Anlagenbau & Prozesstechnik

Raman-Spektroskopie im Werkzeugkasten der Prozessanalysentechnik

Vom Labor bis ins Feld

18.10.2023 - Die Implementierung der Raman-Spektroskopie in die PAT funktioniert: per Scale-up können die Geäte vom Labor über Pilotanlagen bis in den Prozess integriert werden.

Die Produkt- und Prozessentwicklung in der chemischen Industrie beginnt im Labor, dann werden die Prozesse schrittweise auf größere Technikumsanlagen, Pilotanlagen und schließlich Produktionsanlagen hochskaliert. Bei Evonik ist mit der Raman-Spektroskopie ein optisches Messverfahren im Einsatz, das vom Labor bis in den Prozess universell und durchgängig zum Einsatz kommt und sich für eine Vielzahl verschiedener Prozesse eignet.

Evonik Industries stellt weltweit Spezialchemikalien her. Parallel zu den produzierenden Divisionen des Unternehmens ist die Division „Technology and Infrastructure“ ein Treiber für Innovation und Digitalisierung im produktionsnahen Umfeld. Hier ist auch die Prozessanalysentechnik (PAT) angesiedelt, die mit der Raman-Spektroskopie von Endress+Hauser eine effiziente und vielversprechende Mess­technologie identifiziert hat, die erfolgreich vom F&E-Labor bis in den Produktionsprozess eingeführt wurde.

Initiative „Lab to Process“

Inline-spektroskopische PAT wurde bis dato primär in bestehende Produktionsanlagen installiert und genutzt. Der Prozess der Produkt- und Prozessentwicklung startet in der Regel im kleinen Maßstab im F&E-Labor. Von dort aus werden die Verfahren in den nächsten Entwicklungsschritten auf Pilotanlagen hochskaliert, bis der Roll-out in großen Produktionsanlagen erfolgt. Bei Evonik sah man ein großes Potenzial darin, PAT bereits gezielt in den F&E-Laboren einzusetzen und nicht erst im finalen Produktionsprozess zu etablieren. Im Jahr 2016 gab es daher bei Evonik eine Initiative mit dem Namen „Lab to Process“. Ziel der Initiative war es, PAT-Technologien zu identifizieren und zu erproben, die sich dazu eignen, den Entwicklungs- und Optimierungsprozess zu begleiten sowie dessen Effizienz zu steigern und die auch im Produktionsprozess zum Einsatz kommen können. Neben der Effizienzsteigerung sollte die gesuchte Technologie auch Kosten im Prozess einsparen.

Die Herausforderung: Die eingesetzte PAT-Technologie sollte universell und flexibel einsetzbar sein, damit sie bei der Prozessentwicklung für unterschiedlichste Chemikalien, Aggregatzustände und Prozessbedingungen eingesetzt werden kann.

 

PAT in der Prozessentwicklung

Die Technologie muss in der Prozess­entwicklung flexibel bei der Implementierung sein, denn in der oft nur wenige Monate dauernden Entwicklungszeit ist Zeit Geld. Messstellen müssen möglichst schnell umgesetzt werden können. Außerdem sollte die PAT modularisierbar und skalierbar sein, damit verschiedenste Messstellen abgedeckt werden können. Ein Augenmerk lag auch bei der Interpretierbarkeit der Daten: Anwender möchten z. B. beim Einsatz von spektroskopischen Verfahren auf den ersten Blick erkennen können, wie eine Reaktion abläuft. Chemometrische Modelle müssen einfach zu erstellen sein, um aus Spektraldaten die benötigten chemischen Informationen wie z.B. Konzentration oder Produktqualität in Echtzeit ablesen zu können.

All diese Punkte sind in der Raman-Spektroskopie von Endress+Hauser verwirklicht. Die Systeme ermöglichen Flexibilität bzgl. der Einbausituationen, bedingt durch die Anbindung an Lichtwellenleiter. Die eingesetzten Raman-Systeme sind außerdem u.a. durch verschiedene Sondentypen hoch modularisierbar und verfügen über bis zu vier unabhängige Kanäle, mit denen entsprechend viele Messstellen realisiert werden können. Die Spektren können dank der Unterstützung aller gängigen chemometrischen Programme vielseitig, einfach und schnell direkt auf dem Spektrometer ausgewertet werden. „Bei Raman-Spektren hat man häufig das Glück, isolierte Peaks einzelnen Substanzen im Gemisch zuordnen zu können. Das reduziert den Kalibrieraufwand erheblich und führt schnell zu quantitativen Ergebnissen. Im Gegensatz dazu sind NIR-Spektren manchmal nicht mit bloßem Auge zwischen Substrat und Produkt im Reaktionsgemisch zu unterscheiden“, sagt Andreas Ohligschläger, PAT-Ingenieur bei Evonik.

