Pandemie als Beschleuniger der Digitalisierung
Interview mit Michael Hansen, Shell Energy and Chemicals Park Rheinland, über Digitalisierungsstrategien
Michael Hansen ist als Engineering Manager Mitglied der Geschäftsleitung des Shell Energy and Chemicals Park Rheinland. In dieser Funktion ist er für Digitalisierung, Innovationen und somit im Rahmen des Transformationsprozesses für die digitale Zukunft von Anlagen verantwortlich. Oliver Pruys hat sich mit dem 41-jährigen Ingenieur über die Digitalisierung unterhalten.
CHEManager: Ist die Corona-Pandemie ein Treiber oder Verhinderer für die Digitalisierung?
M. Hansen: Ein wirklicher Beschleuniger! Im Frühjahr 2020 mussten wir ja von heute auf morgen vieles digital ablaufen lassen. Gleichzeitig standen wir unter dem Druck, durch die Pandemie bedingte Umsatzeinbrüche mit Kosteneinsparungen zu kompensieren. Das hat Digitalisierungsinitiativen in den Bereichen Produktion, Engineering oder Instandhaltung massiv beschleunigt.
Was heißt das konkret?
M. Hansen: Die Zusammenarbeit der Mitarbeitenden haben wir über Microsoft Teams auf ein anderes Level gehoben. Gleichzeitig mussten wir Standardabläufe wie Team- oder Projekt-Meetings und Workshops in den virtuellen Raum verlegen, ohne dabei Mitarbeiter zu verlieren. Etwa mit virtuellen Coffee Calls. Das zweite Handlungsfeld betrifft die Produktion sowie die Betreuung der Anlagen im Bereich Instandhaltung und Engineering. Hier haben wir Wert daraufgelegt, Systeme mehr miteinander zu vernetzen.
Stichwort persönliche Vernetzung. Wie hat sich die Arbeitswelt der Menschen verändert?
M. Hansen: Sehr stark. Wir müssen künftig noch mehr dafür zu sorgen, dass Jobs von Zuhause genauso gut wie im Büro ausgeführt werden können. Das ändert aber nichts an dem Mehrwert, wenn man Ideen in Teams vor Ort entwickelt. Außerdem lassen sich viele Anlagen nur vor Ort betreiben. Ich gehe davon aus, dass das hybride Arbeiten zur Norm wird – mit all den Herausforderungen für den Führungsstil und die IT-Technologie. Außerdem braucht man moderne Räumlichkeiten, die diesen Mix erlauben.
Welche IT-Technologie kommt dabei zum Einsatz?
M. Hansen: Im Wesentlichen sind es drei Plattformen, die wir derzeit ausprobieren. Das ist einmal Open Artificial Intelligence, auf der wir die von uns entwickelten Modelle zur Verfügung stellen, zum Beispiel im Bereich der präventiven Wartung. Die zweite Plattform ist der Digital Twin, mit dem man verschiedenen Datenquellen in einem zentralen System so vernetzt, dass Anlagen virtuell optimal betrieben werden können.
Digital Twin heißt, dass wir Anlagen in virtueller Form als Zwilling haben?
M. Hansen: Ja, genau. Aber der digitale Zwilling ist mehr als eine reine 3D-Abbildung der Anlagen. Es geht darum, unzählige Datenquellen miteinander zu vernetzen. So erhalten wir einen möglichst schnellen Zugriff auf Information und können besser sowie schneller Entscheidungen treffen.
Welche Plattformen gibt es noch?
M. Hansen: Plattformen im Bereich Virtual Reality und Augmented Reality. Diese sind wichtig, um Projekte der Energiewende erfolgreich umzusetzen. Wir arbeiten zunehmend mit Firmen aus vielen Ländern und Kontinenten zusammen. Wir erwarten, durch Virtual Reality oder Augmented Reality ein viel besseres Design und letztendlich auch die kostengünstigere Verwirklichung von Projekten.
Welche Fähigkeiten haben diese Plattformen noch? Ein KI-System sollte erkennen, dass nächste Woche ein Ventil kaputt geht. Wo sind aber die Grenzen?
