Merck: „Abenteuer“ Minimalbestand. Ein Interview mit Rüdiger S. Grigoleit.
Für innovative Packmittelprozesse erhält Merck den Deutschen Logistikpreis 2012
Die Bundesvereinigung Logistik (BVL) hat das Unternehmen Merck für sein Projekt „Packmittellogistik at its best - Innovative Packmittelprozesse am Standort Darmstadt" mit dem Deutschen Logistik-Preis 2012 ausgezeichnet. Merck hat in diesem umfassenden Projekt sowohl die eigenen Abläufe als auch die seiner Lieferanten streng unter die Lupe genommen und anschließend nachhaltig verändert. Um am Ende eine spürbare Effizienzsteigerung zu erhalten, musste neben dem Umbau von Strukturen, der Investition in Informationstechnologie und der Qualifizierung der Mitarbeiter viel Überzeugungsarbeit geleistet werden.
Im Interview erläutert Rüdiger S. Grigoleit, Vice President, Central Services bei Merck, Darmstadt, mit welchen Maßnahmen die Packmittelprozesse im Unternehmen radikal modernisiert wurden.
Die Fragen stellte Dr. Sonja Andres.
CHEManager: Herr Grigoleit, Merck hat den Deutschen Logistikpreis 2012 erhalten für die meisterliche Bewältigung werkübergreifender logistischer Probleme mit der gesamten Packmittelpalette von ca. 3.500 unterschiedlichen Packmitteln. Sind Sie stolz auf diese Auszeichnung?
Rüdiger S. Grigoleit: Wir freuen uns sehr über diese Auszeichnung, zumal hier ein Projekt mit Packmitteln im Fokus ist, die im Allgemeinen wenig wertgeschätzt werden.
Die Packmittelvielfalt bei Merck ist - wie eben bereits erwähnt - äußerst groß. Weshalb werden so viele unterschiedliche Packungen benötigt?
Rüdiger S. Grigoleit: Als Chemie- und Pharmaunternehmen vertreiben wir viele Produkte, die z.T. kritische Eigenschaften haben oder Anwendungserklärungen bedürfen, die nur für den spezifischen Artikel gelten. Das heißt, wir benötigen jeweils eigene darauf ausgerichtete Verpackungen, die vielfach in den unterschiedlichsten Landessprachen erforderlich sind.
Warum wurden die Packmittel zunehmend zu einem Problem?
Rüdiger S. Grigoleit: Eine in die Jahre gekommene Packmittelmittel-Halle wurde abgerissen. Packmittelbestände wurden in Außenlagern und zahlreichen Überseecontainern gelagert. So war die Transparenz, wo welche Bestände zu finden und verfügbar sind, nicht immer und oft schon gar nicht spontan gegeben. Die Kosten für die Lagerung und die Transfers der Bestände waren ein weiterer Grund, das bisherige Konzept gänzlich in Frage zu stellen.
Um diese Probleme in den Griff zu bekommen, gründete man bei Merck die Einheit Packmittel-Management. Wie setzt sie sich zusammen, welche Funktionen nimmt sie wahr und wie lässt sich die interne Wirkung dieser neuen Einheit beschreiben?
Rüdiger S. Grigoleit: Die Abteilung Packmittel-Management besteht aus den Gruppen Beschaffungsmanagement, Packmittel-Technik, Packmittel-Prüfung und Etikettendruck. Damit sind alle Einheiten im Werk, die sich mit dem Thema Packmittel beschäftigen, organisatorisch zusammen gefasst. Die Entscheidungswege sind entsprechend kurz und effizient.
Merck hatte zur Lösung des Problems eine umfassende, interne Konzeptstudie anberaumt. Was waren die Knackpunkte, die eine Konsolidierung der Abläufe und einfache Reduzierung der Packmittel erschwerten?
Rüdiger S. Grigoleit: Wir waren und sind auf die Kooperation diverser interner Stellen sowie der Lieferanten und Logistik-Dienstleister angewiesen. Nach vielen Jahren der Bestandshaltung wollten wir auf einmal nahezu ohne Bestände auskommen. Die Bereitschaft aller, sich auf dieses „Abenteuer" einzulassen, war gefordert, gepaart mit der Notwendigkeit, die Anforderung elektronisch zu übermitteln und zu bearbeiten.
Es mussten Voraussetzungen geschaffen werden, dass z.B. die Qualitätskontrolle schon vor dem Wareneingang erfolgt war. Also - der gesamte bisher gewohnte Prozess wurde komplett neugestaltet. Der Vertrauensvorschuss, den wir insbesondere von den Betrieben bekamen, musste die Umgestaltung unterstützen, aber er durfte nicht aufgebraucht werden.
Nach welchen Gesichtspunkten wurden die künftigen Packmittel-Lieferanten schließlich ausgewählt?
Rüdiger S. Grigoleit: Wir haben weiterhin ausschließlich mit Lieferanten zusammen gearbeitet, die uns auch bisher beliefert hatten. Die Lieferanten, die täglich mindestens einen vollen Lkw pro Tag an uns lieferten, waren die ersten, die wir einluden, sich an dem Projekt zu beteiligen. In Lieferanten-Runden klärten wir die Bereitschaft, die Daten mit uns ausschließlich elektronisch auszutauschen. So kamen wir auf sechs Lieferanten-Partner, mit denen wir starteten bzw. strategische Allianzen gründeten.
Wie wird die Qualität der erforderlichen Packmittel nun gewährleistet? Wie schafft man die die „just-in-time"-Anlieferung an die einzelnen Merck Produktions- und Abfüllbetriebe?
Rüdiger S. Grigoleit: Aus jedem Produktionslot senden uns die Lieferanten, die Prüfmenge, die wir vorgegeben haben. Wird seitens unserer Prüfung die spezifizierte Qualität bestätigt, erfolgt die Freigabe für das gesamte Produktionslos. Dieser Ablauf ist in einer Qualitätssicherungsvereinbarung zwischen dem Lieferanten und uns festgeschrieben.
Täglich erhält das Beschaffungsmanagement die Anforderungen der Betriebe, die konsolidiert dem Lieferanten am frühen Nachmittag elektronisch übermittelt werden. Dieser stellt die Sendungen aus den durch unsere Prüfung freigegebenen Produktionslosen zusammen und übergibt die Sendungen dem Spediteur oder liefert die Packmittel selber mit eigenen Fahrzeugen am nächsten Morgen zu abgestimmten festen Zeiten bei uns an.
Können Sie abschließend noch etwas zu den Einsparungen durch die neuen Strukturen sagen?
Rüdiger S. Grigoleit: Abhängig von der Bedarfsmenge können wir jährlich Kostenvorteile von ca. 7 Mio. € verzeichnen.