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NRW-Schleusengipfel diskutiert über mehr Bedeutung von Wasserstraßen

Positives Grundrauschen schaffen für den Industriestandort und Klimaziele

21.03.2023 - Die Kanalinfrastruktur ist in einem Kraftakt mit gehörig Pragmatismus und Unterstützung von allen Seiten beschleunigt, ertüchtigt worden. Nach langen Jahren der Unterausstattung mit Personal und Finanzen fließen jetzt beständig und verlässlich Mittel in die Instandhaltung.

Erlauben Sie uns einen ungewohnten Einstieg… Es ist ein schöner Frühlingstag. Ein Binnenschiff gleitet über den Wesel-Datteln-Kanal. Die modernen Schleusen Friedrichsfeld und Hünxe hat es schon passiert. Über eine digitale Vorlaufsteuerung werden die Durchfahrt für die Binnenschiffe optimal organisiert und Wartezeiten reduziert. Die Kanalinfrastruktur ist in einem Kraftakt mit gehörig Pragmatismus und Unterstützung von allen Seiten beschleunigt, ertüchtigt worden. Nach langen Jahren der Unterausstattung mit Personal und Finanzen fließen jetzt beständig und verlässlich Mittel in die Instandhaltung. Für den Fall auftretender Probleme mit einzelnen Bauteilen liegen für eine schnellstmögliche Reparatur möglichst standardisierte Ersatzkomponenten parat.

Nur noch eine Schleuse in Dorsten liegt vor dem Binnenschiff. Dann folgen gut 6 km freie Fahrt bis zum Ziel, dem Chemiepark Marl. Die Binnenschifferin winkt dem entgegenkommenden Verkehr zu, einem dreilagig beladenen Containerschiff, das durch die vorgenommenen Brückenerhöhungen, die Land und Bund in guter Arbeitsteilung umgesetzt haben, mühelos den Kanal nutzen kann.

In Dorsten blickt die Schifferin lächelnd auf die stabilen Poller. Sie erinnert sich noch gut an die Zeit, als sog. Festmacher in mehreren Schichten rund um die Uhr am Schleusenrand standen und händisch die Taue entgegennehmen mussten, weil die alten Poller aus der Kaiserzeit bröckelten und keinen Halt mehr boten. Das ist glücklicherweise kein Thema mehr.
Die Entwicklungen bei der Kanalinfrastruktur erlauben mittlerweile, dass die Potenziale der Wasserstraßen, zusätzliche und neue Verkehre aufzunehmen, endlich ausgeschöpft werden. Das zeigt sich auch deutlich beim signifikant gestiegenen Anteil der Wasserstraße am Güterverkehr. Damit hat sie eine entscheidende Rolle dabei gespielt, dass die Verlagerungs- und Klimaschutzziele im Verkehrsbereich doch noch eingehalten werden konnten. Insbesondere, wenn man die gestiegenen Transportmengen in Verbindung mit Fortschritten bei der Antriebstechnologie sieht.
Mit ihrer Ladung wichtiger Rohstoffe für die chemische Industrie erreicht das Binnenschiff pünktlich den Hafen des Chemieparks Marl.

Die Verkehrsinfrastruktur war lange die Achillesferse für die Versorgung und Logistik dieses wichtigen Chemiestandorts. Jetzt bildet eine leistungsfähige Kanalinfrastruktur im Zusammenspiel mit Straße, Schiene und Pipelines ein resilientes System, über das klimaneutrale Rohstoffe und Energieträger zuverlässig geliefert und Produkte an die Partner in der Wertschöpfungskette weitergegeben werden können. Besonders die Lage von NRW im „Hinterland“, fernab der Seehäfen, macht es so bedeutsam, über gute Anbindungen zu verfügen und damit im globalen Wettbewerb als Indus­triestandort konkurrenzfähig zu sein.

Utopie oder Zielbild?

Klingt das nach Utopie? Nein, aus Sicht der Chemie muss genau dieses Zielbild im Mittelpunkt der Bemühungen um die Wasserstraßen, das Kanalnetz und letztlich die Infrastruktur insgesamt gelten. Modern, leistungsfähig, effizient ertüchtigt auf dem Wege eines beschleunigten Planungs- und Genehmigungsverfahrens und mit einer langfristig planbaren Ressourcenausstattung versorgt.

Das muss der Anspruch sein. Auch wenn wir wissen, dass der Teufel im Detail steckt und gerade Infrastrukturprojekte in Deutschland oft eine Generationenaufgabe darstellen. Wenn wir aber die Klimatransformation ernst nehmen, kann das nicht mehr der Maßstab sein.

Hohe Bedeutung der Wasserstraße

Als VCI NRW setzen wir uns seit Langem für die Wasserstraßen ein. In Deutschland werden rund 22 Mio. t/a chemischer Erzeugnisse auf Kanälen und Flüssen transportiert. Allein auf dem Wesel-Datteln-Kanal, als einer der wichtigsten deutschen Wasserstraßen, werden pro Jahr etwa 20.000 Schiffe geschleust. Kaum vorstellbar, die Transporte bei einem Ausfall des Wasserwegs über die Straße zu bewegen. Die erforderlichen 1,8 Mio. Lkw-Fahrten würden das Straßennetz im Ruhrgebiet vollends zum Kollaps bringen.

