Strategie & Management

Mit Pioniergeist und Innovationen gegen den Klimawandel

Solar Impulse Foundation präsentiert effiziente und profitable Technologien für den Klimaschutz

13.07.2021 - Bertrand Piccard gilt als Pionier der Betrachtung der Umwelt unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten und setzt sich seit zwei Jahrzehnten für die Förderung erneuerbarer Energien und sauberer Technologien ein.

Mitte April gab die Solar Impulse Foundation bekannt, dass ihre Ende 2017 gestartete Initiative „1000 Clean and Profitable Solutions“ ihr erstes Ziel erreicht hat. Die von Umweltvisionär und Forscher Bertrand Piccard gegründete Organisation, die sich der Bekämpfung des Klimawandels verschrieben hat, hat in den vergangenen drei Jahren mehr als 1.000 technologische Innovationen für einen effizienten und profitablen Umweltschutz identifiziert und geprüft. Bis Anfang Juli ist das Portfolio der mit dem „Efficient Solution Label“ zertifizierten Technologien, das Regierungen, Unternehmen und Privatpersonen zur Verfügung steht, auf mehr als 1.200 Lösungen angewachsen. Piccard, der durch seine Weltumrundungen erst in einem Heißluftballon und dann im Solarflugzeug „Solar Impulse 2“ weltbekannt wurde, wird den ersten Cleanprint des Projekts im November 2021 auf dem Klimagipfel COP26 in Glasgow vorstellen. Michael Reubold befragte ihn zu dem ambitionierten Projekt und seiner möglichen Bedeutung für den globalen Klimaschutz.


CHEManager: Herr Piccard, seit einem halben Jahrhundert ist der Menschheit bewusst, dass unsere Art zu leben und zu wirtschaften die Umwelt belastet und das Klima beeinflusst. Aber vor allem die Industrienationen haben bisher nur halbherzig gegengesteuert. Wie erklären Sie sich diese Ignoranz gegenüber einer drohenden globalen Katastrophe?

Bertrand Piccard: Wissen Sie, ich bin von Haus aus Psychiater. Deshalb interessiert mich die Erhaltung der Umwelt genauso wie das Verständnis für die menschliche Tendenz, sie zu zerstören. Solange es billiger ist, den Planeten zu verschmutzen, als ihn zu erhalten, wird die Menschheit das auch weiterhin tun. Der Mensch ist nicht geneigt, sich um Folgen zu kümmern, die seine Existenz überdauern. Genau hier setzt unsere Arbeit an. Umweltschutz muss lukrativ sein; er muss Profit und Arbeitsplätze schaffen.

 

„Der Mensch ist nicht geneigt, sich um Folgen zu kümmern,
die seine Existenz überdauern.
Genau hier setzt unsere Arbeit an.“

 

Ich möchte Individuen, Unternehmen und Regierungen beweisen, dass dies möglich ist. Einfach ausgedrückt: Ich spreche die Sprache des Geldes und der Schaffung von Arbeitsplätzen, da dies eine universelle Sprache zu sein scheint, die jeder versteht.

Verfolgen wir die falschen Ansätze, um die globalen Herausforderungen zu lösen?

B. Piccard: Wir leben immer noch in einer ineffizienten Welt, die den größten Teil ihrer produzierten Energie, Nahrungsmittel und Ressourcen verschwendet, als ob sie unendlich wären. Unsere Priorität muss sein, effizienter zu werden. Wenn ich sehe, dass der größte Teil der Welt immer noch Autos mit Verbrennungsmotor produziert, obwohl Elektroautos eine praktikable und viel effizientere Alternative geworden sind, dann denke ich, dass wir neue Technologien und Industrien nicht schnell genug annehmen. Gebäude sind weiterhin schlecht isoliert; wir verschwenden sogar Abfall, ohne zu verstehen, dass er eine wertvolle Ressource ist; das muss aufhören. Wir haben alle Technologien, um das zu stoppen, aber nicht genug Antrieb und Bereitschaft, es schnell genug zu tun.

Profit und Rentabilität sind mächtige Triebkräfte für Veränderungen in unserer marktgesteuerten Welt. Sollten wir Warnungen und Verbote durch Möglichkeiten und Anreize ersetzen, um unsere Umwelt zu retten?

