Ölpreis – Fluch oder Segen?
Auswirkungen des Ölpreisverfalls auf die Chemieindustrie
Aufgrund der weltweiten Überproduktion sank der Ölpreis seit Mitte 2014 um rund 70 %, allein seit Jahresbeginn 2016 ging er um ein Fünftel zurück (vgl. Grafik 1). Das klingt nach rosigen Zeiten für die deutsche Chemieindustrie. Doch die Entwicklung birgt auch Risiken.
„Die deutsche Chemie freut sich über niedrige Ölpreise“, sagt Dr. Henrik Meincke, Chefvolkswirt beim Verband der Chemischen Industrie (VCI). „Mit den Rohölpreisen sinken auch die Preise für Diesel, Benzin und Heizöl. Das stärkt die Kaufkraft der europäischen Konsumenten und stützt die Nachfrage nach Chemikalien“, erklärt Meincke.
Auch bei der Rohstoffbeschaffung profitiert die deutsche Chemieindustrie vom niedrigen Ölpreis. Um organische Basischemikalien, Zwischenprodukte oder Kunststoffe herzustellen, benötigt sie ca. 16 Mio. t Rohbenzin (Naphtha) pro Jahr. Das entspricht etwa einem Siebtel des gesamten deutschen Erdölverbrauchs. Im Jahr 2014 gab die deutsche Chemie rund 10 Mrd. EUR für Rohbenzin aus. 2015 und 2016 dürfte die Rohstoffrechnung der Branche um 2-3 Mrd. EUR niedriger ausfallen, schätzt Meincke.
Sinkende Chemikalienpreise kompensieren Kostenvorteil
Die Einsparungen wirken sich jedoch nicht unmittelbar und auch sehr unterschiedlich auf die Gewinne der einzelnen Chemieunternehmen aus. Je höher der „sichtbare“ Rohölanteil und je intensiver der Wettbewerb für ein Produkt, desto größer ist auch der Druck auf den Chemieproduzenten den Preisvorteil an seine Kunden weiterzugeben. Dies zeigt sich z.B. beim Blick auf die Entwicklung der Cracker-Margen in Europa (Grafik 2, Seite 20). Während die Margen in der zweiten Jahreshälfte 2014 durch den fallenden Ölpreises zunächst rasant stiegen, fielen sie schon kurze Zeit später wieder aufgrund der sinkenden Preise für Cracker-Produkte, wie Ethylen, Propylen oder Benzol.
Von dieser Entwicklung profitierten jedoch wiederum Hersteller von Basischemikalien, die den Kostenvorteil nur zeitverzögert an ihre Kunden in der Kunststoff- und Spezialchemie weitergaben. Dennoch war die Gesamtbilanz der deutschen Chemieindustrie im Jahr 2015 ernüchternd: Trotz höherer Produktionsmengen (+1 % ggü. Vj.) lag der Umsatz der Branche mit knapp 191 Mrd. EUR aufgrund sinkender Chemikalienpreise (-2,5%) auf dem Niveau von 2014. Für das laufende Jahr erwartet der VCI dagegen ein Umsatzplus von 1,5% auf 193,5 Mrd. EUR.
Überangebot an Öl drückt Weltmarktpreis
Grund für den massiven Ölpreisrückgang ist ein deutliches Überangebot auf den internationalen Märkten. Die USA sind in den vergangenen Jahren durch ihre Investitionen in die Fracking-Technologie zum weltgrößten Ölproduzenten aufgestiegen. Die OPEC produziert so viel Öl wie seit Jahren nicht mehr, um die Konkurrenz aus Nordamerika zu bekämpfen. Hinzu kommt die Rückkehr des Irans in den Markt. Das Land durfte aufgrund von Sanktionen über Jahre kein Öl exportieren und plant nun Exporte von 500.000 Barrel (rund 80 Mio. L) pro Tag.
