Mehrwert als Wachstumsfaktor
Sartorius Stedim Biotech stärkt sich mit Zellkulturmedien von Lonza und avanciert zum Komplettanbieter
Den Bedarf an Einweg-Produkten hatte Sartorius frühzeitig erkannt und sein Produkt- und Technologieportfolio konsequent auf Single-use Lösungen ausgerichtet. Durch eine Kooperation mit dem Schweizer Life Science-Konzern Lonza hat das Unternehmen unlängst einen weiteren wichtigen Schritt unternommen, indem es Bioprozessmedien in das Geschäft integriert und damit sein Angebot abrundet. CHEManager sprach mit Reinhard Vogt, Vorstandsmitglied des Göttinger Sartorius-Konzerns, über die Bedeutung der neuen Partnerschaft und die Entwicklung des Biotechgeschäfts. Das Interview führte Dr. Arne Kusserow.
CHEManager: Herr Vogt, die Kooperation mit Lonza ergänzt Ihr Portfolio um Zellkulturmedien. Wie passt sich dies in das Gesamtgefüge ein?
R. Vogt: Lassen Sie mich dazu etwas weiter ausholen. Grundsätzlich handelt es sich um eine Strategie, die wir bereits 1998 beschlossen haben. Damals hatten wir im Wesentlichen Filtrationsprodukte im Angebot. Es Für eine Entwicklung zum Solution Provider, wie wir uns heute verstehen, gab es zwei Beweggründe: Erstens waren wir überzeugt, dass in der Zukunft unsere Kunden vollständige Lösungen entlang der Prozesskette benötigen. Zweitens wollten wir uns von Wettbewerbern differenzieren. Daher haben wir uns biotechnologische Prozessketten, wie z.B. bei der Produktion von monoklonalen Antikörpern, angesehen und uns gefragt, was wir im Portfolio noch benötigen und was Kerntechnologien hierfür sind. Die ersten Technologien, die ins Auge fielen, waren Fermentation und Zellkulturprodukte. Durch die Akquisition von BBI (Braun Biotech International), zu dieser Zeit Marktführer, hatten wir direkt eine hervorragende Ausgangsposition im Upstream-Bereich, der Bioproduktion in Stahltanks. Später kamen die Membranchromatographie und neue Produkte wie etwa Virusfilter und Einweg-Bioreaktoren hinzu.
Anschließend waren Sie Pionier bei den sogenannten Single-use Bags?
R. Vogt: Ja, zunächst agierten wir über eine Kooperation mit einem US-Unternehmen. Wir haben schnell erkannt, dass diese Zellkulturbeutel keine Einzelkomponenten bleiben dürfen, sondern eine zukunftsträchtige Kerntechnologie sein werden. . Das führte beinahe zwingend zur Akquisition des französischen Unternehmens Stedim im Jahr 2007, abermals einem Marktführer. Weitere Technologien, auch bereits etablierte, wie bei der Akquise der Schweizer Firma Wave, wurden zugekauft. Parallel entwickelten wir selbst weitere Technologien, etwa im Bereich unserer Biostat STR Single-use-Bioreaktoren.
Im vergangenen Jahr haben wir weitere Wachstumsmöglichkeiten diskutiert: Was ist im Produktportfolio noch möglich, und was ist geografisch an Wachstum zu erwarten? Schließlich bietet unser Markt gerade in Asien aber auch in den USA viele Möglichkeiten für weiteres Wachstum.. Als wir unser Portfolio analysiert hatten, wurde klar was noch fehlt: Zellkulturmedien. Wir registrierten eine stetig steigende Nachfrage von Kunden, denen wir nun durch unsere Kooperation mit Lonza ein etabliertes Medien- und Puffersortiment anbieten können. Hersteller von Pharmazeutika werden davon profitieren, voll integrierte Einweglösungen für ihren gesamten Zellkulturprozess aus einer Hand zu bekommen. Die Medien sind die entscheidende Ergänzung zu unseren Bioreaktoren, Einwegbehältern und Filtern.
