Forschung & Innovation

Neue Wirkstoffe aus dem Reinraum

Moderne Pharmaunternehmen gehören zu einer Branchen, für die die Wachstumsprognosen äußerst günstig sind

29.01.2022 - Die Markttrends in der Pharma­industrie – wie zunehmende Lebenserwartung, gekoppelt mit ­chronischen Erkrankungen, oder zunehmende Bewegungsarmut mit einer Zunahme an Diabetes und Fett­leibigkeit – treiben eine innovative Wirkstoffentwicklungen an.

Die Suche nach neuen Wirkstoffen gegen Krankheiten ist langwierig und kostenintensiv. Gerade jetzt während der Coronapandemie ist im Bereich der Entwicklung und der Pharmaproduktion die Arbeit unter kontrollierten Bedingungen in Reinräumen wichtiger denn je.

Produktion im Reinraum

In der Regel werden Arzneimittel in Reinräumen unter sterilen Bedingungen hergestellt, um Verunreinigungen auszuschließen. Dies umfasst alle wichtigen Schritte von der Herstellung der Formulierung über die Abfüllung, Gefriertrocknung und Endsterilisation bis hin zur visuellen Kontrolle des Produktes. In speziellen von außen abgeschirmten Containments, den Isolatoren, befindet sich die keimfreie und partikelarme Zone.

Für die Herstellung steriler Arzneimittel sind die Grenzwerte für die Kontamination durch Mikroorganismen und Partikelzahl der Raumluft durch Klassifizierung, Qualifizierung und Monitoring im Reinraum und durch eine Einteilung in vier Raumklassen (A–D) klar geregelt. Indem man Reinräume und Isolatoren mithilfe von Wasserstoffperoxid sterilisiert erreicht man dort kontrollierte keimarme Bedingungen. Eine andere, Reinigungsmethode ist die Sterilisation mit trockener Hitze, vor allem zur Sterilisation von Instrumenten und hitzestabilen Geräteteilen.

Dabei ist es wichtig, den Produktionsprozess als Ganzes im Blick zu haben und sämtliche Fehlerquellen auszuschließen. Schleusen dienen neben dem Wechsel von Arbeitskleidung der Trennung der Hygienezonen. Das Schleusenkonzept für das Personal umfasst Kleiderwechsel, Reinraumbekleidung sowie Luft-Dusche.

Je nach Luftreinheitsklasse des Einsatzbereiches und abhängig von der Art der zu kon­trollierenden Verunreinigungen sind im Reinraum spezielle Filter (HEPA/ULPA) zu verwenden. Dazu gehört ein professionelles Filterkonzept gegen luftgetragene Partikel und molekulare Verunreinigungen, das die Reinheit der Raumluft sicherstellt.

Das Raum- und Anlagendesign sollte glatte Oberflächen aufweisen, keine Partikelabgabe zulassen, leicht zu reinigen sein, die Installationen sollten verdeckt sein. Empfehlenswert ist darüber hinaus die Erarbeitung eines Hygienezonenkonzepts für alle Zonen im Betrieb, von der Fertigung über die Reinigung bis hin zur Verpackung.

Um eine sachgemäße Handhabung während der gesamten Prozesskette zu garantieren, wird ein GMP-gerechtes Qualitätsmanagementsystem implementiert, das der Gewährleistung der Produktqualität und der Erfüllung der Anforderungen der Gesundheitsbehörden bezüglich Wirksamkeit und Sicherheit dient. Die der guten Herstellungspraxis zugrunde liegenden Regularien stützen sich auf verschiedene Dokumente und Verordnungen, Staatsverträge, europäische Richtlinien und harmonisierte internationale Normen. Zum Monitoring, das routinemässig erfolgen muss, gehören z.B. die in halbjährlichen Abständen durchzuführenden Lecktests für HEPA (High Efficiency Particulate Airfilter) Filter.

