Pharmafirmen greifen für Zukäufe tief in die Tasche
20.03.2012 -
Viele Pharmakonzerne haben Probleme, auslaufende Patente von Medikamenten durch neue Arzneimittel zu kompensieren. Das zwingt sie zu Zukäufen. Indem sie sich andere Firmen mit vielversprechenden Medikamentenkandidaten einverleiben, wollen sie Umsatzlöcher vermeiden. Aber verkaufswillige Firmen mit aussichtreichen Arzneikandidaten in der Entwicklung sind rar. Angesichts eines harten Bieterwettbewerbs bezahlen die Konzerne bei der Übernahme innovativer Pharma- und Biotechfirmen immer höhere Aufschläge. Es gebe zwar immer einen ständigen Fluss an Deals in der Gesundheitsbranche, sagte ein Banker, "der Unterschied ist jetzt allerdings, dass die Transaktionen eine panikhafte Qualität bekommen."
Nach Daten von Thomson Reuters bezahlten die Käufer von Biotechfirmen in den vergangenen fünf Jahren im Schnitt 44 % mehr, als die Firma an der Börse wert war. Das liegt deutlich über dem Durchschnitt aller Branchen, der bei 26 % lag. Allein im vergangenen Jahr lag der Preisaufschlag in der Gesundheitsbranche den Daten zufolge im Schnitt bei 35,2 %. Der Durchschnittswert aller Branchen betrug lediglich 30 %.
In Einzelfällen sind Pharmakonzerne sogar bereit, mehr als das Doppelte des Börsenwerts für Biotechfirmen zu bezahlen. So kündigte der US-Pharmariese Bristol-Myers Squibb an, die Biotechfirma Inhibitex für rund 2,5 Mrd. US-$ zu übernehmen. Inhibitex besitzt mit INX-189 eine Arznei zur Behandlung von Hepatitis C in der Entwicklungsphase II, mit der der US-Konzern seine eigene Hepatitis-C-Forschung gut ergänzen kann. Der Preis springt jedoch ins Auge: Die Offerte entspricht einem Aufschlag von 163 % auf den Inhibitex-Aktienkurs.
Diese Strategie ist nicht ohne Risiko: Kritische Stimmen verweisen darauf, dass Medikamentenkandidaten in der Entwicklungsphase II oft scheitern. Immerhin bedeutet für rund 28 % aller Medikamentenprojekte die zweite Stufe der klinischen Entwicklung das Aus. Falls der Kandidat durchkommt, steht die teuerste Phase III erst noch an, nach der am Ende ein Zulassungsantrag steht. Auch dann ist ein Scheitern noch möglich, wie etwa der Darmstädter Pharmakonzern Merck mit seiner Multiple-Sklerose-Tablette Cladribin schmerzlich erfahren musste.
Bristol-Myers ist nicht das einzige Unternehmen, das für neue Hepatitis-Wirkstoffe tief in die Tasche greift. Gilead, der weltgrößte Hersteller von Aids-Medikamenten, legt für die Biotechfirma Pharmasset 11 Mrd. US-$ auf den Tisch. Die Offerte enthält einen Aufpreis auf den Schlusskurs der Pharmasset-Aktie von immerhin 89 %.
Hohe Aufschläge sind nicht nur ein Phänomen der US-Pharmabranche. So kündigte Roche im vergangenen Oktober an, für rund 230 Mio. US-$ in bar die US-Firma Anadys Pharmaceuticals zu erwerben. Roche bezahlt das Dreieinhalbfache des letzten Anadys-Schlusskurses. Hauptprodukt der Firma ist das Hepatitis C-Medikament Setrobuvir, das aktuell in der klinischen Phase II getestet wird. Der Baseler Konzern hat mit Pegasys bereits ein umsatzstarkes Präparat gegen Hepatitis auf dem Markt und kann mit dem Zukauf seine Marktstellung ausbauen.
Auch auf anderen Therapiegebieten werden innovative Firmen umworben, wie die Meldungen der vergangenen Wochen zeigen. Amgen will das auf die Entwicklung von innovativen Krebsmedikamenten spezialisiert Biotech-Unternehmen Micromet erwerben und Roche bietet in einem noch andauernden Übernahmepoker 5,7 Mrd. US-$ für Illumina.