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Neue Formen der Unternehmenskooperation

Die Rolle des Chemie-Clusters Bayern als Projektentwickler

29.06.2010 -

Am 20. Mai 2010 hat in Nürnberg zum zweiten Mal der Netzwerktag des Chemie-Clusters Bayern stattgefunden und ist dennoch bereits eine Institution geworden: Als eine Art „Mitgliederversammlung" des Clusters ist dieser Tag eine exzellente Gelegenheit, sich über chemische Teilbranchen hinaus zu vernetzen und auszutauschen. Cluster-Sprecher Prof. Utz-Hellmuth Felcht verdeutlicht im Interview mit CHEManager, dass Tage wie dieser und Einrichtungen wie das Chemie-Cluster Bayern gebraucht werden, um auf zunehmend komplexen, hightech-orientierten und weltweit vernetzten Märkten wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Fragen stellte Dr. Birgit Megges.

CHEManager: Warum braucht die Chemie-Branche eine Einrichtung wie das Chemie-Cluster Bayern?

Prof. U.-H. Felcht: Die Chemie ist eine Branche, die an Höchstleistungen in Forschung und Entwicklung gewöhnt ist. Sie arbeitet wie kaum ein anderer Wirtschaftbereich eng und aus guter Tradition mit der Wissenschaft zusammen, und sie sichert durch Materialien, Prozesse und begleitende Dienstleistungen die Lebensfunktionen der wichtigsten Industriebereiche. Die Chemie ist aber auch eine stille Branche, die nicht mit viel Geschrei neue und nicht mehr ganz so neue Gedanken als bahnbrechende Innovationen verkauft: Sie ist es vielmehr gewohnt, Prozesse wissenschaftlich sauber zu Ende zu denken. Darin liegt ihre Wettbewerbsstärke begründet, aber auch die Gefahr eines akademischen Tunnelblicks. Ohne den Austausch mit anderen Branchen, den Dialog mit Anwendern, Regionalpolitikern oder Studenten gelangen viele wertvolle Laborentwicklungen nicht auf den Markt, weil man nicht die richtige Anwendung für sie findet, weil sie unbegründete Ängste schüren oder es nicht genügend qualifizierte Fachkräfte für ihre Weiterentwicklung und Nutzung gibt. An all diesen Punkten setzt das Chemie-Cluster Bayern mit seinen Leistungen an.

Wie kann das Cluster die Belange von großen und kleinen Unternehmen unterstützen, die untereinander vernetzt werden?

Prof. U.-H. Felcht: Zwei Drittel der Unternehmen im Cluster sind kleine und mittlere Unternehmen, viele wirklich ganz kleine, familiengeführte Betriebe mit 10 oder 20 Mitarbeitern. Die Bilanz der bisherigen Clusterarbeit zeigt, dass gerade in der Zusammenarbeit Kleiner und Großer am schnellsten und effektivsten neue Produkte entstehen: Kleine Unternehmen entwickeln mit geringen Ressourcen oft auf Zuruf ihrer wichtigen Kunden; sie setzen Entwicklungen blitzschnell in ihre Produkte um und sind erstaunlich gut darin, durch Kooperationen mit Netzwerken, Universitäten und Vertriebspartnern auch auf internationalen Märkten schnelle Präsenz zu zeigen. Große können hingegen auch einmal in Entwicklungen investieren, die erst einen späteren Return on Investment versprechen: Zum Glück tun sie das auch. Wenn sich auch in der Chemie nur noch kurzfristiges Gewinndenken durchsetzen würde, wäre es um die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands bald geschehen. Im Cluster können hochspezialisierte, sog. „Hidden Champions" und breiter aufgestellte, große Unternehmen voneinander lernen, in ergebnisorientierten Projekten zusammenarbeiten und so auch einen Beitrag zur Weiterbildung der eigenen Mitarbeiter leisten. Den kleinen Unternehmen bringt die Mitgliedschaft im Cluster dabei nicht nur wertvolle Kontakte zur Großindustrie, sondern ganz klar auch einen erleichterten Zugang zu öffentlichen Fördermitteln.

Wie sieht die Hilfe für kleine Unternehmen aus?

Prof. U.-H. Felcht: Das Chemie-Cluster wurde bewusst als Projektentwickler an der Schnittstelle zur öffentlichen Hand gestaltet: Vom Überblick über aktuelle Fördertöpfe über die passgenaue Formulierung von Anträgen bis zum formalen Management der Mittelabrufe und Verwendungsnachweise liegen beim Cluster-Management solche Aufgaben, die sich ein kleines Unternehmen im rauen Wettbewerb einfach nicht leisten kann. Bürokratietransfer ins Netzwerk ist deshalb eines der Erfolgsgeheimnisse, mit dem das Chemie-Cluster Bayern schon nach drei Jahren harter Arbeit zu einem respektierten und handlungsfähigen Projektentwickler geworden ist.