Überwachung von Arzneimittelherstellern

Wenn eine Pharmafirma eine Arzneimittelzulassung bei der zuständigen Behörde beantragt hat, prüft diese die Studienergebnisse und erteilt dann dem Hersteller gegebenenfalls die Zulassung. Anforderungen, die sich aus dem Annex 1 des EU-Leitfadens einer guten Herstellungspraxis ableiten, werden kommentiert und interpretiert.

Nach der Zulassung der Medikamente beobachten der Produzent selbst wie auch die Behörden das neue Medikament weiter sehr aufmerksam. Denn vor der Zulassung können seltene Nebenwirkungen nicht erkannt werden. Erfahren die Hersteller von Nebenwirkungen oder Zwischenfällen bei der Anwendung, müssen sie das den Behörden mitteilen. Diese werden im Sinne der Patientensicherheit tätig.

Anhand von anonymen Auszügen aus Krankenakten, die Ärzte zur Verfügung stellen untersuchen die Hersteller zudem, wie sich das Präparat unter Alltagsbedingungen bewährt – auch bekannt als Anwendungsbeobachtungen. In weiteren Studien wird noch genauer untersucht, wie sich das Präparat bei speziellen Patientengruppen, etwa bei Diabetikern oder Herzkranken, bewährt. Oder es wird mit anderen Präparaten verglichen. Der Untersuchungszeitraum für ein Medikament nach seiner Erstzulassung wird auch als Phase IV bezeichnet.

 

Gesetzliche Grundlagen zur Herstellung und Zulassung von Arzneimitteln

Die Herstellung von Arzneimitteln ist streng reglementiert. Von der Planung für ein neues Medikament bis hin zur Zulassung dauert es in der Regel mehr als 13 Jahre; und weitere Jahre vergehen, bis es für alle Anwender zur Verfügung steht. Zudem wird strategisch festgelegt welche Zielorte (Targets) es im Körper haben und welche Strukturen und Eigenschaften es besitzen soll.

Nach diesen Eigenschaften wird im Zuge eines High-Troughput-Screening (HTS) gefahndet. Beim High-Throughput-Screening, dem Massentest, werden kleine Mengen von jeder Substanz mit jeweils einer kleinen Menge Target Moleküle vereint; ein Farbindikator zeigt an, wenn sich eine Substanz an das Target angelagert hat. Lediglich eine von im Schnitt 1.000 Sub­stanzen erfüllt die Anforderungen.

Im folgenden Schritt müssen die gefundenen Wirkstofftreffer noch optimiert werden, indem z.B. ihre Struktur geringfügig verändert wird. Im Vorfeld dieser Optimierungen werden häufig Computersimulationen eingesetzt, mit deren Hilfe sich der Effekt einer chemischen Umlagerung abschätzen lässt. Die überwiegende Mehrzahl der Strukturen scheiden nach dem Screening aus. Nur jene Kandidaten, die die Sicherheitsprüfungen überstehen, können in die klinischen Studien eingeschleust werden.

Arzneimittel bestehen aus einem Wirkstoff sowie pharmazeutischen Hilfsstoffen. Die Hilfsstoffe beeinflussen die Stabilität des Wirkstoffs und dessen Freisetzung, sodass der Wirkstoff am benötigten Wirkort in einer optimalen Dosis über einen ausreichenden Zeitraum zur Verfügung steht. Als Hilfsstoffe dienen ausschließlich Stoffe, die im Arzneibuch gelistet sind und die dort geforderte Qualität aufweisen.

