Mit computergestützter Chemie die Innovationskraft steigern
Covestro nutzt in der Forschung den menschlichen Erfahrungsschatz und digitale Technologien
Covestro baut die digitale Forschung und Entwicklung aus, um mittels computergestützter Chemie die Innovationskraft zu steigern. Dazu investiert der Werkstoffhersteller in Computerchemie und Machine Learning sowie in den Ausbau der Rechenkapazität. Das leistungsstarke Rechenherz für die digitale Forschung steht in Leverkusen und soll im Verlauf des Jahres kontinuierlich erweitert werden. Michael Reubold befragte Torsten Heinemann, Vice President Digital Research and Development von Covestro, zu den Plänen und Zielen und zur Rolle des Menschen in der digitalen Forschungswelt.
„Es sind vor allem die Menschen,
die von der Digitalisierung der Arbeitsprozesse
bei Covestro profitieren.“
CHEManager: Herr Heinemann, die Digitalisierung verändert die Chemieforschung. Welche Vorteile sehen Sie daraus ganz generell erwachsen?
Torsten Heinemann: Die Digitalisierung prägt die chemische Industrie und zunehmend auch die Forschung. Diese Veränderung wird durch technologische Entwicklungen und die Allgegenwärtigkeit von digitalen Technologien zusätzlich beschleunigt. Für Covestro birgt dieser Fortschritt in vielen Bereichen ein enormes Potenzial, das wir mit unserem übergreifenden strategischen Programm „Digital@Covestro“ schon heute nutzen. Im Bereich “Digitaler Betriebsprozesse“ investieren wir deshalb in digitale Technologien und Prozesse, um Forschung und Entwicklung zu optimieren. So kann einerseits in allen Geschäftsbereichen Mehrwert geschaffen werden, darüber hinaus sind es aber vor allem die Menschen, die von der Digitalisierung der Arbeitsprozesse bei Covestro profitieren.
In der Chemie haben Forscher immer wieder neue Moleküle und bahnbrechende Innovationen hervorgebracht. Spielt der Mensch in der digitalen Forschung der Zukunft weiterhin eine wesentliche Rolle?
„Gute Forschungsergebnisse werden
auch in Zukunft auf der Erfahrung
von Forschern basieren.“
T. Heinemann: Wir blicken bei Covestro auf eine lange Tradition in klassischer chemischer Entwicklung zurück. Wir haben mit klassischer chemischer Forschung beispielsweise Polyurethane und Polycarbonat erfunden. Chemiker haben in Handarbeit in klassischen Laboratorien oder auf Maschinen Materialien entwickelt, bis daraus ein verkaufsfähiges Produkt entstanden ist.
Für uns liegt es auf der Hand, dass gute Forschungsergebnisse auch in Zukunft auf der jahrelangen Erfahrung von Forschern basieren werden. Uns geht es um eine Kombination aus menschlichem Erfahrungsschatz und digitalen Technologien. Wir sehen schon jetzt in vielfacher Hinsicht, dass die Digitalisierung die Kreativität unserer Chemiker unterstützt, neue Lösungen zu finden. Das heißt, wir können für unsere Kunden bessere Produkte entwickeln, die ihnen helfen, auch schneller in ihren Märkten erfolgreich zu sein.
Wie fördern Sie die digitalen Kompetenzen Ihrer Mitarbeiter?
T. Heinemann: Der Mensch steht bei der Digitalisierung für uns im Mittelpunkt. Wir wollen deshalb die rund 1.000 Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung zur Nutzung digitaler Werkzeuge befähigen. Begonnen haben wir mit einem jungen, dynamischen Team in der digitalen Forschung und Entwicklung, das eine umfassende Expertise auch in den Kernfeldern Data Science und Computational Chemistry besitzt. Die internationale Mannschaft soll in den kommenden Jahren signifikant wachsen und gemeinsam unsere Forschung und Entwicklung weltweit unterstützen. Zudem fördert Covestro die Ausbildung des universitären Nachwuchses und schreibt europaweit Stellen für Master-, Doktoranden- und Post-Doc-Programme aus. Wir sehen hier noch weiteren Entwicklungsbedarf gerade an der Schnittstelle zwischen Forschung und Digitalisierung.
Wie nutzen Sie bereits heute die Digitalisierung in der Forschung und Entwicklung?
T. Heinemann: Generell nutzen wir schon heute High Performance Computing für die schnellere Entwicklung von Rezepturen und neuen Produkten, verbesserten Prozessen und um Produkteigenschaften vorherzusagen. High Performance Computing ermöglicht es, unsere großtechnischen Reaktionen in der Polymerchemie virtuell zu beschreiben. Anders als in der Pharmaindustrie oder in der Agrarchemie war das mit digitaler Technologie aufgrund der Komplexität der Reaktionen lange Zeit nicht effizient möglich. In den letzten Jahren jedoch ist die digitale Forschung durch die rasante Entwicklung der Computer-Hardware besser anwendbar geworden. Einen Anteil hieran hat beispielsweise auch die Technologie unseres Hardware-Partners Nvidia.