Intensives Engagement für die Kanal-Ertüchtigung seit 2019

Der Pollerausfall am Wesel-Datteln-Kanal im Jahr 2018 mit der Folge einer 50%igen Reduktion der Schleusungskapazitäten war deswegen ein Alarmsignal und gleichzeitig Startschuss für intensive Bemühungen, die Bedeutung der Wasserstraße für den Chemiestandort ins öffentliche Bewusstsein zu tragen und alle Bemühungen zu unterstützen, die Voraussetzungen für eine schnellstmögliche Ertüchtigung der Kanal­infrastruktur zu schaffen, bspw. über einen ersten „Schleusengipfel“ 2019 in Dorsten und Marl.

Im gemeinsamen Schulterschluss von Politik und Stakeholdern ist es gelungen, neue Stellen und mehr Haushaltsmittel für die NRW-Wasserstraßen zu sichern. Zudem ist in weiterer Folge mit dem Aktionsplan Westdeutsche Kanäle eine Art Leitlinie für eine systematische und abgestimmte Ertüchtigung des Kanalnetzes entstanden.

Schleusengipfel 2022 liefert viele neue Handlungs- und Ansatzpunkte

Dennoch sprechen wir weiterhin über Fertigstellungszeiten der Arbeiten, die an oder über die 2040 reichen. Insofern haben wir im Herbst 2022 mit einer digitalen „Schleusenstunde“ und mit einem abermaligen „Schleusengipfel“, dieses Mal im Düsseldorfer Landtag, neuerlich versucht, die Debatte um eine beschleunigte Ertüchtigung zu unterstützen.

Unser Ansatz: In einer offenen Diskussion mit Experten aus Landes- und Bundespolitik, Ministerien, Behörden, Kommunen, Wissenschaft und Wirtschaft Handlungs- und Ansatzpunkte zu sammeln, die die Modernisierung im Westdeutschen Kanalnetz unterstützen. Entstanden ist dabei die Ergebnisnotiz „Düsseldorfer Deklaration“ (abrufbar auf www.vci.de/nrw), die in 34 Stichpunkten u. a. in den Themenbereichen Kommunikation, Finanzausstattung, Fachkräfteeinsatz, Beschleunigung und Dialog Bausteine für eine beschleunigte Ertüchtigung auflistet. Dies als Grundlage und Input für die weitere politische Diskussion in NRW und im Bund.

Als Beispiele sind dabei zu nennen, etwa:

  • die Feststellung, dass man sich im Krisenmodus befinde und dementsprechend von gewohnten Pfaden abweichen muss, um eine realistische Chance zu haben, Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich zu beschleunigen und damit Nutzern der Wasserstraße klare Planungshorizonte zu eröffnen,
  • die Forderung nach einer konstanten, verlässlichen Finanzausstattung für die Wasserstraßen, um allen Akteuren – von der Wasserstraßenverwaltung bis zur Bauwirtschaft – langfristig Planungssicherheit zu geben,
  • die Definition von Bagatellkriterien, nach denen Anpassungen bei Ersatzneubauten vorgenommen werden dürfen, ohne dass dies zu zusätzlichen Verfahrensschritten führt,
  • ein klares und verbindliches politisches Signal zur hohen Bedeutung von Beschleunigung mit Wirkung bis in die Vollzugsebene, um Fachkräften in der Verwaltung den Rücken zu stärken, Entscheidungen im Sinne einer Beschleunigung zu treffen,
  • im Zusammenhang mit einer auch langfristig angespannten Fachkräftesituation, das vorhandene Personal bestmöglich einzusetzen. Dazu gehören effizientere Verfahren und die Reduktion von Rechtsstreitigkeiten und Prüfaufträgen. Wichtig ist in diesem Kontext zudem eine Strategie für die Übertragung von Erfahrungswissen ausscheidender Mitarbeitenden.

Weiter aktiv für Wasserstraßen werben

Die Teilnehmer des Schleusengipfels diskutierten ausführlich darüber, welche Möglichkeiten bestehen, diese Punkte in die bundespolitische Debatte einzubringen. Als Ansätze kamen dabei zur Sprache, den Vorsitz der Verkehrsministerkonferenz 2023 durch NRW zu nutzen und aus dem Landtag heraus eine fraktionsübergreifende Initiative anzustoßen.
Der Kreis schließt sich mit der Feststellung, dass letztlich ein „positives Grundrauschen“ zur Bedeutung des Verkehrsträgers Wasserstraße für den Wirtschafts- und Indus­triestandort und für unsere Klimaziele im Verkehrsbereich geschaffen werden müsse. Denn: Wenn eine solche Überzeugung in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion selbstverständlich geworden ist, wird der Weg bereitet, alle „harten“ Handlungspunkte – von der Straffung bei Planung und Genehmigung, Ressourcenausstattung, Fachkräftegewinnung und Öffentlichkeitsbeteiligung – erfolgreich zu bearbeiten.
Eine gute Kommunikation zur Bedeutung der Wasserstraßen für unseren Wohlstand und den Klimaschutz ist somit Voraussetzung für das Zielbild, das am Beginn dieses Artikels steht. Vielleicht kann auch dieser Artikel einen Beitrag dazu leisten, dass Binnenschiffe möglichst bald so reibungslos unsere Kanäle nutzen.

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