Pharmabetriebe benötigen eine Herstellungsgenehmigung, um sicherzustellen, dass ein Arzneimittel die rechtlichen Anforderungen in Bezug auf die Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit erfüllt  (Richtlinie 2001/83/EG, Verordnung (EU) Nr. 1235/2010 des Europäischen Parlaments und Verordnung (EG) Nr. 726/2004). Für die Herstellung muss eine geeignete Produktionseinrichtung sowie Sachkunde und Zuverlässigkeit nachgewiesen werden. Die Arzneimittelherstellung muss in Übereinstimmung mit der Good Manufacturing Practice, Vertriebs- und Pharmakovigilanz-Praxis erfolgen [1]. Pharmakovigilanz bezieht sich auf die Überwachung der Sicherheit von Arzneimitteln, sobald diese zugelassen und auf den Markt gebracht worden sind. Die Aktivitäten im Bereich der Pharmakovigilanz zielen auf die Vermeidung, Erkennung und Beurteilung jeglicher Nebenwirkungen von Arzneimitteln. Hierzu gehören die Erfassung und Auswertung von Daten, aber auch die Ergreifung von Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Patienten. Pharmakovigilanz wird geregelt durch die Verordnung (EG) Nr. 726/2004 in der Verordnung (EG) Nr. 1235/2010.

Genehmigungsverfahren zur Markt­zulassung

Die Europäischen Arzneimittelvorschriften unterscheiden zwischen EU-Zulassungen für das Inverkehrbringen (zentralisiertes Verfahren) und einzelstaatlichen Genehmigungen für das Inverkehrbringen (nationales Zulassungsverfahren) von Medikamenten.

Im Rahmen des zentralisierten Verfahrens wird nach der Einreichung eines Antrags bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA durch die Europäische Kommission eine Genehmigung für das Inverkehrbringen in der EU erteilt. Die EMA koordiniert die Bewertung der Qualität, der Sicherheit und der Wirksamkeit von Arzneimitteln. Sie bietet außerdem eine wissenschaftliche Beratung von Pharmaunternehmen zu den Tests und Studien an, die die Hersteller durchführen müssen, und leitet sie bei ihren Programmen zur Entwicklung von Arzneimitteln an.

Einzelstaatliche Genehmigungen werden von den Mitgliedstaaten über die zuständigen nationalen Behörden erteilt, mit Ausnahme von Arzneimitteln, die gemäß der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zugelassen werden. Einzelstaatliche Genehmigungen für mehr als einen Mitgliedstaat können über das dezentralisierte Verfahren und über das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung erlangt werden. Wenn ein aussichtsreicher Wirkstoff gefunden wurde, meldet der Hersteller ihn zum Patent an. Als „Wirkstoffkandidat“ geht er in die vorklinische Entwicklung, wo ihm ein langer Weg zur Zulassung als Medikament bevorsteht.

Vorklinische Studien

Ehe ein Wirkstoffkandidat an Menschen erprobt werden kann, muss er ein umfassendes Testprogramm bestehen: die vorklinische Entwicklung. Dazu gehören insbesondere Tests auf mögliche schädliche Wirkungen:
Wann immer möglich, werden präklinische Tests im Reagenzglas durchgeführt, also etwa an Zell- und Gewebekulturen oder isolierten menschlichen Organen. Doch sind all diese Testsysteme nicht imstande, das komplexe Zusammenspiel aller Teile des lebenden Körpers nachzuahmen. Viele Fragestellungen lassen sich nur in Tests an einem lebenden Gesamtorganismus klären – und dafür sind Tierversuche nötig. Überdies lassen sich auf dieser Ebene schädliche Nebenwirkungen eines  Wirkstoffs identifizieren, ehe er beim Menschen angewendet wird.

 

Klinische Entwicklung: Erprobung mit Menschen bis hin zur Zulassung

In klinischen Studien wird der Wirkstoffkandidat erstmals an Menschen getestet. Dabei unterscheidet man drei aufeinander aufbauende Studienphasen, die jeweils genehmigt werden müssen.

  • Phase I – Erprobung mit wenigen Gesunden (den Probanden)
  • Phase II – Erprobung mit wenigen Kranken
  • Phase III – Erprobung mit vielen Kranken

Danach kann bei positiven Ergebnissen die Zulassung der Medikamente beantragt werden.