M. Hansen: Die Plattform für Künstliche Intelligenz kann in der Tat vorhersagen, ob ich einen Schaden an einer Maschine erwarte. Dafür benötigen diese Modelle aber Trainings und eine gute Betreuung durch Spezialisten. Es reicht nicht, einfach einen Knopf zu drücken. Es sind neue Kompetenzen erforderlich, die bei uns sukzessive ausgebaut werden. Und der Digital Twin? Der kann zwar Daten vernetzen, aber wir müssen schon selbst die Daten aufbereiten. Wissen Sie, man muss Daten genauso behandeln wie eine Anlage, die in der Industrie aus Eisen und Stahl gebaut ist. Aber dafür ist ein Umdenken und ein kultureller Wandel erforderlich.
Dritter Punkt: Augmented Reality …
M. Hansen: Man kann an einem 3D-Modell nah an der Realität über das Design einer Anlage Diskussionen führen. Dafür muss das Modell aber erst manuell mit bestehenden Systemen wie dem Digital Twin gekoppelt werden. Das ist eine Reise, die uns noch einige Jahre begleiten wird.
Welche Hürden sind bei diesem Digitalisierungsprozess noch zu nehmen?
M. Hansen: Von der Datenqualität habe ich schon gesprochen. Die zweite Hürde ist die Ausbildung in neue Techniken und Anforderungen. Es geht um den Umgang mit künstlicher Intelligenz, mit Daten, mit agilem Arbeiten und Design Thinking, um ein paar Stichworte zu nennen. Dafür hat Shell konzernweit eine Digital-Literacy-Kampagne gestartet, wo Mitarbeitende sukzessive diese Neuerungen erlernen und später im eigenen Berufsbereich anwenden können. Zudem sind wir natürlich laufend auf der Suche nach jungen Talenten, die mit uns die Zukunft gestalten wollen.
Werfen wir doch mal einen Blick auf die Glaskugel! Was sehen Sie in fünf Jahren für einen digitalisierten Energy and Chemicals Park Rheinland?
M. Hansen: Sie werden lachen, aber wir blicken tatsächlich in die Glaskugel. Wir versuchen unsere Teams mitzunehmen, in dem wir mit Bildern arbeiten. Wir versetzen uns in die Zukunft, erstellen Visionen, schreiben sogar fiktive Pressemitteilungen und arbeiten dann rückwärts. Gleichzeitig haben wir gelernt: Wir müssen wirklich groß denken. Gerade im Bereich Digitalisierung verläuft die Entwicklung exponentiell. Der Energie and Chemicals Park Rheinland ist für diese Denke ein sehr konkretes Beispiel. Schließlich gestalten wir den Wandel von einer althergebrachten Erdöl-Raffinerie hin zu einem Ökosystem für Innovationen und Energie.
Anlagen fit machen für die Transformation
Die Anlagen des Energy and Chemicals Park Rheinland am Standort Wesseling sind Mitte August für rund zweieinhalb Monate heruntergefahren worden. Hintergrund sind vorgeschriebene Instandsetzungs- und Wartungsarbeiten, die regelmäßig durchgeführt werden. Außerdem stellt der Park mit Investitionen wichtige Weichen für zukunftsweisende Energieprojekte. Für die Arbeiten kommen täglich zusätzlich bis zu 2.700 Fachkräfte ins Werk. Eine logistische Herausforderung.
Der Turnaround ist in festgelegten Abständen verpflichtend. Shell investiert dabei aber nicht nur in die Instandhaltung der Anlagen, sondern macht sie auch technisch fit, um sie im Rahmen der Transformation von der ehemaligen Rheinland Raffinerie zum Energy and Chemicals Park weiter betreiben zu können. Der 1.500-seitige Terminplan umfasst rund 65.000 einzelne Arbeitsschritte.
Die zusätzlichen Arbeitskräfte kommen aus nahezu allen Ländern Europas. Insbesondere Schweißer, Schlosser, Gerüstbauer und Isolierer kommen aus Osteuropa. Die verschiedenen Tag- und Nachtschichten während der Stillstandsarbeiten sind so aufeinander abgestimmt, dass es zu keinen größeren Ansammlungen oder Auswirkungen auf den Verkehr kommt. Für die Versorgung innerhalb des Werkgeländes ist auf einer Fläche von über 1.000 m2 eine zusätzliche Feldkantine mit zweizügiger Essensausgabe aufgestellt worden. Die Kantine hat eine Leistung von 1.000 Mahlzeiten in der Stunde. Um den Großstillstand unter Pandemiebedingungen sicher durchzuführen, wurde ein eigenes Sicherheits- und Hygienekonzept erstellt.