Können Sie die bisherigen Projekte beziffern?

Prof. U.-H. Felcht: Alleine 2009 wurden sieben Produktentwicklungs- oder Dienstleistungsprojekte mit einem Volumen von über 3 Mio. € begonnen, beteiligt sind 14 Unternehmen und 5 Forschungseinrichtungen. 12 der 14 beteiligten Unternehmen fallen dabei unter die KMU Kriterien. Die Themen, die im Cluster diskutiert wurden, umfassen Bereiche wie Polymerentwicklung, Elektromobilität, Bauchemie oder Nachwachsende Rohstoffe: Gemeinsam ist ihnen die klare Markt- und Anwenderorientierung der Projekte. Mit seinem Oberbegriff „Chemical Assisted Living", also Chemie an der Schnittstelle zu Alltagstechnologien in den Bereichen Energie, Mobilität, Gesundheit, Wohnen oder Umweltschutz, hat das Cluster deutlich gemacht, worum es bei der Netzwerkarbeit geht: nicht um abstrakte Forschung zur Befriedigung akademischer Eitelkeiten, sondern letztlich um verbesserte Wettbewerbsfähigkeit durch neue Produkte, Prozesse oder Dienstleistungen.

Gibt es Bestrebungen, das Cluster auch international zu vernetzen?

Prof. U.-H. Felcht: Globale Wettbewerbsvorteile liegen vielfach nicht auf Ebene bayerischer Komponenten oder deutscher Produkte, sondern im Bereich europäischer Technologiesysteme, zu denen kleine und mittlere Unternehmen nur selten in der Forschungs- und Entwicklungsphase Zugang finden. Insbesondere die Kooperation mit dem französischen Exzellenzcluster „Axelera" ist ein gutes Beispiel, wie das Chemie-Cluster hier zielgerichtet Entwicklungen beschleunigen kann: Mit finanzieller Unterstützung durch das Internationale Büro des Bundesforschungsministeriums konnte Cluster-Mitarbeiterin Magdalena Appel für drei Monte nach Lyon entsendet werden, um vor Ort konkretes Kooperationspotential zu eruieren. Das Zwischenfazit: Obwohl beide Cluster durchaus unterschiedlich organisiert sind, können für die Standorte Bayern und Rhône-Alpes durchaus Win-Win-Situationen einer Zusammenarbeit etwa in den Bereichen Polymerforschung oder Recycling entstehen. Auf einem ersten gemeinsamen Workshop an der Universität Bayreuth wurden bereits die ersten konkreten Projektideen erörtert. Das Cluster wird die Kooperation mit Axelera deshalb fortsetzen. Kooperationen pflegen wir auch mit der Stiftung Nano.net aus Polen, dem Breslauer Forschungszentrum EIT und mit der Arizona State University.

Das Chemie-Cluster hat sich in den letzten Jahren gut entwickelt. Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft des Clusters aus?

Prof. U.-H. Felcht: Zwischen 2007 und 2010 ist die Zahl der Cluster-Partner von 96 auf gute 200 angestiegen. Das Chemie-Cluster Bayern hat sich „aus dem Stand" zu einem einzigartigen Kompetenznetzwerk entwickelt. Unter den institutionellen Clustern in Deutschland gibt es wohl kein zweites, das eine solche Bandbreite von industrie- und endkundenorientierten Schlüsselinnovationen hervorbringt. Aus Expertensicht schien es fast unmöglich, hieraus mehr zu machen als eine großflächige Plattform für allgemeinen Wissenstransfer - zu groß die Zahl der Netzwerkpartner, zu weit die regionale Streuung, zu unterschiedlich die Produkte und Themen. Betriebswirtschaftlich gesehen, bündelt das Clustermanagement hier nicht verschiedene Akteure einer Wertschöpfungskette, sondern es bündelt Wertschöpfungsketten. Dies jedoch effizient und projektorientiert: Waren die Unternehmen im Cluster vor drei Jahren eher abwartende Konsumenten, die ein halbstaatliches Angebot von Konferenzen und Informationsveranstaltungen erwartet haben, wünschen sich heute die meisten der Cluster-Partner Netzwerkkooperationen für konkrete gemeinsame Projekte: Das Chemie-Cluster ist zu einem lebendigen, arbeitenden Kompetenznetzwerk geworden. Seine Aufgabe bleibt auch in der Zukunft die eines Katalysators: Das Clustermanagement soll Denken in Teilbranchen und Fachdisziplinen aufbrechen und über den Tellerrand schauen, nach neuen Anwendungen für bestehende Produkte suchen und die Kompetenz der Chemiebranche als interdisziplinärer Problemlöser selbstbewusst vertreten. Und das ganz konkret: Abstrakte Think Tanks werden nicht gebraucht, sondern die konkrete Zusammenarbeit von Entwicklern und Umsetzern aus unterschiedlichen Branchen, die gemeinsam neue Märkte erschließen wollen.

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