 

 „Bei Raman-Spektren hat man häufig das Glück, isolierte Peaks einzelnen Substanzen im Gemisch zuordnen zu können."

Andreas Ohligschläger, PAT-Ingenieur, Evonik

 

Vorteile der Raman-Spektroskopie

Bei der Prozessentwicklung führen die Raman-Systeme zu einer Reihe an Vorteilen: Diese sind Zeitersparnis, eine Steigerung der Effizienz und der Produktqualität sowie ein Know-how-Gewinn über die ablaufende Reaktion. Weil die quantitativen und qualitativen Inline- und Echtzeitmessungen im Vergleich zur manuellen Probenahme kontinuierlich 24/7 an verschiedenen Stellen im Prozess durchgeführt werden, kann auch zu Zeitpunkten gemessen werden, an denen man dies vorher nicht gemacht hätte – eine manuelle Probenahme und Laboruntersuchung wäre schlichtweg zu aufwändig gewesen. Während der Prozessentwicklung und -optimierung können die Geräte im Rahmen von Machbarkeitsstudien unter Prozessbedingungen getestet werden. Dies macht es einfacher und effizienter, die geeignete PAT für die jeweiligen Prozesse auszuwählen und einen Technologietransfer vom Labor bis in den Prozess durchzuführen, was zu einer Reduzierung der Time to Market führt. Auch die Sicherheit des Personals und der Anlage wird weiter erhöht, wenn manuelle Probenahmen auf ein Minimum reduziert werden können.

 

Einsatz in Prozessentwicklung und -optimierung

Bei Evonik wurde die Raman-Spektroskopie bspw. in der ersten Pilot­anlage zur Entwicklung und Optimierung von Hydrierprozessen angewendet. Die Raman-Sonde wurde in eine 6-mm-Rohrleitung eingebaut, somit sind die Dimensionen deutlich kleiner als in den Produktionsanlagen. Vor dem Einsatz der Raman-Technologie wurden täglich manuell Proben zur Analyse über NMR-Spektroskopie gezogen. Mit der Raman-Spektroskopie konnten die Mitarbeitenden auf Probenahmen verzichten und erhielten Inline-Messungen im Minutentakt, wodurch dann ein Monitoring des gesamten Hydrierprozesses möglich wurde. Durch diese sehr engmaschige Untersuchung war man in der Lage, die Auswertung der einzelnen Versuche viel detaillierter durchzuführen. Hinzu kommt eine deutliche Zeit- und Kostenersparnis, weil Laborauswertungen fortan entfallen. Besonders bei Pilotanlagen mit geringem Volumen ist ein weiterer Vorteil der Raman-Messung, dass die Zusammensetzung des Systems nicht durch Probenahmen beeinflusst wird.

Produktionsanlage unter ATEX-Bedingungen

In Produktionsanlagen herrschen jedoch andere Bedingungen als in Labor- und Technikumsanlagen. Roland Peschke, PAT Experte bei Evonik Oxeno, sagt: „Besonders im rauen Umfeld der Prozessanlagen und unter Berücksichtigung der dort geltenden ATEX-Bestimmungen sind die Anforderungen an PAT-Messsysteme sehr herausfordernd.“ Dies bedeutet, dass prozesstaugliche und robuste PAT gefragt ist. Im Jahr 2017 wurde die Endress+Hauser Raman-Technologie bei Evonik erstmals in einer Produktionsanlage zur Herstellung von Oxo-Alkoholen eingesetzt. Hier kommt neben dem Raman-Rxn2-Analysator und den Raman-Sonden ein sicherheitsgerichteter Vibronik-Grenzstandschalter (Liquiphant) zum Einsatz. Dieser stellt sicher, dass sich im Laserstrahl der Raman-Sonde niemals ein möglicherweise zündbares und explosionsfähiges Gasgemisch bilden kann. Peschke berichtet außerdem, Evonik habe in Kooperation mit Endress+Hauser seitdem den Prozess der Inbetriebnahme optimiert, um den Aufwand für die Prozessingenieure zu reduzieren. Der Nutzen der Raman-Technologie kann derweil 1:1 vom Labor über die Technikumsanlagen in die Produktionsanlagen übertragen werden. Die Raman-Daten werden gar zur Stabilisierung und Optimierung der Reaktion für die Regelung und Prozesssteuerung eingebunden.

