Pharmaindustrie in Deutschland: Steigende Nachfrage, hoher Cashflow
13.09.2011 -
Steigende Nachfrage, hoher Cashflow. Pharmawerte trotzen Finanzkrisen, Konjunktureinbrüchen und hohen Energiepreisen. Wann immer Unternehmer und Manager in diesen Tagen zusammentreffen – die Subprime-Krise und ihre Folgen ist das sorgenbeladene Thema Nummer eins. Als sich Ende Oktober in Berlin die Spitzen der internationalen Pharmabranche zur Verleihung des Prix-Galien, des sogenannten „Nobelpreises für innovative Arzneimittel“, versammelten, war entgegen dem allgemeinen Trend von schlechter Stimmung allerdings wenig zu spüren. Finanzdesaster und Konjunkturabschwung berühren die Hersteller von Medikamenten und Arzneimitteln von allen Industrien am wenigsten.
Erstmals seit vielen Jahren liegen Pharmaaktien in ihrer Wertentwicklung über dem Gesamtmarkt. Noch in den letzten zwölf Monaten hatten Anleger nur wenig Freude an ihren Investments. Doch als es ernst wurde an den Märkten und der Bloomberg-World-Index z. B. bei der ersten Schockwelle am 24. September fast 22 % einbüßte, verlor der Bloomberg Wold Pharma Index „nur“ 12,5 %. Einzelne Papiere konnten sogar deutlich zulegen. Bei der Talfahrt der Börsen ab dem Jahr 2000 war es ähnlich gewesen.
In einem schwierigen gesamtwirtschaftlichen Umfeld spielen Pharma- und Gesundheitstitel ihre besonderen Stärken aus. Dazu gehören der hohe Cashflow beziehungsweise die hohen Eigenkapitalausstattung und die gleichzeitig geringe Konjunkturanfälligkeit dieser Branche (siehe Kasten). „Menschen werden nun mal immer krank, ob die Wirtschaft gut läuft oder nicht“, sagt Holger Geißler, Fondsmanager bei der DWS. Auch gestiegene Energiekosten, die als Renditekiller Nummer eins gelten, spielen bei der Produktion von Arzneimitteln und Diagnostika kaum eine Rolle.
Langfristig sind es vor allem die positiven Markterwartungen, die Pharmawerte im Ansehen von Analysten steigen lassen. Dazu zählt vor allem die weltweit zunehmende Nachfrage nach Pharmaprodukten und Medizintechnik. Schrittmacher dieser Entwicklung sind vor allem der demografische Wandel und der Wirtschaftsaufschwung in den sogenannten E7-Ländern Brasilien, China, Indien, Indonesien, Mexiko Russland und der Türkei.
Aber auch in den entwickelten Industrieländern ist mit Zuwächsen zu rechnen, wobei die Experten des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Instituts neben einer mengenmäßigen von einer starken qualitätsorientierten Nachfrage ausgehen, die neue Verfahren und eine höhere Produktdifferenzierung einschließt. Gesundheit werde, so heißt es in einer Studie, vor allem bei steigenden Einkommen zum „superioren Gut“. Und nicht zuletzt führt auch die Zunahme der Lebenserwartung zu einem weiter steigenden Bedarf an Gesundheitsleistungen.
Der Umsatz der Pharmaindustrie wird sich laut einer Studie der Unternehmensberatungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers bis zum Jahr 2020 auf weltweit rund 1,3 Billionen US-$ mehr als verdoppeln. Das HWWI ermittelte sogar ein deutlich höheres Potential. Demnach soll der Pharmaumsatz bis 2015 auf rund 1,1 und bis 2020 auf rund 1,7 Billionen US-$ steigen (siehe Grafik). Zudem ist mit einer höheren Wertschöpfung zu rechnen, da die Pharmaindustrie die Forschungs- und Entwicklungsprozesse signifikant verkürzen will. Wenn z. B. die Erfolgsraten neuer Medikamente ansteigen, verringert sich die Kostenbelastung durch klinische Studien.
Deutschland gilt als einer der wichtigsten Pharmamärkte. 4,52 Mrd. € betragen allein hierzulande die Aufwendungen in Forschung und Entwicklung. Das heißt: Mehr als 12 Mio. € investieren die forschenden Pharma-Unternehmen jeden Tag in die Entwicklung neuer Medikamente. 31 neue Wirkstoffe wurden letztes Jahr in Deutschland zugelassen. Dabei lag der Schwerpunkt auf schweren und chronischen Krankheiten: Diabetespatienten können ihren Blutzuckerspiegel jetzt sicherer senken, Aids-Viren können effektiver in Schach gehalten werden, und gegen eine Reihe seltenerer Krankheiten gibt es das erste Mal medikamentöse Therapien. Auch verschiedene Krebsarten lassen sich wirksamer behandeln. Über 350 Projekte befinden sich zurzeit in den Pipelines, die die Aussicht haben, bis Ende 2011 zur Zulassung zu kommen.
Die Zahl der Patentanmeldungen im Pharmabereich ist in Deutschland in den letzten Jahren stärker angestiegen als in konkurrierenden Standorten, etwa England oder Frankreich. Bei kommerziellen klinischen Studien steht Deutschland seit 2007 sogar auf Platz eins in Europa. Und bei der Produktion biotechnologischer Arzneimittel ist Deutschland, dank der hohen Investitionen von forschenden Pharmaunternehmen in den Ausbau bereits bestehender Anlagen, weltweit nach den USA auf Platz zwei vorgerückt.
Dass der Prix Galien – nach 1994 zum zweiten Mal – nun wieder einmal in Deutschland verliehen wurde, wusste Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung und Schirmherrin der Veranstaltung, als besondere Referenz an den Pharma-Standort Deutschland zu deuten.
Doch jede Medaille hat bekanntlich zwei Seiten. Kein anderer Wirtschaftszweig hat mit so hohen bürokratischen Hürden zu kämpfen wie hierzulande die Pharmabranche. Für Professor Dr. Thomas Straubhaar (HWWI) zählen dazu vor allem „die hohe und sich zum Teil widersprechende Regulierungsdichte sowie ineffiziente Antrags- und Genehmigungsverfahren“. Den globalen Siegeszug wird dies nach Einschätzung der Experten allerdings nicht aufhalten, sondern allenfalls zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Der global orientierte Anleger und Investor jedenfalls kann auch in turbulenten Zeiten mit gesunden Erträgen rechnen.
Stabile Pharma-Werte
Die Nachfrage nach medizinischen Gütern ist weitgehend unabhängig von der Konjunktur. Deshalb gelten Pharmaaktien als „defensiv“. Sie sind für kurzfristige wirtschaftliche Abschwünge weniger anfällig als andere Werte.
Das Gesundheitswesen ist ein Wachstumsmarkt. Mit steigender Lebenserwartung, die nicht zuletzt einer qualitativ hochwertigen Versorgung mit Arzneimittel zu verdanken ist, steigt auch die Nachfrage nach Medikamenten verstärkt an.
Pharmaaktien profitieren von den Innovationen einer Hightech- Branche. Neue Therapien, verbunden mit neuen und besseren Arzneimitteln, treffen auf eine starke Nachfrage.
Manfred Godek, Monheim