Das heißt, wir können nun virtuell — ohne Laborversuch — Screening-Versuche durchführen. Wichtig ist dabei, dass wir deutlich schneller werden und auf diese Weise auch Moleküle testen können, die wir normalerweise nie im Labor testen würden. Auch neue Formen der Datenanalyse und weiterführende Anwendungen der Computerchemie werden dadurch möglich.
Und wie werden Sie die digitalen Technologien und Prozesse in der Forschung und Entwicklung künftig vorantreiben?
T. Heinemann: Ein zentrales Element der Digitalisierung von Forschung und Entwicklung sind weitere Investitionen in Rechenkapazitäten. Unser High-Performance-Computing-Zentrum ist im Leverkusener Chempark beheimatet und wird weiter ausgebaut werden. Wir wollen dadurch den Ausbau einer globalen Datenplattform unterstützen. Ihr Ziel ist es, Daten aus unseren internationalen Forschungszentren zusammenzuführen und allen Forschern im Unternehmen zugänglich zu machen. Das globale Wissensnetzwerk ermöglicht dann eine neue Dimension effizienter Forschung und Entwicklung nachhaltiger Produkte für unsere Kunden.
Was bringt die Erhöhung der Rechenleistung konkret für Ihre Forschungsaktivitäten?
T. Heinemann: Durch den kontinuierlichen Ausbau der Rechenleistung erzielen wir bessere Ergebnisse bei Versuchssimulationen, der Erforschung neuer Anwendungen und der Datenanalyse. Wir suchen auf diese Weise beispielsweise nach verbesserten Industriekatalysatoren — das geht schneller und mit weniger Energie- und Ressourceneinsatz als bei herkömmlichen Versuchsreihen. Auf schnellerem Wege effektivere Industriekatalysatoren zu finden, bedeutet auch, am Ende weniger Energie in der Produktion einsetzen zu müssen. Das ist eine nachhaltigere Lösung für den gesamten industriellen Prozess. So tragen wir dazu bei, die Ressourcen zu schonen und die Grenzen des Machbaren weiter zu verschieben.
Sie kooperieren mit Partnern aus der IT-Branche und mit Institutionen wie der RWTH Aachen. Welche Rolle spielen solche Partnerschaften?
T. Heinemann: Unsere Partner wie beispielsweise die RWTH Aachen University sind essenziell wichtig zur Fortentwicklung unseres Innovationsansatzes bei Covestro. Wir sind davon überzeugt, dass wir durch die gemeinsame Nutzung von Expertenwissen und Rechenkapazitäten schneller bessere und nachhaltigere Ergebnisse erzielen können. Im Rahmen unserer Kooperation werden unter anderem die Moleküle am CAT Catalytic Center in realen Experimenten im Labor überprüft. Das CAT Catalytic Center gehört zu den führenden Instituten in Deutschland und wird gemeinsam von Covestro und der Universität betrieben.
Auch die technischen Partner sind von entscheidender Bedeutung für digitale Forschungserfolge: Einer unserer Lieferanten aus der IT-Branche ist Nvidia, ein führender Entwickler von Grafikprozessoren. Mithilfe ihrer Expertise können wir großtechnische Reaktionen der Polymerchemie noch gezielter simulieren und so wegweisende Entwicklungen für unsere Kunden beschleunigen.
Wie können die so generierten Forschungsdaten — Stichwort: Big Data — allen Ihren Forschern zugänglich gemacht und verarbeitet werden?
T. Heinemann: Hier kommt die geplante Plattform für Forschungsdaten ins Spiel. Die Plattform ist derzeit im Aufbau und wird alle Daten der Covestro Forschungszentren harmonisieren, bündeln und global zugänglich machen. Dadurch werden die Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung einen größeren Nutzen mit ihrer Arbeit stiften können. Die Produktivität wird gesteigert, die Planung vereinfacht und Forschungsergebnisse können schneller zu potenziell verbesserten Produkten in der Entwicklungspipeline führen. Aus diesem Grund investiert Covestro in den unternehmensweiten Daten-Pool, der das bestehende, isolierte Expertenwissen jedem Forscher zugänglich machen wird und so den Wissenstransfer bei Forschungsprozessen beschleunigt. Die Vorteile für das gesamte Unternehmen liegen auf der Hand. Gleichzeitig müssen die Anforderungen an Sicherheit, Flexibilität und Skalierbarkeit der Datennutzung und -analyse gegeben sein.
Wird die zunehmende Komplexität in der Forschung künftig nur mit Partnern zu bewältigen sein?
T. Heinemann: Wir sehen unsere Partner in der Forschung hierbei weiterhin als essenziellen Bestandteil unseres Innovationsverständnisses, um Ergebnisse aus Datenanalysen schneller und nachhaltiger in attraktive Produkte für unsere Kunden zu überführen und die Ressourcen der Erde zu schonen. Dieses Grundverständnis ändert sich durch den Aufbau der Datenplattform nicht.