sie zur Risikoanalyse?

Jürgen Ortlepp: Große Chemie- oder Pharmaunternehmen sowie branchennahe Dienstleister kennen sich in ihrem regulatorischen Umfeld in der Regel sehr gut aus. Sie verfügen auch über entsprechende Kapazitäten, um sich auf neue Anforderungen schnell und sicher einzustellen. Kritischer ist es bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. Ihnen fehlen oft die fachlichen Ressourcen und eine organisatorische Struktur, die sich mit Compliance-Fragen adäquat auseinander setzt und geeignete Lösungen findet. Und Logistikdienstleister haben nicht immer die entsprechende Erfahrung im Umgang mit Chemikalien. Mein Motto lautet daher immer: Vor dem Handeln sollte der erste Schritt immer ein analytischer Blick auf die Prozesse und alle daraus sich ableitenden Anforderungen sein.

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