Dies bringt nicht nur einige Schwellenländer in Schwierigkeiten. Russland, das die Hälfte seiner Staatseinnahmen durch den Export von Öl und Gas erwirtschaftet, droht ein weiteres Jahr der Rezession. Venezuela, das einen Ölpreis von über 100 USD benötigt, um seinen Staatshaushalt zu finanzieren, steht kurz vor der Insolvenz, und Saudi Arabien meldete im zweiten Jahr in Folge ein Rekorddefizit von rund 100 Mrd. USD. Während hierzulande 1 Liter Mineralwasser günstiger ist als 1 Liter Rohöl und sich Verbraucher über günstige Spritpreise freuen, erhöht Saudi Arabiens Regierung die Preise für Benzin und kürzt Subventionen für Wasser und Strom.
Ölproduzenten weltweit unter Druck
Ölproduzenten sind die offensichtlichen Verlierer der Ölpreisentwicklung. Ratingagenturen warnen davor, dass bereits weltweit für rund 120 Energiekonzerne ein erhebliches finanzielles Risiko bestehe. So kündigte z.B. der Shell-Konzern Mitte Januar Gewinneinbußen im vierten Quartal 2015 von 50 % an. Zwar hält der Konzern an der geplanten Übernahme der britischen BG Group fest, will aber im Zuge der Transaktion 10.000 Stellen abbauen. BP will unter dem Druck des Ölpreisverfalls im laufenden Jahr weltweit mindestens 4.000 Stellen abbauen, 800 davon an deutschen Standorten. Bei Chevron brach das Geschäftsergebnis im Jahr 2015 um drei Viertel auf 4,6 Mrd. USD ein. Im vierten Quartal schrieb der Konzern gar erstmals seit 13 Jahren rote Zahlen.
Gewinneinbruch bei der BASF
Ende Januar reihte sich auch BASF in die Serie der Gewinnwarnungen ein. Zwar bedeutet für das Unternehmen ein sinkender Ölpreis auch niedrigere Rohstoffkosten im Chemiegeschäft, gleichzeitig geraten jedoch die Margen der Öl- und Gassparte sowie des Petrochemiegeschäfts unter Druck. Während die in Kassel ansässige BASF-Tochter Wintershall im Jahr 2008, als der Ölpreis bei rund 150 USD lag, noch mehr als die Hälfte zum Konzerngewinn beitrug, war es 2014 nur noch ein Viertel.
BASF erwartet, dass die Öl- und Gaspreise 2016 auf niedrigem Niveau bleiben werden und nahm daher Wertberichtigungen von rund 600 Mio. EUR im Öl- und Gasgeschäft vor. Der Umsatz des Ludwigshafener Chemiekonzerns ging im Jahr 2015 um 5% auf 70,4 Mrd. EUR zurück. Das Unternehmen begründete dies mit dem Verkauf der Erdgashandels- und Erdgasspeicheraktivitäten an Gazprom. Der Einbruch des operativen Ergebnisses (EBIT) um 18% auf 6,2 Mrd. EUR ist dagegen auf die Wertberichtigung und die schwachen Margen im Petrochemiegeschäft zurückzuführen.
USA: Fracking-Industrie in der Krise
Auch die US-amerikanische Fracking-Industrie, die durch ihre massiven Investitionen in die Schieferöl-Fördertechnologie in den Jahren 2010 bis 2014 den weltweiten Öl-Boom forcierte, steht nun vor dem Abgrund. Zahlreiche der größtenteils familiengeführten Unternehmen droht die Insolvenz, denn die Ölförderung mittels der aufwändigen Technologie wird erst ab einem Preis von 40 bis 60 USD pro Barrel wirtschaftlich. Diese Entwicklung in den USA verbessert wiederum aktuell die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Chemieindustrie. Bis zum Jahr 2013 litt die europäische Chemie aufgrund des Schiefergas-Booms und der günstigen Gaspreise in den USA unter einem erhöhten Wettbewerbsdruck durch ihre US-Konkurrenten.
Und dennoch ist die Stimmung unter deutschen Chemiemanager vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen nur verhalten optimistisch: Zum einen gerät der Eurokurs durch den Ölpreisverfall unter Druck und ein schwacher Euro verteuert die Produkte der exportorientierten deutschen Chemieindustrie im Ausland, zum anderen destabilisiert der niedrige Ölpreis viele Regionen, darunter wichtige Absatzmärkten der deutschen Chemie.
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