Wie sieht diese Aufgabenteilung mit dem Schweizer Life Science-Konzern aus?
R. Vogt: Wir haben mit Lonza eine enge Kooperation mit klarer Aufgabenteilung vereinbart. Es handelt sich um ein klassisches Joint-Venture mit einer gemeinsamen Markenpolitik, Stichwort Co-Branding. Die Frage, was kann Sartorius bzw. Lonza am besten bestimmt die Zusammenarbeit. Sartorius übernimmt den Vertrieb und das Marketing der Zellkultur-Medien, während Lonza weiterhin für Produktion, Entwicklung und Logistik der Produkte zuständig ist. Die Entwicklung neuer Produkte wird gemeinsam erfolgen. Durch ein Open-Book-Verfahren sind beide Partner gleichgestellt. Während wir Zugriff auf die Zellkulturmedien bekommen, profitiert Lonza im Gegenzug vom Zugang zu den weltweiten Vertriebs- und Marketingstrukturen von Sartorius, durch die natürlich ein wesentlich höheres Marktvolumen generiert werden kann. Dieses wiederum schlägt sich positiv in der Auslastung und damit in den Herstellkosten nieder. Für beide Parteien stellt das Abkommen also eine Win-win-Situation dar.
Warum haben Sie sogar Mitarbeiter von Lonza übernommen?
R. Vogt: Mit der Übernahme von Lonzas Vertriebs-, Applikations- und Marketingspezialisten haben wir sofort eine sehr hohe Kompetenz und viel Know-how für Sartorius auf dem Gebiet der Medien und Pufferlösungen realisieren können. Jeder dieser Mitarbeiter ist ein Experte mit langjähriger Erfahrung in diesem Business - soetwas ist natürlich unbezahlbar. Müsste man ein solches Team neu aufbauen, wären wir allein damit fünf, sechs Jahre beschäftigt gewesen.
Wie gestaltet sich denn die Integration der neuen Mitarbeiter und des Mediengeschäfts in den Sartorius-Konzern?
R. Vogt: Wenn man eine solche Kooperation eingeht, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Chemie zwischen den Partnern von Anfang an stimmt. Unsere Unternehmenskulturen sind sehr ähnlich. Eine gute Integration und Zusammenarbeit findet nicht auf dem Papier statt, sondern in den Köpfen der Menschen. Diese Prozesse muss man langfristig begleiten und aktiv leben. Es ist wirklich eine Freude zu sehen, wie unsere Mitarbeiter die neuen Kollegen aufnehmen und dass die ehemaligen Lonza-Mitarbeiter sich freuen, bei Sartorius zu arbeiten. Das Mediengeschäft nimmt eine wichtige/zentrale Stellung bei uns ein, die wir auf organisatorischer Ebene mit dem neu geschaffenen Bereich „Media" abbilden.
Die neuen Mitarbeiter haben somit eine große Aufwertung erfahren, da bei Lonza das Bioprozess-Mediageschäft strategisch nicht zentral angesiedelt war. Für das Gelingen von Integrationsprozessen ist es meines Erachtens essentiell, den neuen Mitarbeitern Wertschätzung zu geben und ihnen langfristige Perspektiven zu bieten.
Sie erwähnten eingangs Asien und die USA als wichtige Wachstumsmärkte. Sehen Sie in den USA gerade in der pharmazeutischen Produktion großes Potential? Wie passt ihr jüngst erweitertes Werk in Puerto Rico ins Bild?