B. Piccard: Wir sollten nicht mit den Warnungen aufhören, aber wir müssen den Gedanken des Nutzens und der Profitabilität hinzufügen. Ich bin immer dafür, Menschen zu gewinnen, indem man sie von den Chancen überzeugt, die ein bestimmtes Verhalten verspricht. Wir sind viel effektiver, wenn die Menschen überzeugt sind, anstatt gezwungen zu werden.

Ende 2017 haben Sie mit der „World Alliance for Efficient Solutions“ und dem Ziel, 1.000 effiziente und profitable Lösungen für den Umwelt- und Klimaschutz zu identifizieren, die nächste Initiative der Solar Impulse Foundation gestartet. Nun haben Sie dieses Ziel erreicht. Bedeutet dies den erfolgreichen Abschluss Ihrer Initiative?

B. Piccard: Nein, es markiert einen wichtigen Meilenstein und ermöglicht uns, weiterzugehen. Als wir diese Reise begannen, dachten viele, dass 1.000 solcher Lösungen nicht existieren. Wir haben ihnen das Gegenteil bewiesen. Jetzt haben wir ein einzigartiges, immer noch wachsendes Portfolio an Lösungen, das alle Branchen und Sektoren unserer Wirtschaft abdeckt. Die wichtigste Arbeit wartet noch auf uns: Wir müssen dafür sorgen, dass diese technologischen Lösungen auch genutzt werden. Deshalb plane ich, so viele Wirtschaftsführer und Regierungsvertreter wie möglich zu treffen und sie von den Möglichkeiten zu überzeugen, die so zahlreich sind, dass es töricht wäre, sie nicht zu nutzen.
Sich allein auf die Kräfte der Marktwirtschaft zu verlassen, um diesen vielversprechenden Lösungen zum Durchbruch zu verhelfen, reicht vielleicht nicht aus. Schließlich stehen wir vor Herausforderungen, die nur durch die Zusammenarbeit der Weltgemeinschaft gemeistert werden können.
Wie können solche Projekte weltweit gefördert werden?

B. Piccard: Ein globaler Konsens hat sich in diversen internationalen Klimakonferenzen als schwer erreichbar erwiesen. Um die Marktchancen zu stärken, drängen wir von der Solar Impulse Foundation auf eine Modernisierung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, da wir glauben, dass dadurch ein Bedarf an sauberen Technologien entsteht und diese auf den Markt gezogen werden. Deshalb organisieren wir Treffen mit Entscheidungsträgern aus der ganzen Welt. Wir sichten auch Lösungen von überall her und stellen sie Investoren und potenziellen Kunden vor. Ich hoffe, dass ich noch viele Menschen auf der ganzen Welt inspirieren kann, dieser Vision zu folgen.

Sie waren der erste Mensch, der die Erde in einem Ballon und in einem Solarflugzeug umrundet hat, und Ihre Projekte haben bewiesen, dass auch scheinbar unmögliche Visionen realisiert werden können. Was treibt Sie an?

B. Piccard: Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, in dem nichts unmöglich schien. Mein Großvater Auguste Piccard erfand die erste Druckkabine, um in die Stratosphäre aufzusteigen, und er war der erste Mensch, der die Erdkrümmung gesehen hat. Mein Vater Jacques Piccard war Unterwasserforscher und tauchte in den tiefsten Punkt des Ozeans, den Mariannengraben. Im Gegensatz zu vielen anderen erlaube ich mir, über lang gehegte Überzeugungen hinauszugehen und ihre genauen Gegenteile zu erforschen. Die Freiheit zu denken und sich etwas vorzustellen ist das, was mich antreibt, besonders wenn es darum geht, die Lebensqualität auf der Erde zu verbessern.

Was waren die Erfolgsfaktoren, die Ihre bisherigen Missionen zum Ziel geführt haben? Und was leiten Sie daraus für Ihre zukünftigen Initiativen ab?

B. Piccard: Meine bisherigen Projekte begannen alle mit einer extrem ehrgeizigen Vision. Ideen, die manche als unmöglich bezeichnet hätten. Der Schlüssel zu meinen Erfolgen war, nicht an die Zweifler zu glauben, sondern mein Team zu ermutigen, lang gehegte Gewissheiten zu überwinden. Sobald man seine Vorurteile fallen lässt und sich erlaubt, das Unbekannte zu erforschen, setzt Innovation ein. Man macht Dinge anders als andere. Ein weiterer entscheidender Faktor bei meinen Erkundungen war die Akzeptanz der Möglichkeit des Scheiterns. Ich bin viele Male gescheitert, bevor ich erfolgreich war. Das Schlimmste ist nicht, zu scheitern, sondern es gar nicht erst zu versuchen.