Phase I

In Phase I wird der Wirkstoffkandidat zunächst an gesunden Probanden getestet. Selbstredend lässt sich auf dieser Stufe nicht feststellen, ob er wirkt. In bis zu 30 aufeinander folgenden Studien wird vielmehr erst einmal geprüft, ob sich die Vorhersagen aus den Tierversuchen bzgl. Aufnahme, Verteilung, Verwertung und Ausscheidung am Menschen bestätigen.
Zudem wird die Darreichungsform (Galenik), mit der aus dem Wirkstoff das eigentliche Medikament wird, wie Tabletten, Kapseln Salben, etc. überprüft, welche vor der Zulassung der Medikamente bestimmt werden. Die Darreichungsform trägt maßgeblich dazu bei, wie schnell und zuverlässig ein Wirkstoff die Stellen des Körpers erreicht, an denen er wirken soll. Sie kann ihm Geleitschutz geben, beispielsweise vor der Zerstörung durch den Magensaft bewahren, oder ihm Türen in den Körper öffnen, etwa die Haut unter einem Wirkstoffpflaster durchlässig machen. Bei manchen Darreichungsformen ist die Entwicklung der endgültigen Kombination von Wirkstoff und Hilfsstoffen ähnlich kompliziert wie die Entwicklung des Wirkstoffs selbst.

Phase II

In Phase II werden erstmals Patienten einbezogen; Hersteller beziehen dazu Kliniken und andere medizinische Einrichtungen mit ein. Es wird zum einen geprüft, ob sich der gewünschte Behandlungseffekt zeigt. Zum anderen wird auf Nebenwirkungen geachtet und festgestellt, welche Dosierung am optimal ist.

Phase III

In Phase III erproben Ärzte das Arzneimittel dann an tausenden von Patienten, um zu sehen, ob sich Wirksamkeit und Unbedenklichkeit auch bei vielen unterschiedlichen Patienten bestätigen lassen. Dabei werden auch Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten untersucht und Nebenwirkungen des Wirkstoffs bewertet.

In Doppelblind-Studien werden unterschiedlich behandelte Patientengruppen miteinander verglichen. Typischerweise erhält eine Gruppe das neue Medikament, eine andere das bisherige Standardpräparat oder ein Scheinmedikament (Placebo). Solche vergleichenden Studien bezeichnet man als kontrollierte Studien.

Waren alle Studien und Tests erfolgreich, kann der Hersteller bei den Behörden die Zulassung beantragen, auf europäischer Ebene bei der EMA, oder sonst bei den nationalen Zulassungsbehörden.

Mit dem Zulassungsantrag muss ein Unternehmen Unterlagen über die technische Qualität des Arzneimittels , etwa seine Reinheit und die Stabilität,  sowie die vorklinischen und klinischen Studienergebnisse einreichen. Die EMA bearbeitet die Zulassungsunterlagen nicht selbst, sondern sendet sie an zwei nationale Zulassungsbehörden in ausgewählten EU-Staaten. Diese prüfen alle Daten und klären offene Fragen mit dem Hersteller. Die Resultate kommen wieder an die EMA zurück, deren wissenschaftliches Gremium CHMP, das Committee for Medicinal Products for Human Use, dann eine Zulassungsempfehlung oder die Empfehlung zur Ablehnung verabschiedet. Die eigentliche Zulassung der Medikamente erteilt die Europäische Kommission in Zusammenarbeit mit Vertretern der EU-Mitgliedstaaten. Die Bearbeitung des Antrags bis zur endgültigen Zulassung der Medikamente durch die Europäische Kommission dauert im Schnitt 13 Monate.
Nach der Zulassung der Medikamente kann der Hersteller das Präparat in Deutschland zeitnah über Ärzte, Apotheken und Kliniken auf den Markt bringen. In vielen anderen Ländern Europas erfolgen vor der Markteinführung Verhandlungen über zur Krankenkassenerstattung durch das Gesundheitssystem.


Literatur
[1] www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/IDAN/2015/554174/EPRS_IDA(2015)554174_DE.pdf
[2] www.sciencemediacenter.de/alle-angebote/fact-sheet/details/news/arzneimittel-von-der-entwicklung-bis-zur-zulassung/

Autorin: Annette v. Kieckebusch-Gück; ReinRaumTechnik

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