R. Vogt: Puerto Rico war immer und ist auch heute hauptsächlich Produktionsstandort für den nordamerikanischen Markt. Dass man auch Südamerika einfacher beliefern kann, ist ein Nebeneffekt. Nordamerika ist nach wie vor der führende Markt in der Biotechnologie. Die USA haben für uns eine enorme strategische Bedeutung, wir müssen vor Ort sein, um unsere Technologien in die Prozessentwicklung einzubringen. Weil wir davon überzeugt sind, dort weitere Marktanteile gewinnen zu können, haben wir in den USA in den letzten Jahren auch überproportional viel in Marketing investiert. Der Erfolg gab uns Recht: Die stärkere Position dort hat sich auch positiv auf unser Geschäft in Asien und Afrika ausgewirkt.
Die Prognosen für die biopharmazeutische Industrie in Deutschland sehen weniger optimistisch aus. Welche Rolle spielt der Standort Deutschland für Sartorius eigentlich?
R. Vogt: Wir haben in Deutschland fast 80 % unserer Entwicklung und auch viele andere Kompetenzen gebündelt. Wir haben in den letzten Jahren schon überproportional mehr Personal außerhalb von Deutschland eingestellt, aber wenn Sie sich unsere Investitionen ansehen, dann sind diese mit weitem Abstand an Headquarter in Göttingen erfolgt. Man muss unser technologisches Umfeld bedenken, denken Sie z.B. an unsere Membranfilter: Es ist nicht wirtschaftlicher für uns, woanders zu produzieren, da die Produktion stark automatisiert ist. Zudem möchten wir unser Know-how bestmöglich schützen.
Wir sind nicht deshalb erfolgreich, weil wir die geringsten Herstellkosten haben. Nein, wir sind deshalb erfolgreich, weil wir innovativ sind, weil wir Technologien und Strategien gewählt haben, die für Kunden echten Mehrwert haben. Wir bieten integrierte Lösungen, inzwischen sogar als komplette Singe-use Factory.
Darf ich hier kurz einhaken: Was hat es mit diesem Facility-Konzept genau auf sich?
R. Vogt: Wir haben 2012 eine Kooperation mit der amerikanischen Firma G-Con geschlossen, einem Anbieter von modularen Reinraum-Containment-Lösungen. Ziel ist der Aufbau einer flexiblen Produktionsplattform mit Single-use Technologie, die aus unterschiedlichen, schlüsselfertigen Operationsmodulen besteht, z.B. für Medienpräparation, Fermentation, Zellkultur usw.
Es ist ein riesiger Unterschied, ob Sie eine komplette Facility kaufen, die in sechs Monaten steht, validiert und produktionsbereit ist oder ob Sie zwei Jahre planen und bauen. Letzteres bedeutet nicht nur einen Verlust an Umsatz, sondern birgt auch die Gefahr, dass Sie dann vielleicht nicht mehr als erster am Markt sind. Der Mehrwert unseres Singe-use Facility-Konzepts ist also enorm. Blicken sie in diesem Zusammenhang einmal zurück auf unser Geschäft: Zunächst haben wir damit begonnen, Produkte zu verkaufen. Dann kam eine Zeit, da haben wir Lösungen verkauft. Heute verkaufen wir einen Mehrwert, den Sie in Dollar oder Euro klar beziffern können.
Welchen Stellenwert haben Kooperationen für Sie?
R. Vogt: Sowohl Kooperationen als auch Akquisitionen sind für uns wesentliche Instrumente um Sartorius weiter zu entwickeln und unsere strategischen Ziele, die wir uns bis 2020 gesetzt haben, zu erreichen. Kooperationen haben in der Vergangenheit einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung von Sartorius Stedim Biotech geleistet - mehrere langjährige und erfolgreiche Vereinbarungen mit unseren Partnern belegen dies. Für uns sind und bleiben Kooperationen ein wichtiger Baustein, weil Akquisitionen aus unterschiedlichen Gründen oft nicht möglich sind oder nur ein kleiner Teil des betreffenden Portfolios einer Firma strategisch interessant ist. Für das Gelingen von Kooperationen ist es aus unserer Erfahrung wichtig, dass man von Beginn an offen miteinander umgeht und Vertrauen zueinander aufbaut.