 

„Sobald man seine Vorurteile fallen lässt
und sich erlaubt, das Unbekannte zu erforschen,
setzt Innovation ein.“

 



Bei sportlichen Wettkämpfen oder Abenteuern wird immer das „Material“ als entscheidender Faktor hervorgehoben. Welche Rolle spielten moderne Materialien bei Ihren Missionen?

B. Piccard: Ohne moderne Materialien hätte ich es natürlich nicht geschafft. Die Innovation hinter dem Breitling Orbiter, dem Ballon, der es uns ermöglichte, in einem Nonstop-Flug um die Welt zu fliegen, und hinter Solar Impulse 2, dem ersten Solarflugzeug, das mich ohne Treibstoff um die Welt trug, war bahnbrechend. Wir haben überall innovative Materialien um uns herum, mit denen wir weitere unglaubliche Dinge tun können – jetzt müssen wir mutig genug sein, sie zu nutzen.

Zu den Partnern der „Solar Impulse 2“-Mission gehörten Kunststoffhersteller wie Solvay und Covestro. Kunststoffe stehen heute vielerorts in der Kritik, vor allem wegen der weltweiten Zunahme von Plastikmüll. Wie können wir polymere Werkstoffe verantwortungsvoll produzieren, verwenden und entsorgen, und welche Verantwortung haben die Kunststoffhersteller dabei?

B. Piccard: Nachdem sie zuerst das Problem war, will die chemische Industrie nun Teil der Lösung sein. Plastik ist nicht an sich schlecht, es wird erst dann schlecht, wenn die Menschen es in die Ozeane oder auf Mülldeponien werfen, anstatt es zu recyceln. Deshalb finde ich es besonders ermutigend, wenn große Unternehmen wie Solvay konkrete Maßnahmen ergreifen und in sauberere Materialien und Prozesse investieren. Wir müssen sie auf ihrem Weg begleiten, neue Wege der Produktion und des Recyclings zu finden, die rentabel sind. Wir können es nicht ohne sie tun, und deshalb müssen wir zusammenarbeiten. Wir müssen Technologien einsetzen, die es uns bereits ermöglichen, so viel besser zu machen. Carbiolice zum Beispiel ist ein französisches Start-up-Unternehmen, das für die Entwicklung eines Zusatzstoffes, der Kunststoff pflanzlichen Ursprungs biologisch abbaubar macht, mit dem Solar Impulse Label ausgezeichnet wurde. Stellen Sie sich vor, wir könnten Joghurtbecher auf den Kompost werfen?

Wie viele der über 1.000 Lösungen, die unsere nachhaltige Entwicklung in Bereichen wie Wohnen, Mobilität oder Energieversorgung prägen werden, basieren auf modernen Materialien?

B. Piccard: Wir haben Lösungen, die Klebstoffe, Keramik, Beschichtungen, Verbundwerkstoffe, Glasinnovationen, grüne Chemie, Nanotechnologien und strukturelle Baumaterialien abdecken, um nur einige Kategorien zu nennen. Das sind rund 200 Lösungen, also 20 Prozent unseres Portfolios.

Alle 1.000+ Lösungen aufzulisten, würde den Rahmen eines Artikels sprengen, aber können Sie die Lösungen kategorisieren oder einige der spannendsten Ansätze oder Handlungsfelder beschreiben?

B. Piccard: Lösungen im Gebäudesektor sind die zahlreichsten in unserem Portfolio, dicht gefolgt von Lösungen für die Kreislaufwirtschaft und das Abfallrecycling. Ein inspirierendes Beispiel im Bereich Recycling und erneuerbare Energie ist die Wagabox. Sie wurde von einem Spin-off von Air Liquide entwickelt und ermöglicht es, das Methan, das auf Deponien entsteht, zu sammeln und als Energie ins Netz einzuspeisen. Stellen Sie sich vor, wir könnten Wagabox für alle 20.000 Mülldeponien der Welt installieren. Das könnte riesig sein. Lösungen im Bereich der erneuerbaren Brennstoffe und des Wassers sind derzeit am wenigsten vertreten. Ich plane, das zu ändern und mehr davon zu finden.