 

„Im rauen Umfeld der Prozessanlagen sind die Anforderungen an PAT-Messsysteme besonders herausfordernd."

Roland Peschke, PAT Experte, Evonik Oxeno

 

Raman-Spektroskopie – etabliertes PAT-Werkzeug bei Evonik

Die Zusammenarbeit der Evonik mit Endress+Hauser in Bezug auf Raman-Spektroskopie startete 2016 mit dem Ziel, Lösungen zu finden, um die PAT in der Prozessentwicklung frühzeitig einzubinden. 2017 konnte dann die erste Installation in einer Produktionsanlage vorgenommen werden. Bei Evonik konnte nachgewiesen werden, wie gut die Implementierung der Raman-Spektroskopie funktioniert und dass die Geräte per Scale-up vom Labor über Pilotanlagen bis in den Prozess integriert werden können. Inzwischen sind bei Evonik in Deutschland 16 Geräte mit mehr als 50 Messstellen im Einsatz. Seit Beginn der Kooperation konnten ca. 50 % der optischen Messaufgaben mit Raman-Spektroskopie gelöst oder sub­stituiert werden. Laut Roland Peschke hat sich die Raman-Spektroskopie über die letzten Jahre zu einem sehr wichtigen und mächtigen Werkzeug in Evo­niks PAT-Toolbox entwickelt. Interne Veröffentlichungen bei Evonik haben derweil zu einem großen Interesse und zu einer steigenden Nachfrage nach der Technologie geführt. „Entlang des gemeinsamen Kooperationspfades wurden für Evonik maßgeschneiderte Rahmen- und Serviceverträge geschlossen und auch der technische Service von Evonik für Instandhaltungsmaßnahmen mit eingebunden. All dies diente dazu, dem beidseitigen Commitment gerecht zu werden, Anschaffungs- und Unterhaltungskosten der Raman-Geräte an die geringer ausfallenden Kosten der komplementären Messtechnik der NIR-Spektroskopie anzunähern“, so Peschke weiter. Mit Blick auf die bevorstehenden Verhandlungen der Anschlussverträge sieht Peschke eine große Herausforderung darin, diesem Commitment auch in Zukunft bei einer angespannten Weltwirtschaftslage in gleichem Maße gerecht zu werden.

Effizienzsteigerungen durch Raman-Spektroskopie

Nach fünf Jahren der Zusammenarbeit der Evonik PAT mit Endress+Hauser in Sachen Raman-Spektro­skopie lässt sich das Fazit ziehen, dass die Technologie das PAT-Portfolio bei Evonik signifikant ergänzt. Durch Standardisierung und Modularisierung ist es heute möglich, dass Raman-Spektroskopie fast in jeder Pilot- oder Prozessanlage in­stalliert werden kann. Weiter wird die Flexibilität der Technologie gelobt, so sind z.B. Prozessentwicklungen mit wechselnden Aufgabestellungen und Messstellen problemlos möglich. Durch die frühzeitige Einbindung der Messtechnik während der Prozessentwicklung kann die bestmögliche Technologie frühzeitig ausgewählt und eingesetzt werden, gleichzeitig werden Effizienzsteigerungen und eine Kostenreduktion in der Prozessentwicklung sichtbar. In der Vergangenheit war der Einsatz in ATEX-Anwendungen herausfordernd, heute ist er dank Standardisierung und Zertifizierung mit vertretbarem Aufwand möglich. Bisher setzte die Evonik PAT bei der Instrumentierung mit Raman-Spektroskopie ihren Schwerpunkt noch auf den deutschsprachigen Raum. Nun wird die Technologie mit Unterstützung von Endress+Hauser auch weltweit in den ersten Produktionsanlagen ausgerollt.

Autoren: Antonella Colucci, Product ­Manager Optical Analysis und Florian Kraftschik, Marketing ­Manager Communication; Endress+Hauser Deutschland, GmbH+Co. KG, Weil am Rhein

 

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