Etablierte Konzerne entwickeln inzwischen nachhaltigere Produktionstechnologien und Produkte – oft nur auf Druck von außen. Aber viele der Lösungen werden, wie Sie bereits erwähnten, von KMUs oder Start-ups entwickelt. Wie kann dieses vielversprechende Innovationsökosystem noch effektiver gestaltet werden?

B. Piccard: Das ist tatsächlich eine interessante Beobachtung. 90 Prozent unserer Lösungen kommen von Start-ups. Sie sind diejenigen, die danach streben, das Geschäft von morgen aufzubauen, also sind sie von Natur aus mutig in ihren Geschäftsideen. Was wir bei den meisten Lösungen in unserem Portfolio sehen, ist, dass es ihnen zu einem bestimmten Zeitpunkt an Reife und Finanzierung fehlt. Sie brauchen Investitionen, Partner und ein Netzwerk, um ihnen zum Durchbruch zu verhelfen. Die Solar Impulse Foundation macht genau das. Erst kürzlich haben wir mit BNP Paribas und Rothschild/ALIAD Investmentfonds aufgelegt, die in Lösungen mit dem Solar Impulse Label investieren werden. Wir müssen mehr davon sehen, und zwar in großem Maßstab.

Viele Menschen sehen Umwelt- und Klimaschutz auf der einen Seite und Fortschritt und Wirtschaftswachstum auf der anderen Seite als einen Widerspruch und erwecken den Eindruck, Fortschrittsverweigerer zu sein. Wie sehen Sie das Verhältnis?

B. Piccard: Die Daseinsberechtigung beziehungsweise Raison d‘être der Solar Impulse Foundation ist es, das Gegenteil zu beweisen. Ökologie und Ökonomie gehen heute Hand in Hand, und das müssen sie auch unbedingt. Unsere inzwischen mehr als 1.200 Labels sind für Lösungen vergeben worden, die der Umwelt und unserer Lebensqualität zugutekommen und, was ebenso wichtig ist, für Produzenten und Konsumenten profitabel sind.

 

„Ökologie und Ökonomie gehen heute Hand in Hand,
und das müssen sie auch unbedingt.“

 

Sie beweisen, dass die alte klare Trennung zwischen Wachstum und Klimaschutz überholt ist und neu justiert werden muss. Mit anderen Worten: Wir müssen das BIP jetzt mit der Qualität der Effizienz verknüpfen und nicht mehr mit der Quantität des Konsums.

Mit der „Fridays for Future“-Bewegung hält die junge Generation der Welt einen Spiegel vor und fordert die Regierungen dieser Welt vehement zum Handeln auf, um die Umwelt und das Klima zu schützen. Die Solar Impulse Foundation setzt sich auch für die Bildung von Kindern und Jugendlichen ein. Was glauben Sie, was die nächste Generation tun kann?

B. Piccard: Die nächste Generation muss die Alarmglocke läuten und die Regierungen zum Handeln drängen. Sie sind die künftigen Wähler. Das geschieht in Synergie mit unserem Programm bei der Solar Impulse Foundation, wo wir den Regierungen zeigen, wie sie handeln und Lösungen umsetzen können.

www.solarimpulse.com

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ZUR PERSON

Bertrand Piccard ist Arzt, Forscher und Pilot, Gründer und Vorsitzender der Solar Impulse Foundation sowie Initiator und Botschafter weiterer gemeinnütziger Initiativen, Programme und Stiftungen. Von 1979 bis 1986 studierte er Medizin an der Universität Lausanne und spezialisierte sich auf Psychiatrie und Psychotherapie. Aus einer bekannten Forscherfamilie stammend war es ihm in die Wiege gelegt, über das Offensichtliche hinaus zu blicken und das Unmögliche zu erreichen. Bereits seit den 1970er Jahren gehörte er zu den Pionieren des Drachen- und Ultraleichtflugs in Europa. In den 1990er Jahren gewann er das erste transatlantische Heißluftballonrennen und war Kapitän der ersten Nonstop-Weltumrundung in einem Heißluftballon. Als Initiator und Pilot von Solar Impulse gelang ihm 2016 die erste Weltumrundung in einem Solarflugzeug. Piccard stellte unzählige Luftfahrtweltrekorde auf und ist weltweit mit zahlreichen Preisen und Ehrungen sowie mehreren Ehrendoktorwürden ausgezeichnet worden. Als Psychiater und Entdecker stellt er Gewissheiten und Gewohnheiten in Frage und plädiert für Pioniergeist, um die Herausforderungen unserer Zeit zu lösen.

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